# taz.de -- Berliner Jobcenter und Geflüchtete: Der Hunger kommt | |
> Berliner Jobcenter kürzen immer mehr Geflüchteten, die noch in einer | |
> Unterkunft leben, die Leistungen für Essen und Strom. | |
Bild: Was bleibt, wenn man weder Verpflegung bekommt noch Geld für Selbstverpf… | |
Eigentlich sollte die Gesetzesänderung eine Ungerechtigkeit beseitigen. | |
Stattdessen führt sie in Berlin aber aktuell zu Not und Entsetzen bei | |
vielen Flüchtlingen, die plötzlich kein Geld für Lebensmittel mehr | |
bekommen. Denn immer öfter, klagen diese und ihre UnterstützerInnen, | |
kürzten Jobcenter Hartz-IV-Leistungen Geflüchteter, deren Asylanträge | |
anerkannt sind, die aber mangels Wohnungen noch in Flüchtlingsheimen | |
untergebracht sind. | |
Ursache ist eine im vergangenen Jahr beschlossene und zum 1. August 2016 in | |
Kraft getretene Änderung des Paragrafen 65 im bundesweit geltenden | |
Sozialgesetz SGB II. Die sieht vor, dass Flüchtlingen die ihnen zustehenden | |
Leistungen um die Anteile für Ernährung und Energiekosten gekürzt werden | |
können, wenn sie in Unterkünften mit Vollverpflegung wohnen. Damit sollte | |
verhindert werden, dass diese ebenso viel Geld erhalten wie Geflüchtete, | |
die sich selbst versorgen. | |
Laut dem Berliner Flüchtlingsrat und ehrenamtlichen HelferInnen gehen | |
Flüchtlingen in Berlin in den vergangenen Wochen deshalb vermehrt Bescheide | |
zu, in denen ihnen die Unterstützung, die sie bislang erhalten haben, | |
gekürzt wird. Die Kürzungen liegen je nach Alter der Betroffenen bei um 40 | |
Prozent – beim Hartz-IV-Höchstsatz von 409 Euro sind es 170 Euro. | |
## Fehlinformation vom Amt | |
Grundlage dieser neuen Bescheide ist eine Liste der Berliner | |
Flüchtlingsunterkünfte, die das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten | |
(LAF) den Jobcentern übermittelt hat. Diese verzeichne, „welche | |
Wohnheime/Erstaufnahmeeinrichtungen Vollverpflegung anbieten und welche | |
nicht“, heißt es in der Antwort eines Jobcenters auf die Beschwerde einer | |
Unterstützerin über die neue Praxis, die der taz vorliegt. | |
Der Flüchtlingsrat bezweifelt aber den Gebrauchswert dieser Liste. Denn es | |
würden auch solchen Flüchtlingen Leistungen gekürzt, „in deren Unterkünft… | |
Möglichkeiten zum Selbstkochen vorhanden sind und die diese bislang auch | |
genutzt haben“, so Georg Classen vom Flüchtlingsrat. Etwa in einer von der | |
Arbeiterwohlfahrt (AWO) betriebenen Einrichtung in Lichtenberg. Dort seien | |
Küchen, in denen die BewohnerInnen selbst kochen könnten, vorhanden: „Die | |
AWO bietet dort gar keine Verpflegung mehr an.“ | |
Manfred Nowak, Vorsitzender des AWO-Kreisverbands Berlin-Mitte, bestätigt | |
das – und mehr: Nicht nur in Lichtenberg, in sechs der insgesamt sieben von | |
der AWO betriebenen Unterkünften mit insgesamt etwa 2.600 BewohnerInnen | |
seien Küchen zur Selbstversorgung vorhanden und das Catering deshalb | |
abgeschafft worden. Wie viele der BewohnerInnen der AWO-Unterkünfte von den | |
Leistungskürzungen betroffen sind, konnte Nowak Ende vergangener Woche noch | |
nicht beziffern. Aber für die Betroffenen sei das „ein ganz, ganz großes | |
Problem“. Konkret: Sie müssen weiterhin selbst für ihre Lebensmittelkosten | |
aufkommen – allerdings mit erheblich weniger Geld. | |
Die Jobcenter sparen dabei selber keinen Cent: Denn die den Flüchtlingen | |
gekürzten Gelder für die Kosten für Essen und Strom würden ja an die | |
Betreiber weitergereicht, so der Pressesprecher der Berliner Jobcenter. Wie | |
viele Geflüchtete in Berlin bereits von den Kürzungen betroffen sind, | |
darüber lägen „keine auswertbaren Daten vor“, heißt es in der schriftlic… | |
Antwort der Pressestelle auf eine entsprechende taz-Anfrage. | |
Liste sei bindend | |
Selber ändern können die Jobcenter die Vorgehensweise nicht: Die vom LAF | |
gelieferte Liste sei „bindend für uns“, heißt es in der bereits zitierten | |
Antwort eines Jobcenters auf die Beschwerde einer Unterstützerin. Die | |
Aktualisierung der Listen „obliegt dem Landesamt für | |
Flüchtlingsangelegenheiten und der zuständigen Senatsverwaltung“, ergänzt | |
die Pressestelle. | |
Wie es zu der fehlerhaften Liste kommt, das konnten bislang weder das LAF | |
noch die übergeordnete Senatsverwaltung für Integration auf taz-Anfrage | |
erklären. Es sei bei einem Gespräch mit Verantwortlichen des LAF am | |
vergangenen Freitag, an dem VertreterInnen der AWO teilnahmen, aber „die | |
Bereitschaft gezeigt worden, das Problem rasch einer Lösung zuzuführen“, so | |
der AWO-Kreisverbandsvorsitzende Nowak gegenüber der taz. | |
Und auch die zuständige Sozialsenatorin Elke Breitenbacch (Linke) ließ auf | |
taz-Anfrage über ihre Pressestelle mitteilen, man werde „mit Nachdruck auf | |
eine schnellstmögliche Lösung im Sinne der Betroffenen“ hinarbeiten. Bis | |
dahin arbeiten die Jobcenter mit den bisherigen fehlerhaften Listen weiter. | |
20 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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