# taz.de -- Filmportrait im Forum auf der Berlinale: Der alte Mann und sein Hof | |
> Ein fast 90-jähriger Mann lebt allein auf einem Bauernhof. Ann Carolin | |
> Renninger und René Frölke haben ihm einen betörend schönen Film gewidmet. | |
Bild: Willi wird in „Aus einem Jahr der Nichtereignisse“ porträtiert. | |
Willi lebt am Rande der Zeit. Allein mit einer Katze und ein paar Hühnern | |
verbringt der 89 Jahre alte Mann Tag für Tag in entschleunigter | |
Abgeschiedenheit: auf einem Bauernhof am nördlichsten Rand der | |
Bundesrepublik. Die beiden Filmemacher Ann Carolin Renninger und René | |
Frölke haben es in einem Filmporträt geschafft, Willi langsamen | |
Lebensrhythmus spürbar zu machen. Der Titel „Aus einem Jahr der | |
Nichtereignisse“ ist dabei gewissermaßen programmatisch. Es ist nicht | |
leicht, in einem aktionsorientierten Medium wie dem Film, ein ereignisarmes | |
Leben zu beschreiben, ohne dabei langweilig zu werden. | |
Um so überraschender, wie souverän es den beiden Filmemachern gelingt. Sie | |
zeigen, wie sich der alte Mann mühsam mit einem Rollator über den Hof | |
bewegt. Es gibt mehrere lange Nahaufnahmen von den Hühnern. Doch am | |
liebsten lassen die Regisseure die Kamera der Katze folgen und doch wird es | |
einem dabei nicht langweilig. Willi lässt sich von den beiden Gästen mit | |
der Kamera nicht weiter aus der Ruhe bringen. „Ihr sagt, wir wollen das | |
filmen.“ „Warum?“ fragt er einmal. Irgendwie wird dieser Moment zu einem | |
der besten dieses Films. | |
## Ausschließlich auf 16mm und Super 8 gedreht | |
Insgesamt zehnmal haben Renninger und Frölke Willi zwischen Dezember 2014 | |
und November 2015 besucht. Jeweils ein paar Tage haben sie bei ihm auf dem | |
Hof verbracht und ausschließlich auf 16mm und Super 8 Film gedreht. Das | |
analoge Schmalfilmmaterial eignet sich nicht für polierte Aufnahmen. An | |
einer klassischen Bildkomposition oder einer konventionellen Montage waren | |
die Filmemacher auch nicht interessiert. Man hört die Drehgeräusche der | |
Super 8 Kamera und sieht die Markierungen und kurzen Überbelichtungen am | |
Anfang und Ende der Filmrollen. Der Prozess des Filmdrehens wird hier also | |
nicht kaschiert, sondern besonders deutlich herausgestellt. | |
Dazu gehört auch, dass einige Sequenzen weitergehen, wenn schon kein Film | |
mehr in der Kamera ist. Der Ton der Gespräche läuft einfach weiter. Dazu | |
wurde Schwarzfilm mit deutlich erkennbaren Materialfehlern eingeschnitten, | |
bis die Filmrolle gewechselt war und die Bildaufnahmen weitergehen konnten. | |
Das sind Stilmittel des Experimentalfilms, sie wirken aber nicht künstlich, | |
sondern unmittelbar und authentisch. | |
Bei einigen Aufnahmen verzichten die Filmemacher ganz auf den Ton und | |
verdeutlichen so, wie wichtig die Verzahnung von Bild und Ton im Film | |
eigentlich ist. Denn durch ihn wirken Räume und Personen erst real und die | |
Bilder nicht konstruiert. Die beschränkten Dreharbeiten –durch das wenige, | |
weil teure Filmmaterial und die oft alles andere als idealen | |
Lichtverhältnisse –kehrt der Film so geschickt zur Chance um. Er entwickelt | |
eine eigene, dem Protagonisten angemessene Optik. | |
Innenaufnahmen aus Willis Stube, gedreht auf SchwarzWeiß, weil es sonst zu | |
dunkel gewesen wäre und die grobkörnigen, also nie gestochen scharfen | |
Bilder, passen dazu, dass dieser Mann mehr in der Natur als in der | |
Menschenwelt zu leben scheint. Über das Radio wird nur gesprochen, nie aber | |
erklingt Musik. Einmal sieht man ihn kurz vor dem Fernseher sitzen. Dieses | |
Gerät ist das einzige kantige, kalte Objekt des ganzen Films. | |
## So ruhig ist es, dass die Drehgeräusche deutlich zu hören sind | |
In der Welt von Willi geht es ruhig zu. Die Drehgeräusche sind so immer | |
deutlich zu hören, ein auf einem Moped vorbeifahrender Nachbar wird schnell | |
zum Störenfried. Mit dem Freund, der zu Besuch kommt, redet Willi über | |
Kaffeefilter und als es bei einer Geburtstagsfeier einmal eng wird in | |
seiner Stube, wird die Kamera auf den Kuchen auf dem Tisch gerichtet. Fast | |
so als, wollte sie den Blick von dieser Belagerung abwenden wollen. | |
Nur einmal wird Willi ein bisschen ärgerlich, als er aus einer ärztlichen | |
Beurteilung seines Geisteszustandes liest. Von einem der großen Abenteuer | |
seines Lebens erzählt er gleich zweimal und das auch noch in den fast | |
gleich Worten: Im zweiten Weltkrieg ist Willi bei der Schlacht um Monte | |
Cassino einmal durch den Po geschwommen. In der letzteren Fassung zeigen | |
die Filmemacher ihm ihre Reiseaufnahmen aus Italien. Auch sonst gibt es | |
viele Wiederholungen: Ein Stapel seiner Passbilder wird zweimal | |
durchgeblättert, die Katze wird ein paar Mal angelockt und gestreichelt. | |
Daran ändert auch der Wechsel der Jahreszeiten kaum etwas. | |
Im Winter müht sich Willi mit dem Rollator durch Eis und Schnee zum Füttern | |
der Hühner. Im Herbst bringt ihm Ann Carolin Renninger die schönsten Äpfel | |
aus dem Garten, aber bei allem behält er die gleiche stoische Gelassenheit. | |
## Donnerstag und Samstag auf der Berlinale | |
„Aus einem Jahr der Nichtereignisse“ wird im Forum der Berlinale gezeigt | |
(am Donnerstag um 19:30 Uhr im Cinemaxx und Samstag um 16:30 Uhr im Delphi | |
Filmpalast), danach wird er auf eine Tour durch internationale | |
Filmfestivals gehen und später im Jahr dann wohl auch in Sondervorführungen | |
in der Region gezeigt werden. | |
Im Fernsehen dürfte er kaum gesendet werden. Und auch sonst ist sein | |
kommerzielles Potential eher begrenzt. Dieser Film ist ein gutes Beispiel | |
dafür, wie die Filmwerkstatt Kiel, die für die kulturelle Filmförderung in | |
Hamburg und Schleswig Holstein verantwortlich ist, durch eine eher kleine, | |
aber entscheidende Finanzierung Filme möglich macht. | |
Weitere Infos unter: [1][www.joonfilm.de] | |
16 Feb 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.joonfilm.de/index.php?%2Fprojekte%2Fdetert-bauer- | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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