# taz.de -- Friedensfestival im Ostkongo: Musik, Krieg und Frieden | |
> Das Amani-Festival in Goma soll ein Zeichen setzen gegen den Hass. Über | |
> eine ungewöhnliche Veranstaltung an einem ungewöhnlichen Ort. | |
Bild: Zwei Bühnen und jede Menge Nebenakteure beim Amani-Festival in Goma | |
GOMA taz | Das Friedensfestival beginnt mit einem Toten, einem | |
Schwerverletzten und vier Stunden Verspätung. „Wir gedenken unseres | |
Freundes und Mithelfers Djoo Paluku, der in der vergangenen Nacht von uns | |
gegangen ist“, sagt Festivaldirektor Vienney Bisiwma über Mikrofon. Die | |
Lautsprecherboxen neben der Bühne sind übersteuert und fiepen. Ein Raunen | |
und Schluchzen geht durch das Publikum. | |
Nicht einmal tausend Menschen haben sich am Freitagnachmittag auf das | |
Gelände des Mwanga-College im Herzen der ostkongolesischen | |
Provinzhauptstadt Goma getraut. Gerüchte über Schießereien und Tote haben | |
viele verunsichert. „Wir beten für unseren schwer verletzten Bruder | |
Eszikiel Bandu, der im Krankenhaus liegt“, fährt Bisimwa fort. Während der | |
Schweigeminute starren die Besucher auf den staubigen Boden des | |
Fußballplatzes, auf dem die Hauptbühne aufgebaut ist. Einige bekreuzigen | |
sich. Kein guter Start für ein Festival, das unter dem Motto „Spielen für | |
Veränderung – Singen für den Frieden“ stehen sollte. Der Ostkongo ist noch | |
immer weit vom Frieden entfernt. | |
Was genau passiert ist, kann auch Bisimwa nicht erklären. Was man weiß, | |
ist: Die Schüsse fielen kurz vor Mitternacht, bei den Aufbauarbeiten war es | |
zu Querelen zwischen der Polizei und dem Organisatorenteam gekommen. Ein | |
sturzbetrunkener Polizist soll mit seiner Kalaschnikow drauflosgefeuert | |
haben. Djoo Paluku, ein Musiker aus Goma, starb sofort, sein Kamerad Bandu | |
wurde im Magen getroffen. Der Polizeichef musste eingeschaltet werden, der | |
schießwütige Polizist wurde verhaftet – immerhin. | |
## Sicherheitsfirma springt ein | |
Am frühen Freitagmorgen sind die Blutspuren im Staub neben der Bühne noch | |
sichtbar. Ein paar Dutzend Polizisten sitzen bedröppelt auf Plastikstühlen | |
daneben, einige nippen verstohlen an Plastikflaschen, die billigem Fusel | |
enthalten. Nur die wenigsten von ihnen haben eine Polizeiausbildung. Das | |
hochmoderne, 2012 mit internationalen Hilfsgeldern errichtete | |
Polizeitrainingslager, ist meistens leer. Seit Beginn des Bürgerkriegs in | |
den 1990er Jahren wurden dort nur rund 2.000 Polizisten eingewiesen – fast | |
alles Exrebellen und Milizionäre, die in die staatlichen Sicherheitsorgane | |
integriert wurden. | |
Die Firma Latlong, eines der größten privaten Unternehmen für Sicherheit in | |
Goma, hat deswegen zusätzliche Guards aufgefahren, die nun die Taschen der | |
Besucher am Eingang kontrollieren. Messer, Nagelfeilen, Haarkämme liegen | |
konfisziert neben der Kontrollpforte im Dreck. Der Latlong-Chef steht mit | |
einem Funkgerät da und koordiniert seine Männer, die alle ordentlich | |
strammstehen. Sie sollen jetzt die Sicherheit garantieren. „Da haben uns | |
die Polizisten letzte Nacht was eingebrockt“, seufzt der Chef. | |
In einem Kriegsgebiet ein dreitägiges Festival zu organisieren, ist eine | |
irre Idee. Lokale junge Künstler und Musiker hatten sie bereits 2012 im „La | |
Maison Jeune“, einem Jugendhaus in Goma, ausgeheckt. Damals tobte in den | |
Bergen wieder ein blutiger Bürgerkrieg. Über 50 Milizen bekriegten sich | |
gegenseitig, fast eine Million Menschen waren auf der Flucht. Die Zeltlager | |
rund um Goma wuchsen an, Schulen waren geschlossen. In den Dörfern griffen | |
Jugendliche zur Kalaschnikow. „Wir wollten ein Zeichen setzen, dass wir von | |
Krieg und Unsicherheit genug haben“, sagt Vienney Bisiwma auf der | |
Pressekonferenz des Festivals. „Amani“ heißt das Motto und bedeutet Frieden | |
in der lokalen Sprache Kisuaheli. Bis auf einmal hat es bisher jedes Jahr | |
stattgefunden. Die Botschaft ist wichtig – und kommt an. | |
## 35.000 Besucher | |
„Ausverkauft“ heißt es schließlich am Sonntag auf der Festivalwebseite. | |
35.000 Menschen haben online, via mobilem Geldtransfer oder vor Ort Tickets | |
erstanden. Touristen aus Europa und der Region sind angereist. Selbst | |
Straßenkinder haben von ihrem Bettelgeld noch eine Eintrittskarte für einen | |
Dollar erstanden. | |
Direkt am Eingang bekommen sie von einem Künstler, der sich „Strong Arts“ | |
nennt, Pinsel und Farbpalette in die Hand gedrückt. Mit ein paar | |
geschickten Strichen malt er ihnen eine blau-gelbe Kongo-Flagge auf die | |
Wange. Sie kichern und lachen, dann greifen sie zum Pinsel. „Ich will die | |
Kinder ermutigen, dass sie ihre Kreativität ausleben und nicht den | |
Besuchern die Wertsachen aus den Taschen klauen“, erklärt Strong Arts und | |
zeigt auf ein paar seiner Gemälde, die er zum Verkauf anbietet. | |
Das Festival sei für die unzähligen Kreativen in Goma eine einzigartige | |
Gelegenheit, ihre Talente zu zeigen und etwas Geld zu verdienen. „In einem | |
Land wie unserem, wo jeder täglich ums Überleben kämpft, leistet sich ja | |
sonst niemand ein Bild“, sagt er, während er einem Jungen mit Farbe „Amani… | |
auf die Stirn pinselt. „Ich bete jedes Jahr, dass auch tatsächlich einmal | |
Friede herrscht.“ | |
Erst am Vortag sind im Süden Kongos über 50 Milizionäre von der | |
kongolesischen Armee getötet worden. Rund um Goma kommt es regelmäßig zu | |
Massakern und Kidnappings durch bewaffnete Gruppen. | |
## Belgischer Sponsor | |
Zum Lachen und Feiern gibt es im Alltag in Goma wenig. Umso mehr tanzt | |
jetzt die Menge. Es gibt zwei Bühnen; die Bands spielen von 14 Uhr bis | |
19.30 Uhr, danach senkt sich die Dunkelheit über das Festivalgelände, | |
nachts müssen alle raus. Aus allen Ecken des Landes sind Musiker, DJs und | |
Tanzgruppen angereist, selbst aus der 2.000 Kilometer entfernten Hauptstadt | |
Kinshasa und sogar aus den Nachbarländern Ruanda, Burundi, Uganda und | |
Kenia, aus Belgien und Südafrika. | |
Als die burundischen Sänger Alfred und Bernard ihre traditionellen | |
Instrumente anstimmen, brechen die Zuhörer in nicht endenden Jubel aus. Die | |
beiden Gewinner des ostafrikanischen Musikawards 2011 präsentieren in Goma | |
ihr neues Album. „Wir sind echt froh, heute mit unseren kongolesischen | |
Brüdern feiern zu können, denn auch in unserem Land brauchen wir dringend | |
Frieden“, erklärt Bernard. In Burundi finden schon seit zwei Jahren | |
aufgrund der Dauerkrise keine Konzerte mehr statt. | |
Hauptsponsor des Festivals ist der belgische Adlige Eric de Lamotte, der | |
seit den 1980er Jahren im Kongo lebt und hier sein Vermögen investiert hat: | |
in Banken, Minen und einer Reiseagentur. „Der Ostkongo wird weltweit immer | |
mit Krieg, Gewalt und Vergewaltigung in Verbindung gebracht“, hat Lamotte | |
sein Engagement auf der Pressekonferenz erklärt. „Wir wollen ein anderes | |
Bild zeigen“. | |
Um die Wirtschaft zu stärken, hat er das Festival jährlich erweitert. Rund | |
um die Bühnen präsentieren sich Jungunternehmer und lokale | |
Nichtregierungsorganisationen mit Ständen: Da kann man lokalen Kaffee | |
probieren oder Ingwerwein. Frauen mit Behinderung verkaufen selbst gemachte | |
Kleider aus bunten Stoffen. Die NGO Don Bosco Ngandi stellt Schnitzereien | |
aus, von Straßenkindern angefertigt. „Um Frieden herzustellen, brauchen die | |
Jugendlichen etwas zu tun: eine Ausbildung. Nach 20 Jahren Krieg werden sie | |
alle in einer Gewaltkultur groß“, sagt NGO-Chef Thierry Masembe und feuert | |
seine Straßenkinder an, die vor dem Stand akrobatische Kunststücke | |
vollziehen. | |
## Frisch aus dem Exil | |
Sobald Fred Bauma das Festivalgelände betritt, muss er Hände schütteln. Er | |
wird umarmt, man klopft ihm auf die Schultern. Der 27-Jährige ist einer der | |
Mitbegründer des Festivals und saß als Anführer der Jugendbewegung LaLucha | |
(Kampf für Veränderung) fast 18 Monate lang im Gefängnis. Erst auf | |
internationalen Druck hin kam er vergangenen August frei, noch immer ist | |
ein Haftbefehl auf ihn ausgeschrieben wegen „Versuch des Komplotts gegen | |
den Staatschef“. | |
Lange war Bauma in Belgien im Exil, wo seine Freundin lebt, nicht zufällig | |
die Nichte des Sponsors Eric de Lamotte. Bauma hat vor dem Europäischen | |
Parlament, dem Bundestag, dem Kongress in Washington gesprochen. Nicht nur | |
in seiner Heimatstadt Goma, sondern in ganz Kongo gilt er als Symbolfigur | |
einer jungen Generation, die Krieg, Nepotismus, Korruption und das | |
Machtgehabe der politischen Elite satthat. In den vergangenen Jahren hat | |
LaLucha immer wieder landesweit friedliche Protestaktionen gestartet. | |
## Protest vor der VIP-Tribüne | |
Erst vor zwei Wochen ist Bauma in seine Heimat zurückgekehrt, gerade | |
rechtzeitig für das Festival. Bisher hat er sich bedeckt gehalten, er | |
fürchtet den Geheimdienst. An diesem Wochenende zeigt er sich das erste Mal | |
wieder in der Öffentlichkeit. „Es ist gut, wieder hier und dabei zu sein. | |
Die letzten Male saß ich im Gefängnis“, sagt er. Doch froh wirkt Bauma | |
trotzdem nicht. Er kannte den Musiker Paluku, der Freitagnacht erschossen | |
wurde, sehr gut. „Für mich ist das Festival kein Grund zu feiern“, sagt er | |
deshalb, „sondern eine Gelegenheit, friedlich zusammenzukommen.“ Er hoffe, | |
dass die Justiz nun ihre Arbeit mache. Dann taucht er unter Schulterklopfen | |
wieder in der Menge unter. | |
Am Sonntag starten seine Kameraden eine Aktion vor der VIP-Tribüne, wo Eric | |
de Lamotte den Provinzgouverneur und den Polizeichef hofiert. Der Sponsor | |
ist ein hagerer grauhaariger Typ um die 60, am Jackett trägt er eine | |
belgisch-kongolesische Flagge als Anstecker. Für diesen letzten Festivaltag | |
ist weiterer hoher Besuch aus dem fernen Kinshasa angereist, europäische | |
Diplomaten, die nun die hinteren Reihen der Tribüne säumen. Weil sie den | |
Staatsorganen nicht traut, hat die belgische Botschafterin ein paar Dutzend | |
schwer bewaffnete Ranger des nahe gelegenen Virunga-Nationalparks zu ihrem | |
Schutz kommen lassen. | |
Schweigend halten die Aktivisten ein Banner hoch, auf dem in den vier | |
Nationalsprachen „Frieden“ geschrieben steh. „Beni, Bakongo, Kasai, | |
Katanga“ steht auf einem weiteren Banner – Orte in Ostkongo, in denen es | |
jüngst zu Massakern kam, von der politischen Elite angestachelt. | |
Festivalsponsor Lamotte schwingt sich über die Balustrade und mahnt die | |
zwei Dutzend Aktivisten, ihre Aktion zu beenden, dies sei schließlich keine | |
Politikveranstaltung. Daraufhin hocken sich die Lalucha-Leute schweigend | |
auf den Boden. Empörend finden sie es, dass ausgerechnet der Veranstalter | |
eine friedliche Protestaktion aus Gefälligkeit gegenüber den politischen | |
Autoritäten auflöst. Der Aufruf zum Frieden sei schließlich eine politische | |
Botschaft. Und eine friedliche ohnehin. | |
15 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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