# taz.de -- Definition „Offene Gesellschaft“: Machtbalance ist zwingend | |
> Der Begriff „offene Gesellschaft“ entstand 1945. Er hat sich zu einem | |
> Begriff entwickelt, den viele bekämpfen – nicht nur Rechte. | |
Bild: Manche Linke kämpfen heute für eine offene Gesellschaft. Das war nicht … | |
Der Begriff der [1][„offenen Gesellschaft“] wurde 1945 vom österreichischen | |
Philosophen Karl Popper ausformuliert. Er galt – und gilt – vielen | |
dogmatischen Linken als liberale Hexenformel, [2][die unbedingt abzulehnen | |
ist]. | |
Denn Poppers Konzept richtete sich ausdrücklich gegen alle totalitären | |
Versuchungen, gegen alle „Erzählungen“ vom großen gesellschaftlichen | |
Ganzen. Der Nationalsozialismus war eben besiegt worden, der Sozialismus in | |
seiner diktatorischen Form lebte noch sehr lange: Die „offene Gesellschaft“ | |
verkörperte gedanklich ihren Gegenentwurf. | |
Er hat demokratische Verhältnisse zur Voraussetzung, aber sie bedeuten | |
nicht die Machtausübung der Mehrheit über die Minderheit auf autokratische | |
Weise (wie aktuell [3][in Ungarn] und [4][Polen]). Vielmehr sollen | |
Machtwechsel so vollzogen werden, dass die Minderheit prinzipiell nicht | |
gedemütigt wird – denn sie könnte die nächste Wahl gewinnen. | |
Staatsrechtlich gesehen: Machtbalance ist für die Idee der „offenen | |
Gesellschaft“ zwingend – anders als in Polen seit dem Wahlsieg der PiS darf | |
eine Regierung nicht die Rechtsprechung sich untertan machen. | |
Kulturell sind für die Idee der offenen Gesellschaft Meinungsfreiheit, | |
Streit, Dissens, Konflikt grundsätzlich. „Wahrheit“ als letzte Instanz des | |
Redens ist nur denkbar bis zum (naheliegenden) Beweis des Gegenteils. Offen | |
sind gesellschaftliche Verhältnisse, wenn Minderheiten ihren politischen | |
und kulturellen Ausdruck finden können, sofern sie dies wollen. Religiöse | |
Kritik an Äußerungen von politischen oder zivilgesellschaftlichen | |
Akteur*innen hat keinen besonderen Rang – nur den, den alle Teilnehmer in | |
der öffentlichen Arena haben. | |
Kritik am Konzept der offenen Gesellschaft kam in den sechziger Jahren auch | |
von konservativer Seite, sie war überwiegend christlich-religiös | |
aufgeladen. Aus dem marxistisch-linken Spektrum lautete der Einwand gegen | |
diese Welthaltung, sie erörtere nicht das Problem des Kapitalismus | |
schlechthin – und selbst in sozialmarktwirtschaftlichen Verhältnissen | |
thematisiere die Theorie Karl Poppers nicht, dass es für die Teilhabe am | |
gesellschaftlichen Diskurs ausreichend soziale Sicherheit geben müsse. Und | |
dies sei in kapitalistischen Gesellschaften – und seien sie noch so | |
rechtsstaatlich – nirgends der Fall. Der Streit dauert an, und das würde | |
Karl Popper vermutlich am meisten freuen. | |
26 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Offene_Gesellschaft | |
[2] http://jungle-world.com/artikel/2010/18/40873.html | |
[3] /Ungarn/!t5008001 | |
[4] /Polen/!t5008485 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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