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# taz.de -- Haftung für Rechtsverletzung im Internet: Ohne Links stirbt das Ne…
> Wer Links setzt, ist für den Inhalt dahinter verantwortlich – so haben
> zwei Gerichte geurteilt. Das rüttelt an der Grundidee des Netzes.
Bild: Erst die Verknüpfungen schaffen ein Netz
Bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia haben sie ein Spiel daraus gemacht:
Start ist ein willkürlich ausgewählter Lexikon-Artikel, ein weiterer dient
als Ziel. Die Mitspieler haben die Aufgabe, über möglichst wenige Links vom
einen zum anderen Artikel zu navigieren, wer den kürzesten Weg findet,
gewinnt.
Man muss sich nicht dafür begeistern, dass man über nur drei Schritte von
[1][Björk] zu [2][Václav Havel] kommt (Björk – Dancer in the Dark – Czec…
Václav Havel – funktioniert allerdings nicht in allen Sprachen), um die
Tiefe dieses Spiels zu verstehen: Es illustriert perfekt die Bedeutung von
Links als Essenz des World Wide Web. Als Bindeglieder zwischen den
einzelnen Teilen einer Kette, die Element um Element zusammenknüpfen und so
aus vielen, aus einer unendlichen Zahl einzelner Bestandteile erst ein
Ganzes machen. Etwas, das zusammengehört. Ein Netz. Und wenn nun, wie es
aussieht, zwei Gerichtsurteile letztlich dazu führen werden, dass die
Verlinkung im Netz erst risikoreicher, dann seltener wird und – im
schlechtesten Fall – schließlich ausstirbt, dann ist dieses Problem
deutlich größer, als es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag.
Die [3][Idee des Europäischen Gerichtshofs] und des [4][Landgerichts
Hamburg]: Wer als gewerblicher Betreiber einer Website – und das ist schon,
wer nur seine Tagebucheinträge online stellt und auf der Seite Werbebanner
einbindet – einen Link setzt, ist verantwortlich. Nicht nur für den Link.
Sondern auch für das, was sich auf der verlinkten Webseite insgesamt
befindet.
Eine Urheberrechtsverletztung? Tja, hätten Sie mal vorher besser geprüft,
ob jedes Foto auf der Zielseite tatsächlich den korrekten Urheber angibt.
Wie das gehen soll? Ach, nun stellen Sie doch nicht so kleinliche
Fragen.Die Urteile sind noch nicht alt. Aber wenn Abmahnanwälte erst einmal
das Potenzial der Entscheidungen erkannt haben und sich herumspricht, dass
ein arglos gesetzter Link ziemlich teuer werden kann, beginnt der
vorauseilende Gehorsam. Wer einen teuren Rechtsstreit vermeiden will, wird
auf Links verzichten. Und wenn diese Auswirkungen nicht von anderen
Gerichten mit gegenteiligen Entscheidungen gestoppt werden, dann werden die
Urteile zum letzten Baustein. Zum letzten Baustein, der eine Entwicklung,
die sich schon seit einigen Jahren abzeichnet, beschleunigt und schließlich
zum Ende bringt. Und bei der das Netz immer mehr in Einzelteile zerfällt.
## Konzerneigene Ökosysteme
Ein Teil dieser Entwicklung ist die zunehmende Zentralisierung des
Internet. Zentralisierung ist so etwas wie die Antithese zur Vernetzung,
die auf dem Gedanken der Dezentralität beruht.
Doch die großen IT-Konzerne handeln nach dem Motto: Du sollst keinen Dienst
haben neben mir. Damit das möglich ist, stellen sie die eigene
Angebotspalette so breit auf, dass Nutzer das konzerneigene Ökosystem fast
nicht mehr verlassen müssen. Außer vielleicht, um duschen zu gehen, aber
vermutlich bringt die Google-Tochter Nest (das sind die mit den vernetzten
Thermostaten und Rauchmeldern) irgendwann auch eine vernetzte Duschbrause
auf den Markt.
Vorteil für den Konzern: Solange die Nutzer im eigenen Ökosystem sind,
lassen sie sich auf Klick und Mausbewegung verfolgen. Links nach außen sind
da hinderlich bis überflüssig – wie etwa der Knowledge Graph der
Google-Suche zeigt: Wer den Namen des US-Präsidenten, den des höchsten
Bergs der Erde oder eines großen Konzerns eingibt, bekommt direkt neben den
ersten Suchergebnissen einen Kasten mit Infos angezeigt: Alter, Höhe,
Aktienkurs. Weiterklicken? Überflüssig.
Der jüngste Beweis dafür, dass Links immer unwichtiger werden, findet sich
in einer nicht großartig beachteten Veröffentlichung von Facebook in der
Nacht des 2. November, Seite sieben. Da steht: Im dritten Quartal lag
demnach die Zahl der Nutzer, die Facebook ausschließlich über die App
ansteuern, erstmals über einer Milliarde. Tendenz: weiter steigend.
## Jagen und vor allem: Sammeln
Es ist das Symptom einer weiteren Entwicklung: Immer mehr Menschen
verbringen einen immer größeren Anteil ihrer Zeit im Netz mittels mobiler
Endgeräte. Und wer mobil ins Netz geht, verwendet in der Regel keinen
Browser, sondern Apps. Laut US-Marktforscher verbringen Nutzer an ihren
Mobilgeräten 90 Prozent ihrer Zeit mit Apps und nur 10 mit dem Browser.
Apps wiederum sind traditionell eine eher Link-arme Umgebung. Denn die
App-Anbieter würden alles dafür geben, dass die Nutzer so viel Zeit wie
irgend möglich innerhalb der App verbringen. Die Nutzer verfolgen, Daten
sammeln, Geld verdienen.
Diese Unsitte ist übrigens auch auf den Portalen von Medienunternehmen zu
finden: Da wird – wenn etwa der Text eine ältere Studie erwähnt – lieber
auf die damalige Berichterstattung verlinkt als direkt auf die
Originalstudie. Mit den Urteilen aus Luxemburg und Hamburg dürfte das zur
Regel werden. Denn wer weiß schon, ob die Website der Uni, die die Studie
durchgeführt hat, nicht auch irgendwo auf ihren Seiten ein unerlaubt
übernommenes Foto verwendet.
So weit der Status quo, zugegeben: schon ausreichend düster. Doch es geht
noch weiter. Denn das nächste große Ding werden, darin sind sich in der
IT-Welt die meisten einig, Chatbots sein. Wer Blumen kaufen will, bemüht
nicht erst mal eine Suchmaschine, um einen Blumenladen zu suchen, sich
dorthin zu bemühen oder auf der Webseite die Bestellung zusammenzuklicken.
Sondern gibt den Wunsch einfach in die verwendete Chat-App ein, den Rest
übernehmen dann mehr oder minder intelligente Bots. Das sieht auf den
ersten Blick nur nach einem kleinen Schritt aus. Doch weitergedacht wird so
das WWW nur noch zu einem Hintergrundrauschen, zu einer Art Datenbank,
deren sich die Bots bedienen können.
## Links schaffen Vertrauen
Und es gibt noch etwas, das diese Entwicklung weiter ins Extrem treiben
kann: Sprachsteuerung. Wer seinen smarten Assistenten fragt, wie alt Angela
Merkel ist, bekommt eine Antwort, bei Amazons Alexa sogar auf den Tag
genau. Oder den Wetterbericht, Informationen zur Verkehrslage, eine
Übersicht der aktuellen Nachrichten. Links? Würden gesprochen wohl eher für
Belustigung sorgen.
Diese schleichende Entlinkung des Netzes kann man zum Beispiel mal
zusammendenken mit der aktuellen Debatte über Fake News. Nehmen wir einen
realen Fall, der auch erst ein paar Wochen alt ist: Auf Facebook postete
ein Nutzer ein Zitat der Grünen-Politikerin Renate Künast zum Umgang mit
dem Verdächtigen in einem Mordfall. Problem eins: Das Zitat war gefälscht.
Problem zwei: Als Quelle war zwar die Süddeutsche Zeitung angegeben.
Alleine: Es fehlte ein Link. Das hätte misstrauisch machen können. Sollen.
Müssen.
Deshalb muss die Entwicklung eigentlich eine gegenteilige sein. Mehr Links
statt weniger. Quellen, die im Netz zu finden sind, sollten mit einem Klick
verifiziert werden können. Studien, Zitate, Veröffentlichungen. Ein guter
Teil dessen, was heute als Fake News durch das Netz geistert, wäre damit
schon widerlegt.
Dass ausgerechnet dieser, der einfachste und sinnvollste Weg, nun
gerichtlich verbaut wird, ist skurril. Und verkennt völlig den Gewinn der
Verlinkung. So wird, wenn sich die Rechtsprechung nicht ändert, der Link
vermutlich eines Tages zu etwas sehr Klandestinem. Etwas, das wir nur
privat austauschen, nicht vor den Augen der Öffentlichkeit. Per E-Mail,
falls es die dann noch gibt, aber vermutlich nicht, sondern eher über eine
Art verschlüsseltes Hologramm, das wir per charakteristisches Blinzeln mit
dem linken Auge verschicken. Und Wikipedia wird zu einem Museum. In dem man
noch mal erleben kann, wie das World Wide Web mal aussah, damals, als die
Links noch überall waren.
Aktenzeichen zu den Urteilen: 310 O 402/16 (Landgericht Hamburg) und
C-160/15 (Europäischer Gerichtshof)
1 Feb 2017
## LINKS
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Bj%C3%B6rk
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/V%C3%A1clav_Havel
[3] http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf;jsessionid=9ea7d0f130d66…
[4] http://www.spiritlegal.com/de/urteile/lg-hamburg-az-310-0-402-16-ev-beschlu…
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Internet
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Schwerpunkt Urheberrecht
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