# taz.de -- Trump-Wähler in West Virginia: Im Kohleland | |
> In McDowell County leben die Abgehängten. Die Bergwerke sind zu. „Ich | |
> liebe Kohle“, sagte Trump, setzte den Helm auf – und wurde prompt | |
> gewählt. | |
Bild: Welch war in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine boomende Stadt. Jetzt is… | |
Welch taz | Wenn ein Laster vorbeifährt, von dessen Ladefläche schwarzer | |
Staub herunterweht, dann frohlocken die Menschen in den engen Tälern von | |
McDowell County im südlichsten Zipfel von West Virginia. Auch das Donnern | |
der Lokomotiven, die mehr als 100 offene Kohlewaggons hinter sich | |
herziehen, klingt in ihren Ohren wie Musik. | |
„Es werden wieder mehr“, wollen sie glauben. Dann reden sie über die 14 | |
Bergwerke in der Region, die jahrelang geschlossen waren und sich jetzt | |
darauf vorbereiten, wieder aufzumachen. Und von der Jobbörse Anfang Januar | |
in dem Städtchen Welch, bei der 75 Bergarbeiter für den Untertage- und den | |
Übertagebau gesucht wurden. | |
„Die Kohle kommt zurück“, sagt Lacy Workman. Er ist überzeugt, dass sein | |
County, das einst mehr Kohle als jedes andere der USA produziert hat und | |
heute eines derjenigen mit der höchsten Arbeitslosigkeit des Landes ist, | |
sich dank des alten Rohstoffs wieder erholen kann. Er glaubt, dass Donald | |
Trump das möglich macht. Lacy Workman nennt ihn „klug“ und ist überzeugt, | |
dass er den Geschäftssinn hat, den McDowell County braucht. | |
Im Wahlkampf hat Trump bei einem Auftritt hier erklärt: „Ich liebe Kohle“, | |
hat sich einen Bergarbeiterhelm aufgesetzt und hat neben seinem Rednerpult | |
gestikuliert, als wolle er losschippen. Vor allen Dingen aber bot er sich | |
als Antithese zu Hillary Clinton an. Die hatte angekündigt, dass es mit ihr | |
mehr grüne Energie geben und viele Bergarbeiter ihre Arbeit verlieren | |
würden. Anschließend erklärte sie das zu einem Schnitzer. | |
Aber da war es zu spät, und die Wähler hatten sich auf Trump eingeschworen. | |
Ihm nehmen sie ab, dass er die Auflagen für Schadstoffabgaben in Wasser und | |
Luft lockern und dass er die Steuern senken wird. Auch wenn der Gaspreis | |
in den letzten Jahren durch das Fracking so niedrig geworden ist, dass | |
viele Kraftwerke ihre Turbinen auf Gas umgestellt haben. | |
## Trumps Traumland | |
Der Kontrast zwischen den Menschen in McDowell County, wo mehr als ein | |
Drittel unter der Armutsgrenze leben, und dem New Yorker Multimilliardär | |
könnte kaum größer sein. Aber bei den Wahlen im November bekam Trump in | |
McDowell County mehr als dreimal so viele Stimmen wie Clinton. 75 Prozent | |
gegen 23. Es war eines der besten Ergebnisse für Trump im Land. | |
Er war nicht der einzige Multimilliardär, der in dem County gewann. Der | |
zweite war der reichste Mann von West Virginia, Jim Justice, der an dem Tag | |
zum neuen Gouverneur des Bundesstaats gewählt wurde. | |
Parteipolitisch ist Justice den umgekehrten Weg gegangen. Während Trump | |
sich in den Jahren vor seiner Wahl allmählich vom Demokraten zum | |
Republikaner veränderte, wechselte Justice vom republikanischen Lager in | |
das demokratische über. Aber im Stil ähneln sich die beiden. Justice hatte | |
kurz vor den Wahlen mehrere Minen in McDowell County und der Umgebung | |
wieder eröffnet und 200 neue Arbeitsplätze geschaffen. | |
Lacy Workman hat im Bergbau gearbeitet, ist Lkw gefahren und war die meiste | |
Zeit seines Lebens ein Demokrat. Jetzt konzentriert er sich auf seine neue | |
Partei, die Republikanische, in der er es binnen weniger Jahre zum | |
örtlichen Chef gebracht hat. Es waren die Barack-Obama-Jahre, in denen die | |
Republikanische Partei die Menschen im County überzeugt hat, dass der | |
demokratische Präsident der Ursprung aller Probleme ist. | |
## Berühmtheiten gaben sich die Klinke in die Hand | |
In McDowell County sind die meisten Siedlungen als „Camps“ am Rande von | |
Bergwerken entstanden, deren Arbeiter weiterziehen sollten, so bald die | |
Kohle abgebaut war. Welch, die größte davon, war in der Mitte des 20. | |
Jahrhunderts eine boomende Stadt, die das „kleine New York“ genannt wurde. | |
Sie hatte drei Theater, in der Innenstadt herrschte dichter Autoverkehr. | |
Berühmtheiten aus Showbusiness und Politik gaben sich die Klinke in die | |
Hand. In Raymond’s Restaurant an der McDowell Street haben mehrere | |
Präsidenten gefrühstückt, darunter Harry Truman und John F. Kennedy. | |
Anschließend hielten beide Reden von den Stufen des Parkhaus auf der | |
gegenüberliegenden Straßenseite, von dem heute die Fassaden abplatzen. | |
Es ist eines von mehr als 5.000 Gebäuden, die entweder renoviert oder | |
abgerissen werden müssten. Kennedy kam nach seinem Besuch auf die Idee, | |
Lebensmittelmarken einzuführen, um die Armut, die damals im Rhythmus der | |
Weltkohlemärkte auch immer wieder Bergarbeiter in McDowell County traf, | |
auszugleichen. | |
Es sollte eine Übergangslösung sein. Doch mehr als ein halbes Jahrhundert | |
später sind 45 Millionen Menschen im Land immer noch auf die Marken | |
angewiesen. In McDowell County beziehen mehr als ein Drittel der Menschen | |
die Marken, deren Fortbestand bei den Republikanern in Washington | |
umstritten ist. | |
## Neue Kohleboom? | |
Restaurantbesitzer Raymond Bean, inzwischen 90, arbeitet weiterhin in | |
seinem Lokal, in das sich nur noch selten Kunden verirren. Seine | |
Leuchtreklame ist längst von der Fassade abgestürzt, und die Ladenlokale | |
rechts, links und gegenüber von ihm stehen leer. Ein paar Häuser weiter hat | |
ein Vermieter einen handgeschriebenen Zettel ans Schaufenster geheftet, auf | |
dem er anbietet, das Lokal nach den Wünschen eines Mieters umzubauen. | |
Auch Raymond Bean hat nach Jahrzehnten als demokratischer Wähler für Trump | |
gestimmt. Er hofft, dass er den neuen Kohleboom bringt, der die Stadt | |
rettet und der ihm zu jemandem verhilft, der sein Restaurant übernehmen | |
will. Die Köchin hört von der anderen Seite des Tresens zu. Als Raymond | |
Bean den Raum verlässt, wischt Helen Althazer die Träumereien ihres Chefs | |
beiseite. | |
„Trump wird nichts für uns tun“, sagt die 84-Jährige kategorisch, „denn… | |
ist umgeben von Leuten, die kein Interesse daran haben.“ Sie hat ihr ganzes | |
Leben in Welch verbracht, mit einem Vater, mit Onkeln und mit Brüdern, die | |
im Kohlebergbau gearbeitet haben. Aber sie glaubt nicht mehr an eine | |
Zukunft: „Dies ist bald eine Geisterstadt.“ | |
Die Stadt und das County haben nie etwas anderes als Kohle erwogen. Die | |
einzige Diversifizierung ist der Ausbau der Trassen für Geländefahrzeuge in | |
dem umliegenden bergigen Gelände und in den drei Gefängnissen – das eine | |
gehört dem County, das zweite dem Bundesstaat West Virginia, das dritte der | |
Bundesregierung. | |
Letzteres steht auf einer Bergspitze am Rand von Welch, die zuvor zum Zweck | |
der Kohlegewinnung weggesprengt und abgeräumt worden ist. Als das | |
Bundesgefängnis 2010 eröffnete, galt es als potenzieller neuer Arbeitgeber. | |
Doch heute reisen die meisten Beschäftigten aus anderen Counties an. | |
## „Coalfield Expressway“ | |
Der für die Entwicklung des Countys zuständige Kommissar hat einen weiteren | |
Plan für die Region im Sinn. Cecil Patterson, auch ein Demokrat, der bei | |
den Wahlen für Trump gestimmt hat und ihm eine Chance geben will, hofft, | |
dass es endlich mit der seit mehr als 15 Jahren geplanten Schnellstraße ins | |
County vorangeht. | |
Auch dieser „Coalfield Expressway“ hat mit Kohle zu tun. Er ist als eine | |
öffentlich-private Partnerschaft geplant, bei der die Bergwerkbesitzer | |
Bergspitzen wegsprengen, ein paar Meter Kohle abbauen und das solcherart | |
begradigte Gelände anschließend an die öffentlichen Bauleute übergeben | |
sollen. | |
Zurzeit kann man sich in Welch seine Nachbarn aussuchen, denn mindestens | |
jedes zweite Haus steht leer. Das County ist in den letzten Jahrzehnten von | |
mehr als 100.000 auf weniger als 20.000 Einwohner geschrumpft. Nach jeder | |
neuen Katastrophe – nach den Fluten von 2001 und 2002 und den Schließungen | |
der Bergwerke und zuletzt, nachdem im vergangenen Jahr auch Walmart seinen | |
großen Supermarkt geschlossen hat – sind Menschen abgewandert. | |
Unter jenen, die zurückblieben, nahmen Depressionen und Drogenmissbrauch | |
zu. In der Hochburg der Kohle ist die Zahl der Drogentoten mehr als achtmal | |
so hoch wie im nationalen Durchschnitt. | |
Jim Sly, dem eines der beiden Bestattungsunternehmen des Countys gehört, | |
hat es nicht selten mit trauernden Familien zu tun, die von „Herzversagen“ | |
sprechen, wenn im Totenschein etwas von Überdosen von Fentanyl, Oxycotin | |
oder Heroin steht. Der Bestatter war Zeit seines Lebens ein Demokrat, aber | |
dieses Mal hat auch er Trump gewählt, weil er sich von einem Geschäftsmann | |
Besseres erhofft. | |
## Du nimmst keine Drogen? | |
Jackie Ratliff, Superintendent in einer Kohlewaschanlage am Südrand von | |
Welch, hat im November Trump gewählt. In seinem beruflichen Alltag, in dem | |
schwarzen Staub am Berghang, erlebt er jetzt, wie sich die Stimmung langsam | |
ändert. Nichts funktioniert richtig, aber jetzt ist er „vorsichtig | |
optimistisch“. | |
Wenn die Umweltbehörde EPA sich künftig stärker zurückhält und nur noch | |
„vernünftige Auflagen“ macht und wenn Bedingungen wie die Einrichtung von | |
„unterirdischen Schutzräumen für 80.000 Dollar das Stück“ kippen, könnt… | |
sich vorstellen, dass es mit der Kohle im County wieder aufwärtsgeht. | |
Lashawn Winfree hat dieses Vertrauen nicht. Sie glaubt nicht an den | |
Präsidenten. Sie hat im November für Hillary Clinton gestimmt – so wie fast | |
alle anderen Afroamerikaner und ein paar wenige weiße Frauen in dem County. | |
Ihr Großvater war Bergarbeiter. Von ihren Klassenkameraden sind viele an | |
Überdosen gestorben. Wenn die 35-Jährige Gleichaltrige trifft, die von der | |
Drogenepidemie betroffen sind, fragen die manchmal erstaunt: „Wie? Du | |
nimmst gar nichts?“ | |
McDowell County hat Lashawn Winfree bislang nicht entkommen lassen. Nach | |
der High School ist sie nach Atlanta in Georgia gezogen. Aber dann | |
erkrankte ihre Großmutter, und sie kam zurück. Heute arbeitet sie in einem | |
Videospielsalon, schräg gegenüber dem County-Gefängnis, das in den Gebäuden | |
eines früheren Krankenhauses untergekommen ist. | |
Erfrischungsgetränke gibt es im Spielsalon gratis. Im Hinterraum sitzen | |
zwei Frauen und ein Mann, die nicht miteinander reden, vor bunt | |
leuchtenden Bildschirmen und hoffen auf Gewinne, die sie im echten Leben | |
schon lange nicht mehr machen. | |
Als gelernte Krankenschwester könnte Lashawn Winfree außerhalb des Countys | |
Arbeit finden. Stattdessen bleibt sie, beobachtet, wie andere auf | |
Verbesserungen hoffen, an die sie nicht glaubt, und macht sich selbst | |
Vorwürfe, weil sie trotzdem in dem engen Tal ohne Zukunft bleibt. | |
20 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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