| # taz.de -- Starts des bundesweiten Abiturs: „Wir hatten schöne Aufgaben“ | |
| > Nur Hamburg nimmt beim Mathe-Abitur auf Anhieb nur noch zentral gestellte | |
| > Aufgaben. „Das kann man kritisch sehen“, sagt Mathematik-Professorin | |
| > Gabriele Kaiser. | |
| Bild: Sollten laut Kaiser Mathe von MathelehrerInnen lernen: Mittelstufenschül… | |
| taz: Frau Kaiser, Hamburgs Abiturienten haben eine Mathe-Vorklausur mit | |
| der Durchschnittsnote 4,2 sehr schlecht bewältigt. Sie sind Professorin für | |
| Mathematikdidaktik. Hat Sie das überrascht? | |
| Gabriele Kaiser: Das ist eine komplexe Geschichte. Wir schreiben 2017 das | |
| erste bundesweite Zentralabitur. Nun ist Hamburg das einzige Land, das | |
| komplett alle Aufgaben aus dem zentralen Pool nehmen wird. Das kann man | |
| kritisch sehen. | |
| Wieso? | |
| Alle anderen Länder mischen dies. Sie nehmen in den nächsten Jahren teils | |
| Aufgaben aus dem Pool und teils eigene. So gibt es einen weicheren | |
| Übergang. Die Vorklausur entsprach – soweit man dies von Außen beurteilen | |
| kann – den Pool-Aufgaben des Zentralabiturs. | |
| Also macht Hamburg es sich künstlich schwer. Warum? | |
| Der Schulsenator hat geäußert, er wolle sehen, wo Hamburg steht. Er hat | |
| daher die verpflichtende Vorklausur eingeführt. Die Maßnahmen, die jetzt | |
| ergriffen werden, wie zusätzliche Übungskurse in den Ferien, sind positiv. | |
| Ich hörte von einem Kollegen aus Thüringen, er beneide uns, weil sie dort | |
| gar nicht wissen was auf sie zukommt. | |
| War Hamburgs Mathe-Abitur bisher zu leicht? | |
| Nein. Hamburg hatte eine andere Aufgabenkultur. Das waren sehr schöne und | |
| anspruchsvolle Aufgaben, bei denen Mathematik auf den Alltag angewendet | |
| wird. Zum Beispiel mit Hilfe der Linearen Algebra das Wachstum einer | |
| Zierfischpopulation in Australien berechnen. Auf diese Aufgaben war Hamburg | |
| auch stolz. Es gibt Pisa-Kritiker, die sagen, man kann die leicht lösen, | |
| wenn man gut lesen kann. Aber das stimmt nicht. | |
| Was macht Bayern anders? | |
| In Bayern und Baden-Württemberg werden Lösungsalgorithmen mehr in den | |
| Vordergrund gestellt, an Stelle von Sachkontexten. Es machen dort auch | |
| weniger Schüler Abitur. | |
| Es wurde eine Liste mit Klausur-Schnitten der Schulen publiziert. Ist das | |
| nicht unfair? Dies sind immerhin die Schüler, die sich Mathe als | |
| Prüfungsfach zutrauen. | |
| Ja. Hier wird das Fach Mathematik zu Unrecht an den Pranger gestellt. Es | |
| besteht die Gefahr, dass wir die, die wir halten wollen, auch noch | |
| verlieren. | |
| Man hört oft, Hamburg ist gut in Englisch und schlecht in Mathe. Fehlt uns | |
| das Mathe-Gen? | |
| Ganz sicher nicht. Aber es gab in Studien schon in den 1960ern ein | |
| Nord-Süd-Gefälle. Es gibt ein Bündel von Gründen. Bildung, die Idee von | |
| Luther, Beruf oder die Berufung durch Bildung zu erwerben, spielte im Süden | |
| Deutschlands schon immer eine größere Rolle. Dort gab es schon im 14. | |
| Jahrhundert Universitäten. Hamburgs Uni ist knapp 100 Jahre jung. Die | |
| Kaufleute konnten zwar rechnen, aber die Hafenarbeiter kaum. Hinzu kommt, | |
| dass Hamburg knapp 50 Prozent Kinder mit – im weiteren Sinne – | |
| Migrationshintergrund hat, die Nachteile im Unterricht haben. Da müssen wir | |
| ansetzen. Auch Münchner Schüler erbringen schlechtere Leistungen als die im | |
| Umland. Vergleicht man Großstädte, ist der Unterschied gering. | |
| Hakt es in der Lehrerbildung? | |
| Ja. Hamburg hat hier Versäumnisse, die jetzt mit den Empfehlungen der | |
| Lehrerbildungskommission angegangen werden. In den alten Haupt- und | |
| Realschulen, die heute Stadtteilschulen sind, wurde bis in die 8./9. Klasse | |
| Mathematik vom Klassenlehrer unterrichtet statt von Fachlehrern. Hamburg | |
| hat viel zu lange am stufenübergreifenden ‚Lehramt Grund- und Mittelstufe‘ | |
| festgehalten. | |
| Nun sollen künftige Grundschullehrer auch Mathe studieren. Ist das nicht | |
| überzogen? | |
| Es wird einen Kulturschock geben, aber es wird ja spezielle Angebote geben, | |
| so wie heute für Gymnasiallehrer auch. | |
| Reichen für die Grundschule nicht die vier Rechenarten? | |
| Mathematik ist wie Deutsch eine wichtige Kulturtechnik. Es reicht nicht das | |
| Einmaleins, man muss schon ein vertieftes Verständnis haben, wissen, dass | |
| Division die Umkehrung der Multiplikation ist. In unseren Seminaren sitzen | |
| angehende Lehrer, die haben Angst vor Mathematik. Wir brauchen Lehrer, die | |
| ihr Fach lieben, es auch verstehen und mit Freude unterrichten. | |
| 29 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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