| # taz.de -- Debatte Deutsche Identität: Der Wunsch nach Heimat | |
| > Grundrechte, Rechtsstaat, Selbstbestimmung und Freiheit: In unserem | |
| > Grundgesetz steckt alles, worauf wir als Deutsche stolz sein können. | |
| Bild: Das alles ist Deutschland … | |
| Meinland – was bitte soll denn das sein? Wer sich politisch links verortet, | |
| hat mit Begriffen wie Patriotismus oder Vaterlandsliebe traditionell nichts | |
| zu schaffen. Dieses Land mit seiner furchtbaren Geschichte und | |
| Schuldbeladenheit, so der Konsens der in den sechziger und siebziger Jahren | |
| Geborenenen, kann man nicht lieben. Allem Deutschen begegnet man besser mit | |
| Vorsicht. „Stolz“ darauf, Deutsche/R zu sein, waren bisher nur die extrem | |
| Rechten, die offensiv mit Fahnen wedelten; für progressive Menschen dagegen | |
| war Schwarz-Rot-Gold eine staatsbürgerliche Notwendigkeit – aber kein | |
| Identifikationsmerkmal. | |
| Die Deutschen, die sich ihres Deutschseins schämten, suchten ihre Heimat im | |
| progressiven Weltbürgertum, im Europäersein oder im Regionalen. Und für | |
| viele, auch die Verfasserin dieser Zeilen, erweckte die gern bei linken | |
| Demos skandierte Parole „Kein Gott! Kein Staat! Kein Vaterland!“ allemal | |
| mehr positive Gefühle als ein Land, das man – so man nicht bekennendeR | |
| AnarchistIn war – zwar als Staat akzeptierte, aber keinesfalls als Heimat- | |
| oder gar „Vaterland“. Die Hoffnung vieler politisch links Stehender bestand | |
| vielmehr darin, dass sich im Zuge der gesellschaftlichen Modernisierung, | |
| Globalisierung und Individualisierung das mit der Religion und dem | |
| Nationalstaat bald erledige – sodass bald gar keineR mehr ein Vaterland | |
| brauche. | |
| Diese Hoffnung hat sich gründlich zerschlagen. Weltweit befinden sich die | |
| Religionen auf dem Vormarsch, auch in Deutschland sehen Studien wie der | |
| Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung die religiöse Bindung der | |
| deutschen Bevölkerung als stabil an – mit steigender Tendenz im Osten. Auch | |
| der Nationalstaat ist wieder en vogue. Sogar in Deutschland. Patriotismus, | |
| das haben die vergangenen Jahre gezeigt, in denen Rechtspopulisten und | |
| selbst ernannte Patrioten Massenerfolge feierten, ist offenbar doch kein | |
| Auslaufmodell – nicht einmal in Deutschland, wo man sich lange immun | |
| gegen jedwede nationale Gefühligkeit wähnte. Die Macht der Gefühle wurde | |
| grob unterschätzt, besonders von der Linken: Das Bedürfnis nach einer | |
| nationalen Identität, nach einer Erzählung vom Deutschsein, sich selbst und | |
| anderen gegenüber, ist wichtig. | |
| Gerade in einem Einwanderungsland, in dem sich Homogenität der Herkunft, | |
| des Glaubens in eine Vielschichtigkeit auflöst, braucht es ein | |
| identitätsstiftendes Narrativ: eine positive Erzählung darüber, was eine | |
| Gesellschaft prägt, was sie ausmacht, wer sie sein will. Eine solche | |
| Erzählung anzubieten hat die mittelschichtsdominierte Linke bisher | |
| versäumt, die Notwendigkeit dafür wurde schlicht unterschätzt. | |
| Ortsverbundenheit, Geborgenheit – solcher vermeintliche Gefühlskitsch | |
| passte schlicht nicht zum eigenen Freiheitsnarrativ. | |
| ## Ankerpunkte, Rituale, Symbole | |
| Einen ganz dezenten Stolz auf den Wohlstand und die wirtschaftlichen | |
| Leistungen Deutschlands durfte man schon mal äußern, klar. Spätestens seit | |
| dem Fußballsommer 2006 ist auch eine Art deutscher Sport-und | |
| Event-Patriotismus bis hinein ins Mitte-links-Spektrum salonfähig: Stolz | |
| auf die Leistung der deutschen Fußball- oder Schwimm-Mannschaft ist in | |
| Ordnung, auch bei der Berlinale oder beim Nobelpreis ist es okay, für | |
| deutsche Beiträge und KandidatInnen die Daumen zu drücken – immer im Rahmen | |
| des Fair Play, versteht sich. Und wenn deutsche Fußballnationalspieler mit | |
| Migrationshintergrund die Hymne nicht mitsingen, runzeln inzwischen sogar | |
| manche Linke die Stirn. | |
| Individualität und Freiheit sind etwas Tolles, doch sie brauchen eben auch: | |
| Ankerpunkte, Rituale, Symbole. Die Unbehaustheit der Moderne macht vielen | |
| Menschen Angst, nicht nur verängstigten Kleinbürgern. Kluge | |
| linksalternative Ministerpräsidenten wie Bodo Ramelow in Thüringen und | |
| Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg wissen das – und kleiden ihre | |
| progressive Politik in die sonst von Konservativen besetzte Rolle des | |
| Landesvaters, der Region und Tradition wertschätzt – und sogar den Glauben | |
| an Gott. | |
| Abseits dieses regionalpatriotischen Sonderwegs gibt es aber noch immer | |
| keine linken Angebote für BürgerInnen dieses Landes, die für sich eine | |
| Antwort darauf finden wollen, was Deutschsein heute bedeutet. Das ist umso | |
| ärgerlicher, als das einzige große Identitätsangebot von ganz rechts kommt. | |
| Seit Herbst 2014 marschieren „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung | |
| des Abendlandes“ durch deutsche Städte, seit 2013 verspricht die | |
| „Alternative für Deutschland“ ihren WählerInnen mehr Deutschland und | |
| weniger Europa. Doch die Narrative der Rechten spalten das Land. Sie wollen | |
| Eingewanderten, Minderheiten und Muslimen nicht zugestehen, „echte“ | |
| Deutsche zu sein. Für ein Land, in dem jetzt schon 16 Millionen Menschen | |
| einen Migrationshintergrund haben und in dem künftig knapp zwei Drittel der | |
| Kinder in den großstädtischen Schulklassen Einwandererkinder sind, ist das | |
| eine verheerende Erzählung. | |
| Eine neue muss her, die der Lebensrealität im Land gerecht wird und zu mehr | |
| Zusammenhalt führt. Was aber soll das sein, Patriotismus ohne „Deutsche | |
| gegen Ausländer“, ohne Gott und Vaterland? | |
| ## Das Verfassungs-Deutschland | |
| Das in den achtziger und neunziger Jahren bemühte Leitbild der | |
| Multikulti-Gesellschaft ist es jedenfalls nicht; das Konzept eines | |
| gleichberechtigten Zusammenlebens aller Ethnien mogelte sich um eine | |
| Konzeption des Deutschseins einfach herum. Will man die Realität unserer | |
| multiethnischen Gesellschaft aber nicht nur anerkennen, sondern auch | |
| emotional zusammenfügen, dann muss Schluss sein mit dem linken Igittigitt. | |
| Es braucht einen neuen Patriotismus, der sich kritisch, aber eben auch | |
| liebevoll mit diesem Land befasst. | |
| Herfried und Marina Münkler führen in ihrem Buch „Die neuen Deutschen“ f�… | |
| Merkmale des Deutschen auf: Bereitschaft zur Selbstsorge, Leistungswille, | |
| Religion als Privatangelegenheit, die Wahl der Lebensform und des Partners | |
| als Entscheidung des Einzelnen und das Bekenntnis zum Grundgesetz. | |
| Besonders der letzte Punkt könnte sich zu einem neuen | |
| Verfassungspatriotismus „mit Herz“ ausbauen lassen. In unserem Grundgesetz | |
| steckt alles, worauf wir als Deutsche stolz sein können: die Garantie der | |
| Grundrechte, die Unabhängigkeit des Rechtsstaats, die Selbstbestimmung der | |
| Regionen. Und die Freiheit zur Entfaltung einer selbstbewussten und starken | |
| Zivilgesellschaft. Das Verfassungs-Deutschland hat eine Flagge, eine Hymne, | |
| es braucht aber auch eine neue „Leitkultur“. Freilich nicht eine kulturell | |
| und ethnisch ausschließende, wie sie konservative bis nationalistische | |
| Politiker fordern. Sondern eine, die gleichermaßen den Erzählungen, | |
| Traditionen, Literaturen und Gewohnheiten der Einwanderer Raum bietet. | |
| Es muss niemandem Angst machen, wenn in deutschen Schulen Weihnachten und | |
| Zuckerfest gefeiert werden, wenn die Literatur türkischer Einwanderer | |
| ebenso zum Deutschunterricht gehört wie Schiller. Allerdings muss auch klar | |
| sein, dass dieses neue Deutschland nicht nur ein gemütliches Land ist, dass | |
| sich der Rechtsstaat gegen grundgesetzgefährdende Aktivitäten wie | |
| Salafismus und Reichsbürgertum entschieden verteidigt; dass Polizei und | |
| Justiz in der Lage sein müssen, sich gegen ihre Aushöhlung zu wehren. | |
| Ein solches Vaterland, das auch Mutterland ist, Heimat und | |
| Partizipationsangebot, Sozialstaat und globaler Wirtschaftakteur, das | |
| könnte vielleicht auch wieder ein bisschen geliebt werden von denen, die | |
| mit gutem Grund nicht an die Überlegenheit der deutschen Nation glauben – | |
| wohl aber an die guten Seiten ihres Landes. | |
| 25 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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