| # taz.de -- Zum Zustand der Demokratie: Von wegen verdrossen | |
| > Bei niedriger Wahlbeteiligung wird schnell von Politikverdrossenheit | |
| > gesprochen. Ist das fair? Erfahrungen aus meinland. | |
| Bild: Sagt die Wahlbeteiligung etwas über den Zustand der Demokratie aus? | |
| Sätze wie „Wir beobachten eine wachsende Politikverdrossenheit“ lieben die | |
| etablierten Parteien am Tag nach einer Wahl. Es sind schließlich die | |
| Bürger, die „wahlmüde“ sind, die sich von der Demokratie abwenden. Die den | |
| Luxus von freien Wahlen nicht zu schätzen wissen. Symptome einer | |
| demokratieüberdrüssigen und freiheitsverwöhnten Wohlstandsgesellschaft | |
| sozusagen. Oder: postdemokratische Arroganz. | |
| Zum Glück ist das jetzt vorbei. Seit Martin Schulz haben die Deutschen | |
| wieder Lust auf Demokratie. Da liest man plötzlich in der Zeit über „Die | |
| Rückkehr des Politischen“. Über steigende Mitgliedszahlen der SPD und über | |
| die Jungen, die Politik wiederentdecken. Ein Ende der Politikverdrossenheit | |
| ist also in Sicht. Danke, Martin! | |
| Muss man einer Partei angehören, um sich für Politik zu interessieren? Oder | |
| reicht es vielleicht schon, über Inhalte zu streiten, Ideen auszutauschen, | |
| zuzuhören? Und macht nicht genau das die Grundlage einer demokratischen | |
| Gesellschaft aus? | |
| Seit Januar reisen wir mit [1][taz.meinland] durch die Republik, wir machen | |
| Halt an Orten wie Crottendorf und Schleife und hören einfach zu. Und die | |
| Menschen, denen wir da zuhören, wirken unverdrossen – | |
| „politikunverdrossen“, könnte man fast sagen. Die streiten, engagieren | |
| sich, haben Ideen, demonstrieren, und die wenigsten, die wir kennengelernt | |
| haben, sind Mitglieder in Parteien. | |
| Aber sie wirken auch oft enttäuscht, ratlos. Was sie stört, ist, dass ihr | |
| Engagement meist nicht gehört wird. Dass „die da oben“ – und damit sind … | |
| der Regel die etablierten Parteien gemeint – ihren lokalen Aktivitäten | |
| einen Strich durch die Rechnung machen. Ein Paar Beispiele von unserer | |
| meinland-Tour. | |
| ## Integration in Crottendorf | |
| Crottendorf im Erzgebirge. „Fahrt da nicht hin, das ist Dunkeldeutschland“, | |
| wurde uns gesagt. Aber hier sind die Menschen nicht nur stolz auf ihre | |
| Räucherkerzen, sondern auch auf gelungene Integration. Eine Familie aus dem | |
| Kosovo wurde nach anfänglicher Skepsis zu einwandfreien Erzgebirglern | |
| erzogen. Dann kam die Abschiebung. Plötzlich war die Familie weg. | |
| Und die Crottendorfer fragen sich zu Recht: Wofür der Aufwand? Wenn die | |
| Bundesregierung das letzte Wort hat. Wenn Politiker zunächst lokales | |
| Engagement bei der Integration fordern, Ehrenamtliche und Bürger sich | |
| bemühen und die Bundesregierung am Ende ein Herkunftsland für sicher | |
| erklärt und die neu integrierte Familie aus dem Land weist. | |
| Schleife in der Oberlausitz, ein Dorf umringt von Braunkohleabbaugebieten. | |
| Bei der taz.meinland-Veranstaltung sprachen Gegner und Befürworter der | |
| Braunkohle erstmals seit einem Jahr wieder miteinander. Trotz großer | |
| Differenzen gibt es Kompromissbereitschaft. Man würde sich auf ein | |
| Ausstiegsdatum einigen, Alternativen fördern und über eine neue Nutzung der | |
| Abbauflächen reden. | |
| Doch auch hier hat Berlin das letzte Wort. „Das wird ja sowieso über unsere | |
| Köpfe hinweg entschieden“, sagte eine Teilnehmerin. Wenn das | |
| Wirtschaftsministerium entscheidet, morgen ist Schluss mit der Kohle, dann | |
| kann es noch so viele lokale Initiativen geben. Sie würden über den Haufen | |
| geworfen werden. | |
| ## Frieden für Ramstein | |
| Ähnlich sieht es in Ramstein aus. Hier hat taz.meinland mit den Bewohnern | |
| über die Airbase gesprochen. Es gibt unzählige Initiativen gegen die | |
| Militärbasis der Amerikaner. Konversionsideen, wirtschaftliche | |
| Alternativen, Friedensprojekte mit Amerikanern, eine Menschenkette. Alles | |
| großartige Aktionen. Doch im Endeffekt ist es die Bundesregierung, die eine | |
| Schließung der Airbase beantragen müsste. Stattdessen hat sie gerade die | |
| Stationierung von weiteren Tankflugzeugen beschlossen. Und das muss nicht | |
| die Bundesregierung, sondern der örtliche Bürgermeister den Menschen | |
| erklären. | |
| Sicher, Protestaktionen, Bürgerbewegungen, Petitionen – sie alle können | |
| politische Entscheidungen beeinflussen. Siehe TTIP. Doch dafür muss in der | |
| Regel erst eine bundesweite Aufmerksamkeit, eine Art nationales | |
| Bewusstsein entstehen. Ansonsten bleiben sie oft unsichtbar und in Fällen, | |
| in den sie von solchen Entscheidungen abhängig sind, wirkungslos. | |
| Trotzdem kehren die Menschen, die wir bei unserer Tour kennengelernt haben, | |
| der Demokratie nicht den Rücken. Sie wollen sie verbessern. Oft tun sie | |
| das, ohne auf die etablierten Parteien zu setzen, die AfD inbegriffen. Sie | |
| schaffen eigene, partizipative Formate – so wie die | |
| meinland-Veranstaltungen. Denn dort kann man nicht nur eine Stimme, sondern | |
| auch eine Meinung abgeben. | |
| 25 Apr 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Paul Toetzke | |
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