# taz.de -- Tag der Offenen Gesellschaft am 17. Juni: Zivilgesellschaft backen | |
> Die Vorbereitungen für das Event laufen auf Hochtouren. Bei einer | |
> Veranstaltung in Berlin mit Harald Welzer nimmt das Konzept Form an. | |
Bild: Miteinander essen und reden am Mittwoch in Berlin | |
BERLIN taz | Auf Tischen stehen verschiedene Brote und Brötchen, Käse und | |
Wurst, Bier und Limonade. An einer langen Tafel mit Bierbänken wird zum | |
Abendbrot geladen – und dazu, für die Demokratie in Deutschland einzustehen | |
und sie zu verteidigen. | |
Statt in einer kulturellen Einrichtung oder einer großen Halle, traf man | |
sich diesen Mittwoch im Domberger Brot-Werk in Moabit, beim sogenannten | |
„Bäcker der Offenen Gesellschaft“. Ein Ort, der ganz bewusst ausgewählt | |
wurde: die gedeckten Tafeln und das gemeinsame Essen sind das Konzept einer | |
Initiative, die am 17. Juni auf diese Art den „Tag der Offenen | |
Gesellschaft“ einführen und feiern will. In ganz Deutschland. | |
„Vielleicht schaffen wir es, das größte Dinner der Welt zu veranstalten. | |
Als Zeichen für eine einladende Gesellschaft“, erklärt Sozialpsychologe und | |
Vorstand der [1][„Initiative Offene Gesellschaft“] Harald Welzer. Um das zu | |
erreichen, müssten sich die Menschen persönlich begegnen und miteinander | |
ins Gespräch kommen. Bisher habe man seiner Auffassung in Deutschland auch | |
schon viel erreicht: „Wir werden nach der Wahl keine rechtspopulistische | |
Partei in der Regierung haben.“ | |
Zweifelndes Lachen aus dem Publikum. „Ich bin mir sicher“, erwidert Welzer. | |
„Will jemand wetten?“ | |
## Brexit, Trump, Erdogan | |
Klar ist jedoch, dass das Ziel noch lange nicht erreicht ist. In den | |
Gesprächen an den Tafeln geht es auch um Erfahrungen mit rassistischen und | |
Hass-Kommentaren in Sozialen Netzwerken; darum, dass Freunde und Bekannte | |
plötzlich Dinge äußern, die nicht mit den eigenen Vorstellungen einer | |
vielfältigen und offenen Gesellschaft zusammenpassen. | |
Die US-Wahl, der Verfall der Demokratie in der Türkei, der Brexit, | |
brennende Unterkünfte für Geflüchtete in Deutschland. Ereignisse, die | |
spürbar für Nervosität im Land sorgen; für kontroverse Debatten und Unruhe. | |
Für eine funktionierende Zivilgesellschaft müsse man daher aufstehen, darin | |
scheinen sich im Brot-Werk alle einig zu sein. Demokratie existiere nur, | |
solange man auch dafür einstehe. | |
Die UnterstützerInnen der Initiative sind bereits zahlreich: Ob | |
Politikwissenschaftler Andre Wilkens, Esra Küçük, Gründerin der Jungen | |
Islamkonferenz und Leiterin des Gorki Forums, Schauspielerin Katja Rieman | |
oder Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland. Das finanzielle | |
Fundament der Kampagne bilden die Bertelsmann-Stiftung, die | |
Robert-Bosch-Stiftung sowie die Open Society Foundation. | |
## Schule greift zu spät | |
Die taz ist ebenso Partner des Projekts. Unter dem Titel [2][„taz.meinland | |
– taz on tour für die offene Gesellschaft“] reisen wir durch die | |
Bundesrepublik, besuchen bis zur Wahl im Herbst etwa 50 unterschiedliche | |
Regionen und Städte, kommen ins Gespräch und diskutieren. | |
Auch die 17-Jährigen Selin Can und Anna-Lena Kümpel haben die Veranstaltung | |
besucht. In ihrer Schule, dem Beethoven-Gymnasium in Lankwitz, haben sie | |
sich in einem Projekt mit Geflüchteten engagiert, das ein Lehrer der Schule | |
initiierte. „Ich glaube gerade jetzt, da viele aus unserem Freundeskreis | |
zum ersten Mal wählen gehen dürfen, fangen viele an, sich für Politik zu | |
interessieren“, erzählt Can. Sie selbst habe zwei Wochen nach der | |
diesjährigen Bundestagswahl Geburtstag. | |
Im Schulunterricht würden politische Themen und Demokratiearbeit oft erst | |
viel zu spät thematisiert, kritisieren die beiden Schülerinnen, die einen | |
Politik-Leistungskurs besuchen. Was Demokratie im Alltag bedeute und wie | |
man sich aktiv beteiligen könne, falle oft unter den Tisch. | |
## Hohe Anteilnahme | |
Gerade auf den Jugendlichen von heute scheint eine große Verantwortung zu | |
liegen: sie werden diejenigen sein, die die Gesellschaft von morgen | |
gestalten. Can und Kümpel haben davon allerdings schon konkrete | |
Vorstellungen.„Eine offene Gesellschaft heißt für mich miteinander zu | |
kommunizieren“, sagt Kümpel. „Man darf keine Mauer um sich herum ziehen.“ | |
„Das wichtigste ist für mich tolerant zu sein und jeden so zu akzeptieren, | |
wie er ist“, meint Can. Nach dem Abend steht für die jungen Frauen fest: | |
Auf ihrem Schulhof soll am 17. Juni auch eine Tafel aufgestellt werden. | |
„Etwa 70 Institutionen und Dachverbände engagieren sich schon als | |
Unterstützende der Aktion und etwa 200 Einzelpersonen haben Interesse | |
gezeigt, eine Tafel zu organisieren“, erzählt Mascha Roth, Koordinatorin | |
des Tags der Offenen Gesellschaft. Man erwarte einige hunderttausend | |
TeilnehmerInnen, vielleicht eine Millionen. | |
„Manchmal haben wir auch schon von 20 Millionen gesprochen“, meint Roth | |
lachend. „Wichtig ist uns aber eigentlich nur, dass die Tafeln an ganz | |
vielen unterschiedliche Orte stattfinden, auch und vor allem in kleineren | |
Gemeinden.“ | |
Roth wohnte noch bis zum Brexit in London. Nach dem Referendum seien vor | |
allem die jungen Briten in ihrem Umfeld fassungslos gewesen, erzählt die | |
28-Jährige heute. Für sie stand nach der Entscheidung fest, dass sie zurück | |
nach Deutschland ziehen wird. „Ich wollte hier schon vorher etwas bewegen. | |
Bevor es zu spät ist und sich danach jeder fragt: Wie konnte es dazu | |
kommen?“ | |
Um sich die Frage nicht stellen zu müssen, sollen daher die Werte der | |
offenen Gesellschaft gefeiert werden: Freiheit, Demokratie und | |
Rechtsstaatlichkeit. Der Tag fällt gleichzeitig in dem Ramadan – und soll | |
so auch ein Aufruf zum gemeinsamen Fastenbrechen sein. Wichtig sei den | |
InitiatorInnen, eine gemeinschaftliche Atmosphäre zu schaffen. Und, wie | |
Ulrich Lilie bemerkte: „Gibt es dafür etwas friedlicheres als einen | |
gedeckten Tisch?“ | |
20 Apr 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.die-offene-gesellschaft.de/ | |
[2] /!p5029/ | |
## AUTOREN | |
Ann-Kathrin Liedtke | |
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