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# taz.de -- taz.meinland in Rühn: Zwischen Erschöpfung und Euphorie
> Im Kloster in Rühn in Mecklenburg-Vorpommern kamen Menschen zusammen, die
> neue Konzepte für den ländlichen Raum entwerfen.
Bild: Die Menschen leiden unter der Abwanderung: die taz-Gesprächsrunde im Klo…
Rühn taz | So wie Sarah denken viele junge Menschen auf dem Land: „Ich will
auf keinen Fall hier bleiben.“ Keine Jobs, keine Freizeitangebote, keine
Perspektive. Die junge Frau – zierlich, blondierte Haare, dunkel
geschminkte Augen – wohnt in Bützow. Leer stehende Häuser mit zersprungenen
Fenstern und schiefen Türen zeigen, dass in der Kleinstadt in Mecklenburg
noch viel zu tun ist. „Hier ist einfach nichts los“, erzählt sie. „Und
Bützow ist noch eine der größeren Städte hier.“
Die taz sagt: Wir müssen reden. Bis zur Bundestagswahl im September tourt
taz.meinland deshalb durch die Republik. Wir wollen wissen: Was ist hier
eigentlich los?
Dieses Mal in Rühn. In Dörfern leben immer weniger und immer ältere Leute.
In Mecklenburg-Vorpommern wurden seit 2007 fast 50 Schulen geschlossen –
rund neun Prozent aller öffentlichen Schulen. Um dem demografischen Wandel
etwas entgegenzusetzen, luden die Menschen hier Künstler ein, eröffneten
ein Dorfcafé, richteten eine offene Werkstatt oder Fahrgemeinschaften ein.
Aber solche ehrenamtlichen Initiativen kosten Kraft.
In Rühn kamen am Dienstag wichtige Akteure der Region zusammen, um darüber
zu sprechen, woher diese Kraft eigentlich kommt.
Im September war taz.meinland in Güstrow zu Gast, 23 Kilometer von Rühn
entfernt. Es ging um Rechtsextremismus in Ostdeutschland, um völkische
Siedler. „Als mir meine Tochter aus Berlin erzählte, dass Güstrow dort als
No-go-Area gilt, war ich fassungslos“, sagt Heidemarie Beyer, ehemalige
SPD-Landtagsabgeordnete. Sie war damals auf der Veranstaltung der taz
dabei. Ihr sei an dem Abend der Kragen geplatzt. Sie schrieb eine Mail und
lud die taz ein, Mecklenburg von einer anderen Seite kennenzulernen. „Ich
dachte mir: Wir sind doch mehr Menschen als nur die Rechtsradikalen.“
## Es passiert einiges
Zustimmendes Nicken im Kloster Rühn. Mehr als 60 Menschen sind an diesem
Dienstag gekommen, neun geladene Gesprächsteilnehmer und die
taz-KollegInnen Jakob Werlitz und Luise Strothmann. Letztere ist selbst in
der Gegend aufgewachsen, sie hatte die Gesprächsrunde zusammengestellt.
Die Menschen hier sind sich einig: Es passiert einiges. In Bernitt, einem
500-Einwohner-Dorf, eröffnete vor knapp einer Woche ein neuer Dorfladen.
Hans-Georg Harloff vom Klosterverein Rühn setzt sich seit Jahren für die
Renovierung des Klostergeländes ein, auf dem sich schon eine Gaststätte
angesiedelt hat. Gottfried Hägele vom PferdemarktQuartier in Bützow
versucht den Leerstand in seiner Stadt zu bekämpfen und will die Mobilität
stärken, indem er sich für Rufbusse einsetzt.
Dass solche Initiativen oft von außen kommen, wird in der Diskussion
schnell deutlich. Es kommt die Frage auf: „Wie viele echte Mecklenburger
sind denn hier?“ Gelächter. Die meisten sind Zugezogene. Doch woran liegt
es, dass sich vor allem die engagieren, die neu in der Region sind? „Man
kann als Außenstehender aus einem anderen Blickwinkel auf die Probleme
schauen“, meint Takwe Kaenders vom Verein Rothener Hof. „Und außerdem hat
man noch die Energie, etwas zu verändern.“
„Man will sich als Fremder besonders anstrengen, sich zu integrieren“,
ergänzt Gottfried Hägele. Er ist Schwabe, seine Frau Mecklenburgerin. Trotz
aller Euphorie an diesem Abend räumt er auch Erschöpfung ein: „Manchmal
fühlt man sich wie ein Ackergaul. So ein Ehrenamt ist auch anstrengend.“
„Ich engagiere mich. Ich finde es schön hier. Aber ich gehe trotzdem weg“,
sagt Friethjof Schulz während der Diskussion. Mecklenburg könne junge
Menschen einfach wenig bieten. Kein Kino in der näheren Umgebung, keine
Clubs oder Theater. Er selbst hätte zwar Filmabende für die Gemeinde
organisiert, aber einfach mal spontan ins Kino gehen? Das geht nicht.
Das Problem sei doch nicht, dass junge Menschen weggehen würden, erwidert
Barbara Wetzel vom Verein Allerhand Qualitz. Es sei sogar gut, wenn sie
weggingen, um neue Eindrücke zu sammeln. Das Wichtige sei doch, dass sie
irgendwann wiederkehren.
„Die Ehrenämter müssen längerfristig vor allem neue Jobs schaffen“, sagt
Harloff. „Wir müssen Arbeitsplätze direkt in den Gemeinden selbst
einrichten. Nicht nur in den Städten. Das ist die einzige Chance, die
Mecklenburg hat.“
Am Ende der Aussprache geht es dann doch auch um den Umgang mit
Rechtsradikalen, die Integration von „Fremden“. Sophia Schützler, die schon
als Jugendliche Theatercamps in Mecklenburg organisierte, bringt die
Beobachtungen auf den Punkt: „Ich muss sagen, dass wir alle ziemlich weiß
sind. Das darf man nicht einfach übersehen, wenn wir hier über Integration
sprechen.“
7 Dec 2016
## AUTOREN
Ann-Kathrin Liedtke
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Demografie
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