# taz.de -- Debatte Regierung in Birma: Not ladylike | |
> Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi enttäuscht mit ihrer | |
> bisherigen Politik. Vor allem die ethnischen Minderheiten hatten sich | |
> mehr erhofft. | |
Bild: Ringt bisher viel mit dem Militär: Aung San Suu Kyi | |
Im Nordosten Birmas (Myanmars) bekamen zwei Baptistenpfarrer der | |
Kachin-Minderheit am 24. Dezember einen Anruf aus der lokalen Armeekaserne. | |
In der Region an der Grenze zu China herrscht seit 2011 wieder Krieg | |
zwischen der Kachin Independent Army (KIA) und dem Militär. Ab November | |
bombardierte die (buddhistische) Armee den Ort Mong Ko und soll dabei auch | |
eine katholische Kirche getroffen haben. 4.000 Menschen flohen ins | |
benachbarte China. | |
Tage vor dem Anruf hatten die Pastoren Journalisten die zerstörte Kirche | |
gezeigt und zu Opfern geführt. Nun verlangte der Anrufer, die Pastoren | |
sollten zur Kaserne kommen und der Freilassung von Zivilisten beiwohnen. | |
Die Pastoren folgten. Seitdem sind sie verschwunden. | |
Menschenrechtsorganisationen verdächtigten das Militär. Das Amt von Birmas | |
Präsidenten, einem Vertrauten von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu | |
Kyi, behauptete jedoch, Rebellen hätten die Pastoren entführt. Erst am 19. | |
Januar erklärte das Verteidigungsministerium, das Militär halte die | |
Pastoren gefangen. Sie seien Informanten, Rekruteure und Finanziers der | |
Rebellen. | |
Der Fall ist symptomatisch für die Situation in Birma unter der de facto | |
von Aung San Suu Kyi geführten Regierung. Das Militär untersteht nicht der | |
Regierung, sondern agiert autonom. Ein Viertel der Parlamentssitze und die | |
Ministerien für Verteidigung, Inneres und Grenzsicherung besetzen die | |
Generäle selbst. Aung San Suu Kyi kämpfte jahrelang gegen die Lügen des | |
Militärs, das sie 15 Jahre unter Hausarrest stellte. Doch seit die | |
Freiheitsikone Ende März nach ihrem grandiosen Wahlsieg als Staatsrätin die | |
Regierung übernahm – das Präsidentenamt ist ihr laut Verfassung ihrer | |
ausländischen Kinder wegen verwehrt –, verteidigt ihre Regierung das | |
Vorgehen des Militärs. | |
Das zeigt sich besonders gegenüber den Minderheiten. Zwanzig bewaffnete | |
Gruppen ethnischer Minderheiten kämpfen in Birma für Autonomie. Direkt nach | |
der Unabhängigkeit 1948 begann der Bürgerkrieg, inzwischen der am längsten | |
dauernde der Welt. Hier hat „die Lady“, wie Aung San Suu Kyi in Birma | |
genannt wird, zweifellos ein schwieriges Erbe übernommen. | |
Mit einer neuen Panglong-Konferenz, benannt nach dem von ihrem ermordeten | |
Vater, dem Unabhängigkeitshelden, initiierten Vorläufer, will sie eine | |
Lösung finden. Doch inhaltlich unterscheidet sich ihr Vorgehen kaum von dem | |
der Generäle. Die drängten schon 2015 zur Unterzeichnung eines | |
Waffenstillstands. Dem schlossen sich aber nur die Hälfte der bewaffneten | |
Gruppen an. Die anderen lehnten es ab, zunächst den Waffenstillstand zu | |
unterzeichnen und erst danach über politische Reformen zu verhandeln. Denn | |
das Militär hatte schon mehrfach Versprechen gebrochen. Auf die vom Militär | |
vorgegebene Reihenfolge besteht jetzt aber auch Aung San Suu Kyi. Manche | |
sehen sie deshalb als Geisel, andere als Handlangerin des Militärs. Der | |
schwedische Birma-Experte Bertil Lintner spricht von einer lokalen Version | |
des „Stockholm-Syndroms“, also des psychologischen Phänomens, dass eine | |
Geisel mit ihren Geiselnehmern sympathisiert. | |
Unter der Friedensnobelpreisträgerin ist Birma dem Frieden nicht näher | |
gekommen. Im Kachin-Staat im Norden und im nordöstlichen Teil des | |
Shan-Staates eskalierte ein bewaffneter Konflikt. Die Zahl der Flüchtlinge | |
wird auf mindestens 100.000 geschätzt. Bei den ethnischen Minderheiten – | |
mindestens 30 Prozent der Bevölkerung – hat Aung San Suu Kyi an Rückhalt | |
verloren. Viele sehen sie nur noch als Vertreterin der dominierenden | |
buddhistischen Birmanen. | |
## Ermunterung zu weiteren Gräueltaten | |
International geschadet hat Aung San Suu Kyis Ansehen der Umgang mit den | |
Rohingyas. Die eine Millionen Menschen starke muslimische Gruppe im Westen | |
des 55-Millionen- Einwohner-Lands wird seit Jahrzehnten diskriminiert und | |
von den meisten Birmanen für illegale Einwanderer aus Bangladesch gehalten. | |
2012 kam es zu Pogromen, Zehntausende Rohingyas flohen. Seitdem leben | |
100.000 von ihnen in gettoartigen Camps – weitgehend ohne Zugang zu Arbeit, | |
Bildung und medizinischer Versorgung. | |
Schon vor ihrem Wahlsieg wurde Aung San Suu Kyi international kritisiert, | |
sich nicht für die Rohingyas einzusetzen. Zu ihrer Entschuldigung wurde | |
stets angeführt, dass sie eine Wahl gewinnen müsse und deshalb zur | |
Diskriminierung der Unbeliebten besser schweige. Im Wahlkampf mobilisierten | |
rechtsnationalistische Buddhisten gegen die Lady. | |
Der Konflikt erreichte am 9. Oktober 2016 eine neue Dimension, als eine bis | |
dahin unbekannte Rohingya-Miliz, die mutmaßlich aus dem Ausland unterstützt | |
wird, neun birmesische Grenzsoldaten tötete. Birmas Armee schlug brutal | |
zurück. Laut Menschenrechtsgruppen wurden mehr als 1.200 Häuser abgebrannt, | |
86 Personen getötet, 450 verhaftet und zahlreiche Frauen vergewaltigt. | |
66.000 Rohingyas flohen nach Bangladesch. Das Militär blockierte Hilfe für | |
die Opfer, derweil die Regierung den Rohingyas vorwarf, ihre Häuser selbst | |
anzuzünden, um der Regierung zu schaden. | |
Insbesondere im muslimischen Malaysia und Indonesien gab es Proteste gegen | |
Aung San Suu Kyis Regierung. Ende Dezember forderten 13 Nobelpreisträger | |
den Weltsicherheitsrat zum Eingreifen auf. Die Ereignisse grenzten an | |
„ethnische Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, schrieben | |
sie. Am 18. Januar stellte auch die UN-Sonderberichterstatterin zu | |
Menschenrechten in Birma, Yanghee Lee, Regierung und Militär ein schlechtes | |
Zeugnis aus. Die Lage habe sich gegenüber ihrem letzten Besuch sechs Monate | |
zuvor verschlechtert, erklärte die Südkoreanerin. Zwei Ohrfeigen also für | |
Birmas Friedensnobelpreisträgerin. | |
Aung San Suu Kyi hat das Militär bisher nicht in die Schranken gewiesen, | |
sondern es indirekt zu weiteren Gräueltaten ermuntert. Sollte der Konflikt | |
mit den Rohingyas, von manchen schon als „Palästinenser Südostasiens“ | |
bezeichnet, weiter eskalieren, könnte Birma zum Ziel internationaler | |
Dschihadisten werden. Die Strategie der Lady, trotz ihres starken Mandats | |
jeglichem Konflikt mit den Generälen aus dem Weg zu gehen, untergräbt ihre | |
eigene Glaubwürdigkeit und ihre Fähigkeit, Reformen durchzusetzen. Dafür | |
müsste sie sich stärker mit der Zivilgesellschaft verbünden, statt allein | |
mit dem Militär zu ringen. | |
27 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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