# taz.de -- Ziele in der Agrarforschung: Klimaneutrale Landwirtschaft | |
> Auf der Grünen Woche wird auch über eine Wende in der Agrarforschung | |
> nachgedacht. Eine Neuausrichtung ist überfällig. | |
Bild: Noch sind wir weit davon entfernt, dass die Lebensmittelproduktion kliman… | |
BERLIN taz | Auf der Grünen Woche, der weltgrößten Landwirtschaftsmesse, | |
die Freitag ihre Tore in Berlin eröffnet, werden am Rande auch neue | |
Erkenntnisse der Agrar- und Ernährungsforschung vorgestellt. Im Hintergrund | |
läuft unter den Experten eine Debatte, welche Neurorientierung für die | |
Agrarforschung angesagt ist. Umweltverbände fordern in einem [1][Memorandum | |
(pdf-Datei)] eine „Forschungswende zur Sicherung der Welternährung“. | |
Die Ökolandwirte wollen das Forschungsprogramm für ökologische | |
Landwirtschaft von 20 auf 60 Millionen Euro verdreifacht sehen. Derweil | |
sieht der Wissenschaftsrat bei der konventionellen Agrarforschung im Hause | |
des Landwirtschaftsministers keinen gravierenden Änderungsbedarf. | |
Der Klimawandel und die wachsende Weltbevölkerung sind für Wilfried Bommert | |
vom Verein „Institut für Welternährung“ die Haupttreiber für einen nöti… | |
„Paradigmenwechsel“ auf Seiten des Wissenschaftssystems. Noch immer fließe | |
der weitaus größte Teil der Forschungsmittel in den „weiteren Ausbau der | |
industrialisierten Landwirtschaft und hochverarbeitenden | |
Ernährungsindustrie“. Allein von den Ministerien der Bundesregierung wurden | |
2015 Mittel in Höhe von 827 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung in | |
den Bereichen Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ausgegeben. | |
Hinzu kommen noch die Gelder von Bundesländern und der Wirtschaft. | |
Vor den großen Aufgaben, die sich mit dem Klimavertrag von Paris und den | |
Nachhaltigkeitszielen der UNO stellen, müsse aber auch der Agrarsektor und | |
dessen Beitrag zur „Transformation in ein postfossiles Zeitalter“ neu | |
definiert werden, meint Bommert als Hauptautor des Papiers. | |
„Nur durch eine Neubewertung sozialökologischer Forschung“, so heißt es im | |
Text, „und eine Neuverteilung der öffentlichen Fördermittel kann die | |
notwendige Forschungs- und Ernährungswende auf den Weg gebracht werden“. | |
## Klimaneutralität ist das Ziel | |
Unterstützt wird das Memorandum vom Bund für Umwelt und Naturschutz | |
Deutschland (BUND), Germanwatch, den Naturfreunden Deutschland sowie Slow | |
Food, eine Organisation für nachhaltige Ernährungskultur. In der kommenden | |
Woche soll es an die zuständigen Ministerien für Forschung und | |
Landwirtschaft übermittelt werden. | |
Zentraler Punkt ist die Umstellung auf eine klimaneutrale Landwirtschaft | |
bis 2050. Auch solle die weltweit überwiegend kleinbäuerliche | |
Landwirtschaft durch Forschungseinsatz gestärkt werden, aus | |
Ernährungsgründen. „Denn hier liegt ein enormes Potenzial für | |
Ertragssteigerungen, die unmittelbar denjenigen zugute kommen, die heute | |
besonders an Hunger und Mangelernährung leiden“. | |
Auch die Versorgungssicherheit der wachsenden Städte müsse eine | |
„zukunftsorientierte Forschung“ im Blick haben. Es gehe in großem Maßstab | |
um die „Rückführung des globalisierten Agrar- und Ernährungssystems in | |
lokale und regionale Kreisläufe“, heißt es im Memorandum. | |
Für die deutschen Äcker und Lebensmittel-Regale will hierbei der „Bund | |
Ökologische Lebensmittelwirtschaft“ (BÖLW) gerne mitarbeiten. In seinem | |
Grundsatzpapier zur Bundestagswahl, das am Mittwoch auf der Grünen Woche | |
vorgestellt wurde, sind ebenfalls forschungspolitische Forderungen | |
enthalten. „Aktuell werden nur 1,5 Prozent der öffentlichen | |
Agrarforschungsmittel in die Forschung zum ökologischen Landbau | |
investiert“, moniert BÖLW-Vorsitzender Felix Prinz zu Löwenstein. Mehr | |
Forschungsgeld sei allein schon deshalb gerechtfertigt, weil der Ökolandbau | |
heute schon sieben Prozent der Agrarfläche bewirtschafte und neun Prozent | |
der Bauernhöfe umfasse. Der Flächenanteil soll nach Willen der | |
Bundesregierung auf 20 Prozent wachsen. | |
## Forschungsbedarf besteht | |
Für Löwenstein ist dazu mehr Forschung unerlässlich. Als Themen nennt er | |
intelligente Anbausysteme mit vielfältigen Fruchtfolgen oder Mischkulturen | |
bis bin zu Agroforstsystemen. Gewünscht wird von den Ökobauern aber auch | |
mehr Forschung zu „modernen Hightech-Pflanzenschutzverfahren wie etwa | |
solarbetrieben Jät-Robotern“ oder für eine „effiziente gesellschaftlich | |
anerkannte Öko-Tierhaltung mit angepassten Rassen“. Auch zur Umstellung der | |
Lebensmittelproduktion auf den Verzicht von künstlichen Zusatzstoffen werde | |
Wissenschaft benötigt. | |
Für die etablierte Agrarforschung steht diese Wissenschaftswende dagegen | |
noch nicht auf der aktuellen Tagesordnung. Das zeigt sich an den | |
Empfehlungen, die der Wissenschaftsrat für die Forschungsinstitute des | |
Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) formuliert hat. | |
Sie werden am Freitag auf der Berliner Sitzung des ranghöchsten | |
Beratungsgremiums für die deutsche Wissenschaftspolitik förmlich | |
beschlossen. | |
Insgesamt ist der Rat mit der Entwicklung der sechs | |
Ressortforschungseinrichtungen zufrieden. Der Wissenschaftsaufwand, den | |
sich das Landwirtschaftsministerium in eigener Zuständigkeit leistet, ist | |
beachtlich. Zu den Einrichtungen zählen das Thünen-Institut (TI) für | |
Ländliche Räume , Wald und Fischerei mit 11 Standorten, das Bundesinstitut | |
für Risikobewertung, das Deutsche Biomasseforschungszentrum (DBFZ) in | |
Leipzig, das Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit, das | |
Julius-Kühn-Institut für Kulturpflanzen (JKI) mit 10 Standorten sowie das | |
Max-Rubner-Institut für Ernährung und Lebensmittel. | |
## Verbesserung der Kommunikation | |
„Die Ressortforschung ist in ihrer derzeitigen Gestalt gut in der Lage, | |
ihren Arbeitsauftrag zu erfüllen“, stellt der Wissenschaftsrat fest. Dies | |
sei im wesentlichen der „Beitrag zur Erfüllung von Gesetzgebungsaufgaben | |
auf nationaler und europäischer Ebene“. Eine Änderung der Struktur, wie | |
etwa nach dem Vorbild Dänemark oder Frankreich, wo die | |
Landwirtschaftsforschung einschließlich Politikberatung von den Hochschulen | |
wahrgenommen wird, will der Wissenschaftsrat für Deutschland nicht | |
empfehlen. Wichtiger ist ihm eine Öffnung nach außen und die Verbesserung | |
der Kommunikation mit den Bürgern. | |
„Die Einrichtungen sollten die Wissenschaftskommunikation stärker als einen | |
Dialog mit der Bevölkerung begreifen, aus dem sie wichtige und notwendige | |
Anregungen und Hinweise für die Ausgestaltung und Weiterentwicklung ihrer | |
Aktivitäten erhalten“, empfiehlt der Wissenschaftsrat und legt den | |
BMEL-Instituten damit das Modell „Citizen Science“ ans Herz. | |
Vielleicht kommt es aber mittelfristig doch zur Infizierung der | |
Mainstream-Forschung mit dem „Wende“-Gedanken, wie ihn derzeit die | |
Öko-Vertreter propagieren. Denn der Wissenschaftsrat schreibt auch, dass er | |
„Verbesserungsbedarf bei der Identifikation neuer Themenfelder oder | |
Risiken“ sieht. „Hierfür fehlt es in den Einrichtungen vielfach an einer | |
systematischen Herangehensweise“. Jede der BMEL-Einrichtungen sollte | |
deshalb nach Empfehlung des Rates „ein übergreifendes, systematisches | |
Wissensmanagement etablieren“, mit dessen Hilfe neue Themen und Risiken | |
identifiziert werden könnten. | |
Das Memorandum der „Forschungswender“ zu lesen, wäre ein erster Schritt. Es | |
enthält jede Menge neue Themen und Risiken für eine zukunftsfähige | |
Agrarforschung in Deutschland. | |
20 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://germanwatch.org/de/download/17259.pdf | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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