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# taz.de -- Debatte Wissenschaft: Skrupellose Akquise von Drittmitteln
> Forschungsergebnisse für Geld, Zitierkartelle, mundtot gemachte
> Konkurrenten: Das deutsche Wissenschaftssystem liefert keinen Kompass
> mehr.
Bild: Hinter diesen Mauern lauert das Grauen: Korruption und Mobbing sind Forsc…
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Der Zusammenbruch des globalen Finanzsystems, ökologische Krisen und neue
Seuchen – das sind nur einige der Herausforderungen, vor denen die globale
Gesellschaft steht. Auf diese Herausforderungen braucht es Antworten. Doch
diejenigen, die die Antworten geben müssten, sind dazu kaum noch in der
Lage: die Wissenschaften. Das ist dramatisch.
Denn die globale Gesellschaft ist angewiesen auf belastbare Normen und
Kenntnisse, auf einen Kompass, um gesellschaftliche und wirtschaftliche
Neuorientierungen umsichtig und vertrauensvoll in Angriff nehmen zu können.
Der Kompass fehlt.
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Was uns einst als gesellschaftlich notwendige, unabhängige
Wissensproduktion, als eine Suche nach Wahrheiten und guten Wegen viel Wert
war, wird heute deformiert von den Interessen jener, die dafür viel zu
zahlen bereit sind. Auch staatliche Hochschulen zeigen eine zunehmende
Empfänglichkeit und Abhängigkeit von Geldmitteln, die direkt aus der
Wirtschaft kommen oder die nach wirtschaftlichen Interessen verteilt
werden. Dies ist politisches Programm. Und es ist ein Programm mit
gravierenden Folgen.
Die von Saatgutmonopolisten bezahlten Studien zum Kampf gegen Hunger in der
Welt, die Sicherheitsgutachten mancher Kernkraftanlagen oder haltlose
Expertisen der Weltgesundheitsorganisation haben viele Menschenleben
gekostet und Milliarden öffentlicher Gelder in die Kassen der
Verantwortlichen geleitet. Wissenschaftler müssen unabhängig sein.
Solche, die durch affirmative Publikationen, unkritische Auftragsforschung
oder als skrupellose Drittmittelakquisiteure kritische Forschungsansätze
verdrängen, erschweren die Orientierung bei ökologischen oder sozialen
Krisen und drohenden Katastrophen. Es gibt zu viele von ihnen. Im Ernstfall
sind sie für die Gesamtgesellschaft wertlos.
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Die Hochschule von heute gewöhnt jedoch ihre Studierenden ab dem ersten
Semester an dieses Modell. Die auf Effizienz getrimmte Hochschule und ihre
Studiengänge bieten kaum Zeit und Anreize, sich querdenkerisch zu
orientieren, um so später durch eigene Wachsamkeit unerwarteten
Herausforderungen gerecht zu werden. In der akademischen Karriere folgen
befristete Arbeitsverträge, leistungsabhängige Besoldung und ein
existenzieller Wettbewerb. Konkurrenzdruck ist ein Gefühl, das die meisten
Akademiker heute verbindet.
Aber auch die Unterdrückung von vom Sponsor nicht erwünschten Ergebnissen
sorgte zuletzt immer wieder für Schlagzeilen. Der Einfluss der Geldgeber
hat längst den Blickwinkel von WissenschaftlerInnen in vielerlei Weise
verändert.
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Eine Forschung, die auf Ökologie und Nachhaltigkeit oder auf die Interessen
der Natur und der kleinbäuerlichen Landwirtschaft setzt, hat sich weder in
der Politik noch an den Hochschulen ausreichend durchsetzen können.
Saatgutmonopolisten wie der Monsanto-Konzern kontrollieren dagegen
inzwischen weltweit den Mainstream der agrarbiologischen Forschung.
Durch einseitige Forschungsförderung und Diskreditierung von kritischen
WissenschaftlerInnen kommt es zu folgenschweren Fehlentwicklungen im
gesamten Forschungssektor.
Die Verzerrungen in diesem Wissenschaftsbereich, der immerhin einmal den
Anspruch formulierte, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, dauern bereits
über einige Jahrzehnte an. Unter dem Einfuss der Industrie hat sich die
Agrarforschung ähnlich bereinigen – richtiger wäre: verschmutzen – lassen
wie die Agrarflächen, auf denen die patentierten, gentechnisch veränderten
Saaten platziert werden.
Eine kritische Bewertung der Entwicklung im Bereich der Agrarbiologie ist
unter diesen Umständen nur in wissenschaftlichen Nischen möglich.
WissenschaftlerInnen müssen die Konzerne um Erlaubnis fragen, wenn sie ihre
Forschungsergebnisse über genetisch verändertes Saatgut veröffentlichen
wollen. Diese sind dann per Definition nicht mehr unabhängig.
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Auch auf dem Feld der Energiepolitik haben sich deutsche Hochschulen – und
die Politiker, die dies ermöglichten und tolerierten – in die Tasche
stecken lassen. Deutsche Regierungen haben nicht gegengesteuert und
ausgeglichen, sondern die mächtigen Konzernen auch noch mit Steuergeldern
bedient. Die staatliche Förderung der Steinkohle betrug im Zeitraum von
1950 bis 2008 insgesamt etwa 330 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum
wurde auch die Kernenergie mit 165 Milliarden Euro staatlich gefördert.
Von den 1950er bis Mitte der 1980er Jahre stiegen die Forschungsausgaben
des Bundes für Nuklearforschung von jährlich um die 200 Millionen Euro bis
auf weit über eine Milliarde Euro an, während die Forschungsausgaben für
die Nutzung erneuerbarer Energien erst seit 1970 überhaupt erkennbar wurden
und bis heute kaum die 300-Millionen-Euro-Grenze erreichen. Und das, obwohl
sich die Techniken zur Nutzung regenerativer Energie in den letzten zehn
Jahren als einer der stärksten Wachstumsimpulse für unsere
exportorientierte Wirtschaft erwiesen haben.
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Dass „Gesundheit“ als ein „Wachstumsmarkt“ gilt, hört man seit Jahrzeh…
besonders von jenen, die davon leben, dass es Kranke und Hilfsbedürftige
gibt. Ein öffentliches Interesse daran, die Bevölkerung mit so wenig
Ressourcen wie nötig so gesund wie möglich zu halten und deshalb etwa
gesundheitsförderliche Lebenswelten zu erforschen, ist in Deutschland nicht
in Mode.
Stattdessen werden von MedizinerInnen und PharmazeutInnen im Dienst von
Warenanbietern Krankheiten erfunden, Normwerte verschoben, Impfkampagnen
inszeniert, folgenlose diagnostische Maßnahmen verortet und Menschen mit
Angst- und Werbekampagnen in die Arztpraxen, Hospitäler und Apotheken
getrieben. Die Wissenschaft trägt dazu bei.
Forschung und Lehre an den medizinischen Fakultäten wird weitgehend von
AkademikerInnen orchestriert, die gleichzeitig als ExpertInnen auf der
Lohnliste der Gesundheitsindustrie stehen. Gleiches gilt für die
obligatorischen Fortbildungen, die überwiegend von Gesundheitskonzernen
finanziert werden und wie die meisten medizinwissenschaftlichen Kongresse
längst zu anspruchsvollen Marketingshows umfunktioniert wurden.
Im Ergebnis konzentriert sich die pharmazeutische Forschung vor allem auf
die Schaffung neuer Märkte: Eine chronisch kranke, möglichst langlebige
Klientel, wie sie in Industriegesellschaften zunehmend vorzufinden ist, ist
ihre Lebensgrundlage.
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Na und? In Deutschland nimmt die von der Industrie induzierte Forschung
weiterhin zu. Verlässliche quantifizierbare Daten hierüber gibt es
allerdings nicht. Für eine verantwortungsvolle Forschungs- und
Bildungspolitik wäre es wichtig, die Forschungsschwerpunkte einzelner
Industriezweige auch quantitativ überschauen zu können. Deshalb ist vor
allem mehr Transparenz erforderlich.
Es braucht dringend ein transparentes Register für Forschungsmittel in
Deutschland. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie dieses
Register aussehen könnte, wer es betreiben sollte und wie dessen Daten
öffentlich gemacht werden sollten.
Deutschland sollte auch – wie andere Länder es bereits getan haben – den
Straftatbestand des Wissenschaftsbetrugs bei Irreführung oder Verfälschung
von wissenschaftlichen Ergebnissen oder Daten einführen und ernsthaft
verfolgen.
Um Fehlentwicklungen zu verhindern und mehr Transparenz in Forschung und
Lehre zu bringen, müssen die Tatbestände der Vorteilsannahme und der
Bestechlichkeit in der Forschungslandschaft weiter konkretisiert werden.
ExpertInnen, die materielle oder finanzielle Abhängigkeiten zu Herstellern
oder Sponsoren haben, müssen sachliche Begünstigungen beziehungsweise die
finanzielle Größenordnung öffentlich machen. Sie sind von der Berufung in
normsetzende Gremien auszuschließen und dürfen nicht in staatlichen
Beratungs- oder Beschlussgremien mitentscheiden. Sie dürfen nur als nicht
stimmberechtigte Teilnehmer von Anhörungen fungieren.
Das sind nur drei Maßnahmen. Es sind kleine Maßnahmen. Es sind wichtige
Maßnahmen. Und wir brauchen sie längst.
28 Mar 2012
## AUTOREN
Wolfgang Wodarg
## TAGS
Landwirtschaft
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