# taz.de -- Sauereien im Wattenmeer: Gift für den Nationalpark | |
> Fischer und Gemeinden wehren sich gegen Baggern und Verklappen im | |
> geschützten Wattenmeer. Grund des Ärgernisses ist ein Kohlekraftwerk der | |
> RWE | |
Bild: Statt Gasförderung: Am Dollart entsteht ein Kohlekraftwerk | |
Martin Prins, Sprecher des deutschen Energiekonzerns RWE in Eemshaven, ist | |
stolz: „Das Kohlekraftwerk in Eemshaven ist mit einer Leistung von 1.600 | |
Megawatt das größte fossile Kraftwerk der Niederlanden.“ Doch die Größe | |
bringt entsprechende Probleme mit sich: Luftschadstoffe und giftiges | |
Baggergut. Die Nachbarn sind nicht begeistert. | |
Eemshaven liegt auf der niederländischen Seite der Emsmündung, des Dollart. | |
Hier wurde seit den 1960er Jahren eines der größten Industriegebiete der | |
Niederlande aus dem Marschboden gestampft. Möglich wurde das durch die | |
Erdgasfunde an der niederländischen Küste. Doch diese Ressource erschöpft, | |
mit verheerenden Folgen für die Umwelt. Ganze Küstenpartien sind abgesackt. | |
Jetzt soll die Kohle Holland retten. | |
Auf der deutschen Seite des Dollart, reagiert man mit Wut und Unverständnis | |
auf das fossile Kraftwerk. „Die legen das Leichentuch über das Wattenmeer“, | |
sagt Dirk Sander aus Neßmersiel. Sander, Ex-Krabbenfischer, ist einer der | |
rührigsten Fischereifunktionäre in Norddeutschland. Das Problem: Das neue | |
Kraftwerk wird mit Kohle frei Haus beliefert. Riesige Kohlenschiffe sollen | |
direkt neben dem Kraftwerk anlegen. Dafür muss die Hafenzufahrt über die | |
Nordsee in die Emsmündung ausgebaggert werden. | |
Den Aushub dürfen die Niederländer vor Borkum am Weltnaturerbe Wattenmeer | |
auskippen. „Unsere Fanggründe sind durch die Off-shore Windparks schon | |
verkleinert“, sagt Sander. Die besten Fanggründe gingen durch die | |
Verklappungen kaputt. „Wir können nicht ausweichen“, sagt er. „Überall | |
fischen schon andere.“ | |
Alle ostfriesischen Gemeinden an der Küste haben gegen das Kohlekraftwerk | |
und die dazugehörigen Baggerungen geklagt. Sie gingen bis vor das höchste | |
niederländische Verwaltungsgericht, dem Raad van State. Sie haben verloren | |
und seit zwei Monaten baggern die Niederländer die Emszufahrt aus. | |
Mit Genehmigung des Landes Niedersachsen verklappen sie 2,3 Millionen | |
Kubikmeter Sand, Torf und Klei direkt am Borkumriff, das eigentlich als | |
Biosphärenreservat, europäisches Naturschutzgebiet, Nationalpark und | |
Weltnaturerbe streng geschützt sein sollte. „Wir sind nur eine kleine | |
ostfriesische Gemeinde und ich verstehe nicht, warum wir das Unrecht | |
nachweisen sollen“, sagt Jens Albrecht, Umweltreferent der Inselgemeinde | |
Borkum. „Der RWE-Konzern und die niederländische und niedersächsische | |
Regierung müssten nachweisen, dass alles in Ordnung ist“, findet er. | |
Als eine Art Speerspitze führt Borkum den Protest gegen die Ausbaggerung | |
und Verklappung an. Dabei zeigte sich die Inselgemeinde sich vor Jahren gar | |
nicht engagiert im Naturschutz (die taz berichtete). „Meine Stelle verdanke | |
ich dem Weitblick der Verantwortlichen, dass die Nordsee industrialisiert | |
wird“, sagt Albrecht, der seit 2012 für Borkum arbeitet. „Wir haben mit dem | |
Wattenmeer einen einzigartigen Naturraum, der droht uns verloren zu gehen.“ | |
Albrecht befürchtet, dass durch das Kraftwerk Stickstoff in die Luft | |
gelange, dabei gefährde dieser jetzt schon die Vegetation auf den Inseln. | |
Viele ökologische Maßnahmen würden sinnlos, wenn noch mehr Stickstoff die | |
Inseln belaste. Ein weiteres Problem sei Quecksilber: 95 Kilogramm gelangen | |
jährlich durch das Kraftwerk in die Umwelt. Das belastet das Watt, die | |
Kleinstlebewesen, die Krabben, die Muscheln und Fische. „Vögel nehmen den | |
Dreck auf und niemand ist in der Lage, die Folgen zu beschreiben“, sagt | |
Albrecht. „Wir haben jetzt schon ein drastisches Artenstreben. “ | |
Welche Schadstoffe, in welcher Konzentration, wo im Meeresboden liegen, | |
darüber rästeln Wissenschaftler seit Jahrzehnten. „Nicht dran rühren“, | |
sagen Biologen und Chemiker. Jede Baggerung wühlt sie auf, jede Verklappung | |
verteilt das Gift. „Für die Verklappungen aus Eemshaven hat das Gericht | |
Proben herangezogen, die von Stellen weit ab von den tatsächlichen | |
Verklappungen gezogen wurden“, sagt Jens Albrecht. | |
Noch schlimmer: Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserbau, Küsten- | |
und Umweltschutz (NLWKN) baggert und verklappt ebenfalls Aushub im | |
Weltnaturerbe. Nach der EU Wasserrahmenrichtlinie dürfte er das nicht. „Es | |
gibt keine Freigabe für die Arbeiten im Naturschutzgebiet“, sagt Albrecht. | |
Gegen die deutschen Baggerungen und Verklappungen in Naturschutzgebieten | |
hat Borkum jetzt Widerspruch eingelegt. Der Protest gegen die | |
niederländischen Ausbaggerungen für Eemshaven liegt der EU vor. Wenn die | |
EU-Kommission zu erkennen gebe, dass auch sie die Baggerei für | |
problematisch halte, werde Borkum sofort vor den Europäischen Gerichtshof | |
ziehen, kündigt der Umweltreferent an. | |
24 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schumacher | |
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