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# taz.de -- Neuer EU-Parlamentspräsident: Das inneritalienische Duell
> Das Parlament wählt am Dienstag einen neuen Präsidenten. Favoriten sind
> zwei Italiener. Doch sie sind beide nicht für den Posten prädestiniert.
Bild: Wer wird das Rennen machen? Gianni Pittella (l.) oder Antonio Tajani?
Rom taz | Am 17. Januar gehen sieben Kandidaten ins Rennen, wenn die
Europaparlamentarier ihren neuen Präsidenten wählen. Doch echte Siegchancen
haben nur zwei Italiener: Antonio Tajani von der Europäischen Volkspartei
(EVP) und der Sozialdemokrat Gianni Pittella. Die meisten Bürger Italiens
würden wohl ratlos mit den Schultern zucken, wenn man sie nach den
Duellanten fragte. Und das hat durchaus nachvollziehbare Gründe.
Der 63-jährige Tajani schaffte es als klassischer Kofferträger nach oben,
auch wenn er schon in frühester Jugend mit originellen politischen Ideen
auffiel. Als 14-Jähriger schloss er sich der monarchistischen Jugend an,
die von der Wiederherstellung des Königreichs Italien träumte. Dumm nur,
dass Tajani ausgerechnet in den 68er Jahren das stramm linke
Tasso-Gymnasium besuchte und dank seiner merkwürdigen Ideen jeden Morgen
vor dem Schultor Prügel einstecken musste. Der kleine Antonio wechselte das
Gymnasium, und auch der Politik schwor er erst einmal ab.
Stattdessen schlug der Sohn eines Offiziers nach dem Jurastudium eine
Karriere bei der Luftwaffe ein, um dann auf den Journalismus umzusatteln,
erst als Nachrichtensprecher beim Staatsradio RAI, dann als
Politikredakteur in der zum Berlusconi-Imperium gehörenden Tageszeitung Il
Giornale.
Als Silvio Berlusconi 1994 in die Politik ging, hatte der Monarchist Tajani
endlich seinen König gefunden: Er gehörte zu den Gründern der neuen Partei
Forza Italia, und noch im gleichen Jahr zog er – der Sprecher des neuen
Regierungschefs Berlusconi war – ins Europaparlament (EP) ein. Dort blieb
er, erst als Parlamentarier, [1][dann von 2009 bis 2014 als EU-Kommissar],
seit 2014 wieder als Mitglied des EP, allerdings nur weil er zu Hause immer
wieder durchfiel, mit Kandidaturen fürs nationale Parlament genauso wie
fürs Bürgermeisteramt in Rom. Eigene Ideen produzierte er nicht mehr.
## Karriere von klein auf
Prononcierter äußert sich dagegen der 58-jährige [2][Pittella]. „Gegen die
Austerität. Wir müssen diese Europäische Union verändern, um Europa zu
retten“, so begründet er, warum er EP-Präsident werden möchte. Pittella war
nie Monarchist, doch dynastisches Denken ist ihm bestens vertraut.
Schließlich machte der Süditaliener von klein auf Karriere auf den
Schultern seines mächtigen Vaters, der als Senator der Sozialisten unter
Bettino Craxi die ebenso kleine wie arme Region Basilicata in Rom vertrat.
Schon mit 21 Jahren sitzt Pittella jr. dank der väterlichen Protektion im
Stadtrat des Bergnests Lauria, und nur ein Jahr später hat er es gar zum
Regionalminister für Bildung und Kultur der Basilicata gebracht.
Dabei erlernte er von Papa die in Süditalien überlebenswichtige Kunst des
Strippenziehens und des Networking bis ins kleinste Dorf, bis auf den
entlegensten Bauernhof. Alle in der Basilicata kennen Gianni, alle haben
ihm schon einmal die Hand geschüttelt, und so überstand sein Clan auch
größere Katastrophen unbeschadet. Sein Vater wird im Jahr 1983 verhaftet
und zu 12 Jahren Haft wegen Unterstützung der Roten Brigaden verurteilt,
weil er als Mediziner eine der Kämpferinnen in seiner Privatklinik
behandelt hatte. 1993 bricht Craxis Sozialistische Partei unter der Wucht
ihrer Skandale zusammen.
Aber Pittella macht einfach weiter, gestützt auf die solide familiäre
Machtbasis. 1996 zieht er für die linken Berlusconi-Gegner ins Parlament
ein, und 1999 wird er ins EP gewählt, dem er seither ununterbrochen
angehört. Bestens in Brüssel und Straßburg vernetzt, vergisst er doch nie
seine Heimat, durch die er unermüdlich tourt.
## Triumph 2014
Die Mühe zahlt sich aus, die Wederwahl von 2014 wird zum Triumph: Pittella
ist mit über 230.000 persönlichen Präferenzstimmen die unbestrittene Nummer
eins der Partito Democratico in Süditalien. Derweil wird 2013 sein kleiner
Bruder Marcello zum Präsidenten der Region Basilicata gewählt.
Und sollte Gianni sich gegen Tajani durchsetzen, dann hätte die Familie
Pittella aufs Schönste die Erfolgstauglichkeit ihres Modells vorgeführt,
mit einem Präsidenten ganz oben, an der Spitze der EU, und dem anderen weit
unten, in der ökonomisch und sozial abgehängten Basilicata.
17 Jan 2017
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## AUTOREN
Michael Braun
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