| # taz.de -- Rechtsanwalt Eisenberg zur Stasi-Affäre: „Holm durfte lügen“ | |
| > Arbeitsrechtlich kann die Humboldt-Universität Andrej Holm kaum einen | |
| > Strick aus seinen falschen Angaben drehen, sagt unser Gastautor. | |
| Bild: Für Holms Tätigkeit an der Uni war seine Stasi-Vergangenheit irrelevant… | |
| Warum überlässt der Berliner Senat der Humboldt-Universität (HU) die | |
| Entscheidung über das berufliche Schicksal von Staatssekretär Andrej Holm? | |
| Wahrscheinlich weil er dann Staatssekretär bleiben kann, auch wenn er | |
| gelogen hat. Vor dem Hintergrund arbeitsrechtlicher Gerichtsentscheidungen | |
| kann die Universität kaum anders, als für Holm zu entscheiden. | |
| Kurzer Rückblick: Der am8. Oktober 1970 geborene Holm ist als 14-Jähriger, | |
| aus einem tschekistischen Elternhaus kommend, dem MfS versprochen worden. | |
| Er wurde nach dem Abitur am 1. September 1989 Offiziersschüler bei der | |
| Stasi, erhielt 675 Mark Bezüge monatlich, begann seine Ausbildung als | |
| Hauptamtlicher. Im Januar 1990 wurde er entlassen, weil es bei der Stasi | |
| nichts mehr zu tun gab, jedenfalls nicht für ihn. | |
| Er setzte seine berufliche Laufbahn in zivilen und zivilgesellschaftlichen | |
| Zusammenhängen fort, studierte und arbeitete in verschiedenen Positionen | |
| als Wissenschaftler. 2005 wurde er Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt | |
| der HU zu Stadtentwicklung in Europa und erklärte laut HU in einem | |
| formularmäßigen Fragebogen, im Wachregiment Feliks Dzierzynsky gewesen zu | |
| sein, nicht aber hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS. Das soll eine Lüge | |
| gewesen sein, eine zumindest absichtsvoll unvollständige Auskunft. Holm | |
| selbst sucht allerlei Ausflüchte, die ihm viele nicht glauben, weil er | |
| gewusst haben muss, dass er für nichts nicht 675 Mark Monatsgehalt (bekam | |
| kein Wehrpflichtiger, nicht einmal ein „normaler“ Arbeiter) bekommen hat. | |
| Kann die HU ihm deswegen, sozusagen nachträglich, kündigen? Treiben wir den | |
| Fall noch auf die Spitze und nehmen an, Holm hätte am 1. September 1989 | |
| einen Mord an einem „Klassengegner“ begangen, zum Beispiel im Auftrage | |
| seiner angeblich tschekistischen Eltern. Er wäre – wenn er nicht | |
| grottenschlecht verteidigt worden wäre – nach Jugendstrafrecht verurteilt | |
| worden, zu, sagen wir, achteinhalb Jahren Jugendstrafe. Er stand unter dem | |
| Einfluss der Eltern, handelte entsprechend antrainierter Kenntnisse und | |
| ethischer Maßstäbe, war noch nicht selbstständig, wohnte noch zu Hause und | |
| so weiter. | |
| Die Richter hätten ihn reifemäßig als einem Jugendlichen gleichstehend | |
| beurteilt. Die Jugendstrafe hätte er teilweise abgesessen und deren Vollzug | |
| zur Ausbildung, Studium und Abschluss genutzt. Er wäre so etwa 1994 | |
| mustergültig „resozialisiert“ auf freien Fuß gekommen und hätte die | |
| Laufbahn, wie Holm eben, hinter sich gebracht und 2005 bei der HU beworben. | |
| Auf Nachfrage der HU hätte er angegeben, nicht bestraft zu sein. Später | |
| hätte die HU einen Bericht über die Mordtat gefunden. Sie wäre mit jedem | |
| Versuch, den Vertrag anzufechten oder zu kündigen, gescheitert. Denn: Die | |
| Jugendstrafe war nach dem Bundeszentralregistergesetz nach zehn Jahren zu | |
| tilgen, der Bewerber musste sie sich daher nicht vorhalten lassen. | |
| Die Rechtspraxis gibt ausreichend Beispiele für diese Argumentation. So hat | |
| etwa das Bundesarbeitsgericht eine Anfechtung eines Angestelltenvertrages | |
| mit einem Gefängniswärter, der 2010 unwahre Angaben zu seinen | |
| strafrechtlichen Vorbelastungen gemacht hatte, für nichtig erklärt (2 AZR | |
| 1071/12). Der Mann war 2003 wegen Körperverletzung zu einer Jugendstrafe | |
| von 6 Monaten verurteilt worden, und seit 2007 liefen verschiedene | |
| Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Körperverletzung, Diebstahl, | |
| Hausfriedensbruch, Betrug, Beleidigung und gefährliche Körperverletzung. | |
| Alle Verfahren waren zum Zeitpunkt seiner Einstellung bereits aus dem | |
| Bundeszentralregister getilgt oder eingestellt. Der Arbeitgeber hätte nicht | |
| fragen dürfen, der Mann durfte lügen. | |
| Ebenso musste ein NPD-Aktivist bei einer Oberfinanzdirektion weiter | |
| beschäftigt werden (BAG 2 AZR 479/09), obwohl er erklärt hatte, für die | |
| freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten, und nicht offenbart | |
| hatte, NPD-Wahlkandidat gewesen zu sein. Der Arbeitgeber hätte angesichts | |
| des Charakters der Beschäftigung gar nicht danach fragen dürfen. | |
| Nun sind Anfang der Neunziger zahlreiche übernommene Arbeitnehmer, | |
| Angestellte oder Beamte aus ihren Ämtern entfernt worden, weil sie ihre | |
| MfS-Tätigkeit verschwiegen hatten. Im Unterschied dazu lag die „Tätigkeit“ | |
| Holms im Jahre 2005 aber länger als eine halbe Generation zurück. Die | |
| 6-monatige hauptamtliche Tätigkeit beim MfS im Alter von 19 Jahren, die der | |
| Bewerber 1713548 vor seinem Studium und seinen beruflichen Stationen | |
| vollzogen hatte, konnte keinen konkreten Bezug zu dem und keinerlei | |
| Bedeutung für das wissenschaftlich-akademische Projekt haben, für das der | |
| Bewerber eingestellt werden sollte. | |
| Legt man den Maßstab des Bundesarbeitsgerichts an die von der HU zu | |
| treffende Entscheidung an, so liegt die Antwort auf der Hand: Die HU hätte | |
| einen im Jahre 2005 35 Jahre alten Mann nicht nach einer möglichen | |
| hauptamtlichen Tätigkeit beim MfS fragen dürfen, denn es war | |
| auszuschließen, dass sich daraus Erkenntnisse zu einer Eignung für den | |
| wissenschaftlichen Job bei der HU ergeben konnten – angesichts des Alters | |
| des Kandidaten und der seit 1989 verstrichenen Zeit. Der Bewerber durfte | |
| entsprechend auch lügen. Politisch helfen diese Überlegungen dem | |
| Staatssekretär Holm in einer emotional und moralisch geführten Debatte | |
| nicht. Sie erklären aber das Vorgehen des Senats. | |
| 9 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Johannes Eisenberg | |
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