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# taz.de -- Kolumne Minority Report: Keine Lust auf Party
> Nach dem Anschlag in Istanbul einfach weiter feiern gegen den bösen
> Terror? Klingt schrecklich amüsant, aber ich bin raus, Leute.
Bild: Ratlosigkeit nach einem Angriff auf einen der größten Nachtclubs im Zen…
Ich hasse das Leben. Ich bin am Neujahrsmorgen mit kolumnieren dran. In
meiner Laptoptastatur steckt Konfetti. Aus dem Schlafzimmer höre ich ein
Schnarchen. Und ich kolumniere, in der Küche – die aussieht wie geleckt.
Was zur Hölle? 2017, du machst mich misstrauisch.
Meine Gäste haben scheinbar geputzt, bevor sie gingen. Richtig geputzt!
Nicht nur aus Anstand drei Teller ins Waschbecken gestellt. Ist das ein
Zeichen für eine überkrasse Party? Ich weiß nicht. Wo waren wir gerade? Ach
ja, ich hasse das Leben. Weil man keine Silvesterfeier genießen kann, ohne
dass eine Terrornachricht eintrifft. Und weil man auch vor der
Terrornachricht nicht so genau wusste, was man jetzt eigentlich feiern
soll.
Letztes Jahr war ein Scheißjahr meinen alle. Könnte ich auch so
unterschreiben. Leider birgt das neue Jahr noch mehr Horrorpotenzial.
[1][In Istanbul sind Terroristen in Weihnachtsmannkostümen mit
Kalaschnikows in den Nachtclub Reina einmarschiert.] Sie haben 39 Menschen
getötet, 69 weitere verletzt. Auch Touristen sind unter den Opfern. Einen
Bekenner gibt es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber viele Umstände deuten
auf den „Islamischen Staat“ hin.
Jeder kennt das Reina, meine beste Freundin tanzt da manchmal. Mein kleiner
Bruder hat da zweimal in Folge Silvester gefeiert. Ich fand den Club immer
total versnobbt und unnötig teuer. Aber hätte mich jemand im richtigen
Moment dorthin schleppen wollen, wahrscheinlich wäre ich mitgegangen. Denn
normalerweise feiere ich gern.
## Unsere Lebensart?
Ich erinnere mich an die Reaktionen nach dem Anschlag auf den Pariser Club
Bataclan. „Wir lassen uns nicht einschüchtern, das war ein Anschlag auf
unsere Lebensart“, hieß es da durchweg. Irgendwie fand und finde ich das
seltsam. Denn wer glaubt, es ginge bloß darum, uns „einzuschüchtern“,
degradiert den Anschlag doch zu einem blöden Jungsstreich.
Riskieren die ihre Ärsche, weil sie uns um „unsere“ Partys beneiden, weil
sie nicht mittanzen dürfen, weil Partys haram sind? Nein. Sie riskieren
ihre Ärsche, weil sie de facto im Krieg sind. Doch das seltsame an diesem
Krieg ist, dass die eine Front ohne die andere weder an Waffen, noch an
Geld käme – was es schlicht unmöglich machen würde, den Krieg fortzuführe…
[2][Erst diese Woche berichtete der Spiegel, dass die EU Geldflüsse in den
Islamischen Staat ganz einfach blockieren könnte.] Tut sie nur leider
nicht. Und dass die Türkei jahrelang Waffenlieferungen zuließ, und wo diese
Waffen wiederum herkamen, ist auch kein Geheimnis mehr.
Wenn nun also unzählige Zufallsopfer auf Weihnachtsmärkten oder im
Nachtclub verrecken, ist das ein Anschlag auf „unsere“ Lebensart, ja? Und
das beste, was wir dagegen tun können, ist weiterfeiern, weiterkonsumieren?
Ganz ehrlich: Ich habe keine Lust auf feiern. Und was mich einschüchtert,
sind nicht die Terroristen.
Es ist der Umgang mit den Strukturen, die solche Anschläge überhaupt
ermöglichen. Deshalb an all die Stimmungskanonen, die nun meinen, man solle
„jetzt erst recht“ feiern: Erspart uns das. Es ist voll okay, gerade jetzt
zu Hause zu bleiben und einfach nur Hass auf dieses Leben zu schieben.
1 Jan 2017
## LINKS
[1] /Angriff-auf-Nachtclub-in-Istanbul/!5370315/
[2] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/islamischer-staat-eu-laesst-unnoe…
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Minority Report
Istanbul
Anschlag
Club Reina
Schwerpunkt Rassismus
Pressefreiheit in der Türkei
Literatur
Schwerpunkt Türkei
„Islamischer Staat“ (IS)
Istanbul
Schwerpunkt Türkei
Minority Report
Rede
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