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# taz.de -- Silvester-Anschlag in Istanbul: Verschwörung! Verschwörung!
> Wer hinter dem Silvester-Anschlag in Istanbul steckt, ist vielen
> TürkInnen egal. Sie glauben der AKP-Regierung. Und die verurteilt das
> säkulare Fest.
Bild: Blumen vor dem Anschlagsort
In Berlin war das Jahr 2016 noch nicht ganz vorüber, als die schreckliche
Nachricht aus Istanbul kam: In den ersten, noch jungen Stunden des neuen
Jahres war ein Massaker verübt worden. Das blutige Ende eines blutigen
Jahres. Und ein blutiger Anfang für all jene in der Türkei, die Tag für Tag
nur durch Glück und Zufall nicht zu Anschlagsopfern werden. Der „IS“
reklamiert den Angriff auf das Reina zwar für sich. Aber für viele
TürkInnen spielt das keine Rolle. Sie halten es lieber mit den Postulaten
der AKP.
Wäre ein Regierungsmitarbeiter in den Morgenstunden nach dem Anschlag vor
die Presse getreten und hätte eine verwirrte Rede über die terroristischen
Machenschaften von Prediger Fethullah Gülen gehalten, die allermeisten
TürkInnen hätten ihm geglaubt. Eine Rede, garniert mit der Klage, an wie
vielen Fronten die Türkei im Moment gleichzeitig mit Terroristen kämpft
(weltrekordverdächtig!), und mit Verachtung für die ausländische Kräfte,
die allesamt neidisch sind auf die „neue Türkei“.
Das ist es, was viele hören wollen. Der Anschlag wurde von Gülen-Anhängern
und der PKK gemeinsam geplant, befohlen vom „IS“ und ausgeführt von der
Revolutionären Volksbefreiuungsfront (DHKP-C), einer türkischen
marxistisch-leninistischen Untergrundorganisation? Na klar! Wenn dann noch
regierungsnahe Medien über „einen ganz ähnlichen Anschlag, der vor einigen
Jahren in einer Sendung zu sehen war, die auf einem Gülen-nahen Sender
lief“, schreiben, spätestens dann ist der Beweis für die Verschwörung
erbracht. Wer es wirklich war? Ist doch egal. Dass Erdoğans Regierung ganz
offensichtlich nicht in der Lage ist, für Sicherheit zu sorgen? Einerlei!
Statt aber Verschwörungstheorien anheimzufallen, lohnt sich ein genauer
Blick auf die Ereignisse. Wer wurde zum Beispiel nach dem Anschlag als
Erstes festgenommen? Nicht der oder die Attentäter. Gemäß dem offiziellen
Bericht soll es dem Schützen gelungen sein, seine Waffe im Club zu lassen,
die Kleidung zu wechseln und gemeinsam mit den Opfern durch die Eingangstür
zu flüchten. Festgenommen wurden stattdessen fünfzehn Personen, die am
nächsten Tag zum Unglücksort kamen, um in Trauer Blumen niederzulegen, ihre
Solidarität mit den Toten zu bekunden und für Frieden zu demonstrieren.
## Frieden, Brüderlichkeit, Humanismus
Ebenfalls festgenommen wurde einige Mitglieder der linken
Halkevleri-Bewegung, die in einem Kaffeehaus im Istanbuler
Okmeydani-Viertel dazu aufgerufen hatten, „IS“-Kämpfer und andere
Dschihadisten nicht länger in der Nachbarschaft zu tolerieren. „Wir müssen
eine Flagge hissen, und das ist die Flagge des Säkularismus“ sagten sie.
„Säkularismus steht für Frieden, Brüderlichkeit und den Kampf für ein
humanistisches Leben. Wir rufen jeden und jede auf, sich an diesem Kampf zu
beteiligen.“ Wenig später wurden sie via Twitter ans Innenministerium
gemeldet. „Terroristen rufen zum Bürgerkrieg in Okmeydanı auf. Haltet die
Verräter auf“, lautete der Tweet.
Auch hatte die Regierung in der vergangene Woche darauf hingewiesen, dass
Silvester ein fremder Brauch sei, der nicht in der Türkei zelebriert werden
solle. In Aydın wurde zwei Tage vor Silvester eine Art Performance
aufgeführt, in der ein als Weihnachtsmann verkleideter Mann von einer
Gruppe von Menschen verprügelt wurde, die traditionelle Gewänder trugen.
Sogar eine Waffe hielt man dem Nikolaus an den Kopf.
Später hieß es in einer Pressemitteilung: „Wir wollten damit zeigen, dass
wir gegen solche christlichen Feierlichkeiten sind, und den Menschen unsere
türkischen Feiertage in Erinnerung rufen.“ In einer vom
Religionsministerium erlassenen Predigt wurde zudem vor den „fremden
Bräuchen aus anderen Welten“ gewarnt. „Heute ist der letzte Tag. Dies ist
die letzte Warnung: Wagt es nicht zu feiern!“, titelte die regierungsnahe
Milli Gazete in ihrer Silvesterausgabe.
Die Parallelen zur Ermordung des russischen Botschafters Karlow vor einer
Woche sind frappierend. Eine voreingenommene Rhetorik von oben übersetzt
sich in einen Akt der Gewalt durch einen einsamen „Fanatiker“, was
anschließend von vielen Menschen in den sozialen Netzwerken gefeiert wird.
Ich erspare Ihnen die Zitate. Aber was hier deutlich wird, ist, dass
besagte Personen offenkundig der Meinung sind, jene, die im Reina
umgekommen sind, seien gewarnt worden und hätten es letztlich nicht anders
verdient.
2 Jan 2017
## AUTOREN
Ali Celikkan
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
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