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# taz.de -- Deutsche Rüstungsindustrie: Ein stummes Idyll
> Auch wenn Saudi-Arabien den Jemen bombardiert, liefert Deutschland weiter
> Waffen dorthin. Dort, wo sie gebaut werden, scheint der Krieg fern.
Bild: Luftaufnahme von Friedrichshafen am Bodensee
Friedrichshafen taz | Nicht einmal einen leichten Windhauch verspürt, wer
an diesem Tag bei strahlendem Sonnenschein den Uferweg des Bodensees in
Friedrichshafen-Manzell entlangläuft. Nur das Schnattern der Schwäne
durchbricht die Stille auf dem ruhig daliegenden Wasser.
Lange graue Fabrikhallen stehen hier, daneben erhebt sich ein dunkelgelber
Kastenbau, nur durch einen Zaun vom See getrennt. Auf dem Dach glitzert ein
Daimler-Stern in der Sonne. Ein Relikt aus alten Zeiten; seit 2014 gehört
die MTU Friedrichshafen GmbH dem Rolls-Royce-Konzern.
Anderthalb Jahre zuvor, am 12. April 2015, blockiert die saudi-arabische
Armee mit Schiffen den Zugang zu allen jeminitischen Häfen. Neben dem
Import von Lebensmitteln verhindert die Seeblockade den Zugang zu
Treibstoff, der im Jemen Pumpen antreibt, um die Bevölkerung mit
Trinkwasser zu versorgen. Nach einem Bericht der Hilfsorganisation Oxfam
hungern in der Folge 13 Millionen Jemeniten. Auch die Vereinigten
Arabischen Emirate kämpfen an der Seite der Saudis und töten zahlreiche
Zivilisten.
Was der Krieg im Jemen mit dem Bodensee zu tun hat? In elf saudischen
Kriegsschiffen brummen die Motoren der MTU, 33 weitere sind auf dem Weg.
Von 1994 bis 2006 lieferte Frankreich 390 Panzer des Typs „Leclerc“ in die
Emirate – ausgerüstet mit MTU-Motoren.
## Der Pfarrer: versetzt
Der Bodensee ist die Region mit der höchsten Dichte an Rüstungsbetrieben in
Deutschland. Kaum ein Dorf, in dem nicht Raketen, Motoren oder Getriebe
gebaut werden, wo nicht militärische Satellitentechnik oder Software für
Panzerfahrzeuge entwickelt wird. Nur gesprochen wird darüber nicht. Auch
nicht in Friedrichshafen, wo neben der MTU auch Airbus seine Sparte „Space
& Defence“ betreibt und die ZF Friedrichshafen AG, wenn auch in geringem
Umfang, Getriebe für militärische Fahrzeuge baut. Die Reise hierher ist
deshalb eine Suche nach den Ursachen der Sprachlosigkeit.
In der Innenstadt, gleich am Bahnhof, steht das Seehotel. Das Café drinnen
ist bis auf einen Tisch leer. Durch die halb durchsichtigen Vorhänge sieht
man einen Mann am Fenster vorbeieilen. Kurz darauf setzt sich Rainer Schmid
an den Tisch. Sein Zug aus Aalen kam verspätet an, der hoch gewachsene Mann
entschuldigt sich mit hastigen Bewegungen. Früher wäre er einfach mit dem
Fahrrad gekommen. Bis 2013 war Rainer Schmid evangelischer Pfarrer in
Friedrichshafen. Dann wurde er versetzt, auch weil er sich gegen die
Rüstungsunternehmen engagierte.
„Die Hand, die mich füttert, beiße ich nicht“, erzählt Schmid im Café, …
hat er zu mir gesagt.“ Er – das ist der Dekan des Kirchenbezirks, Friedrich
Langsam. Dieser habe befürchtet, der Querulant Schmid könne
Kirchenaustritte provozieren. Rainer Schmid sagt: „Sobald es um Geld geht,
spielt die Theologie keine Rolle mehr.“
Dekan Langsam erinnert sich gut an Pfarrer Schmid. Er selbst stehe der
Rüstungsindustrie auch kritisch gegenüber, erklärt Langsam am Telefon.
„Aber die Art und Weise von Herrn Schmid, dass er als Sensenmann auf Demos
auftrat, das habe ich kritisiert.“ An den Satz mit der Hand, die füttert,
kann er sich nicht erinnern: „Das ist nicht meine Wortwahl.“
## „Waffen vom Bodensee“
Kurz nachdem Rainer Schmid 2007 am Bodensee seine Arbeit aufgenommen hatte,
stellte er fest, dass bislang niemand Informationen über die
Rüstungsindustrie zusammengetragen hatte. Also begann er zu recherchieren.
Während Schmid erzählt, wirkt er nicht eben groß, er schaut durch seine
schmale Brille, schiebt nervös Salz- und Pfefferstreuer zusammen und blickt
sich mehrfach um, als belausche ihn jemand. Er ist kein Mann für die erste
Reihe, sagt er selbst.
Für die erste Reihe hat er Lothar Höfler. Bei einem Vortrag des
Rüstungsgegners Jürgen Grässlin lernte Schmid den Friedensaktivisten
kennen. Er und Höfler freundeten sich an und erstellten gemeinsam die Seite
[1][„Waffen vom Bodensee“], auf der sie ihre Recherchen veröffentlichten.
Sie organisierten kleinere Demonstrationen, Schmid konfrontierte
Jugendliche im Schul- und Konfirmandenunterricht mit der Rüstungsindustrie
– bis es dem Dekan zu bunt wurde.
Auch Lothar Höfler sitzt mit am Tisch im Café des Seehotels. Er arbeitete
früher bei der Bundeswehr und in einem Rüstungsbetrieb, bevor er in den
Achtzigern zum Friedensaktivisten wurde. „Das Gerede und die Kompromisse
hat man jahrelang mitgemacht. Jetzt werde ich immer radikaler, je älter ich
bin“, sagt Höfler und lächelt verschmitzt. Er redet gerne, sagt aber auch
viel.
Der Aktivist kennt die Region gut und weiß, wie sehr Unternehmen wie die
MTU die Familien prägen: „Da haben schon Generationen gearbeitet. Das ist
immer ein gutes Gefühl gewesen, technologisch marschiert man schließlich
weltweit an der Spitze mit.“ Die Firmen hätten den Menschen Identität
verschafft. „Außerdem gehen Rüstungsunternehmen nicht pleite. Die werden
nur zerbombt, wenn es mal wieder so weit ist.“
## Seltsamer Personenkult
Das letzte Mal war es im Zweiten Weltkrieg so weit, der von Friedrichshafen
nicht viel übrig ließ. Außer dem hübschen Seepanorama bedeutet
Friedrichshafen deshalb vor allem Nachkriegsfassaden, funktionale
Mehrfamilienblöcke oder Einfamilienhäuser, die so ordentlich dem Himmel
entgegengezogen wurden, als ob ihre BewohnerInnen die Hindernisse
verdrängen könnten, ja all die unbequemen Fragen, die das Leben bisweilen
stellt, wenn sie ihre Häuser nur akkurat genug bauten.
Fragen zum Thema Rüstungsexporte jedenfalls wollen weder die MTU noch
Oberbürgermeister Andreas Brand beantworten. Das Unternehmen verweist auf
schlechte Erfahrungen mit der Wochenzeitung Die Zeit, das Stadtoberhaupt
zunächst auf den vollen Terminkalender und schließlich, als es nur noch um
die Beantwortung eines schriftlichen Fragenkatalogs geht, auf die
Rüstungsindustrie als Gegenstand gesamtgesellschaftlicher Fragen, die sich
im Lokalen weder beantworten noch lösen ließen.
Nicht allein Gewerbesteuern oder das Argument sicherer Arbeitsplätze
verleiten zum Schweigen. Das Selbstverständnis Friedrichshafens gründet
sich auf einem merkwürdigen Personenkult. Kinder hier rufen „Zeppelin,
Zeppelin!“, wenn ein Luftschiff über ihnen kreist, gehen in eine Schule,
die nach Zeppelins Gefolgsleuten benannt ist oder gleich nach ihm selbst,
besuchen Sportvereine, die von der Zeppelin-Stiftung finanziert werden und
feiern ihren Schulabschluss im Graf-Zeppelin-Haus.
„Durch den Aufschwung in der Rüstungsindustrie wuchs Friedrichshafen zu
einer Industriestadt“ – so bringt eine Tafel im Zeppelin-Museum den
Identitätskonflikt auf den Punkt, die notwendige moralische Ambivalenz
einer jeden stolzen „Häfler“-Seele, wie man Lokalpatrioten hier nennt.
Ferdinand Graf von Zeppelin war nicht allein der Erfinder des Luftschiffs,
er initiierte auch den Luftkrieg. Er konstruierte den Zeppelin, um im Krieg
besser kommunizieren zu können, er holte die Rüstungsindustrie an den See,
und es waren seine Luftschiffe, die den Krieg mit Bombenabwürfen über
England erstmals hinter die Front verlagerten. Zeppelin warb mit so
scharfer Zunge für den Krieg gegen England, dass ihm Kaiser Wilhelm 1916
öffentliches Redeverbot erteilte.
Doch außer im Zeppelin-Museum, wo man sich neben dem Denkmal des Grafen
immerhin in drei Vitrinen dem Luftkrieg widmet, kündet nichts in der Stadt
von moralischer Ambivalenz und Zweifeln.
## Kooperation mit Schulen
Die Zeppelin-Stiftung finanziert in Friedrichshafen mit jährlich 55
Millionen Euro quasi im Alleingang Kindergärten, Musik- und Sportvereine
sowie zahlreiche weitere soziale Einrichtungen. Entstanden ist sie aus dem
Nachlass des Grafen, heute kommt das Geld vor allem von der ZF. Die
Nachfolgeunternehmen der Zeppelin Luftschiffbau GmbH, zu denen die MTU
zählt, mischen in der Stadt mit. Ein Jugendfußballturnier, den „MTU-Cup“,
sponsert die MTU, das jährlich gar den Nachwuchs des FC Barcelona anzieht.
Und unter dem Motto „Technik macht Schule“ kooperiert die MTU seit 2000 mit
örtlichen Gymnasien.
„Es geht darum, die Schüler für die Technik zu begeistern“, erklärt Herm…
Dollak, Schulleiter am Graf-Zeppelin-Gymnasium. Seine Stimme klingt
besonnen, während er seine Perspektive zu erklären sucht. Einmal im Jahr
bauen SchülerInnen gemeinsam mit IngenieurInnen der MTU Einzylindermotoren.
Dollak glaubt nicht, dass SchülerInnen so der Zugang in die
Rüstungsindustrie erleichtert wird. „Nur ein Teil der Motoren wird ja für
militärische Zwecke gebaut“, sagt er. Außerdem arbeiten viele Eltern bei
der MTU, da fiele es ihm nicht ein, das Unternehmen zu verteufeln.
Mit dem Namensgeber seiner Schule hat Dollak kein Problem: „Sicher, bei
einem Jubiläum könnten wir Zeppelins Biografie kritisch aufarbeiten. Aber
nötig finde ich das nicht.“ Man könne sein Verdienst um das Wohlergehen der
Bevölkerung schließlich nicht abstreiten. Hinterfragt, meint Dollak, wurde
Zeppelin ohnehin schon einmal: Ein Schüler hielt vor einigen Jahren ein
Referat über den Luftkrieg des Grafen.
Am Tag nach Rainer Schmids Besuch in Friedrichshafen hängen die Wolken tief
über dem See. Ein Wind zieht auf. Am schönsten ist der Blick normalerweise
nach Südosten, wo die Alpen warten. Und ein bisschen weiter weg Italien und
irgendwo in der Ferne das Mittelmeer, die Kontinente dahinter. An diesem
Tag aber hängen die Wolken so tief über dem See, dass man durch den Nebel
nicht einmal das Schweizer Ufer sieht.
27 Dec 2016
## LINKS
[1] http://www.waffenvombodensee.com/
## AUTOREN
Kristof Botka
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