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# taz.de -- Polizeikonzept zu Silvester: Köln will und wird feiern
> Ein Jahr nach der Nacht von Köln tut die Stadt viel dafür, dass die
> Menschen ungefährdet feiern können. Absolute Sicherheit gibt es nicht.
Bild: Diesmal soll es besser laufen: Polizisten in Köln
Köln taz | Die Kölner Innenstadt wird an Silvester so ziemlich gegen alles
gesichert sein, was man sich an Gefahren vorstellen kann. Nach dem Anschlag
auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Montag vergangener Woche hat die Kölner
Polizei ihr Sicherheitskonzept auch in Sachen Terrorabwehr angepasst.
Dass sich kein übergriffiger Mob wie im vergangenen Jahr bilden kann, soll
durch vierzig neue Überwachungskameras und ein massives Polizeiaufgebot
sichergestellt werden. Allein die Landespolizei stellt 1.500 Beamte – das
sind zehnmal so viele PolizistInnen wie beim letzten Jahreswechsel. Schon
in den Zügen nach Köln sollen sie kontrollieren, wer auf dem Weg in die
Stadt ist.
Hinzu kommen zusätzliche Kräfte bei Ordnungsamt, Bahn und Bundespolizei.
Insgesamt werden mehr als 2.500 Menschen dafür bezahlt, die Feiern in der
Nacht abzusichern. Eine in der Kölner Innenstadt angekündigte Demonstration
der NPD wurde verboten. „Wir sind wirklich sehr gut vorbereitet“, erklärte
Kölns Polizeipräsident Jürgen Mathies am Mittwoch. Hundertprozentige
Sicherheit könne man allerdings nicht garantieren. „Terror hat viele
Gesichter“, sagte er. Berlin habe gezeigt, wie zerbrechlich die Sicherheit
sei.
Die eigentliche Neuerung ist aber, dass Silvester rund um den Dom mit einer
von der Stadt organisierten Show statt mit privatem Feuerwerk gefeiert
wird. Ein Künstler illuminiert die Kathedrale und ein Gospelchor besingt
sie. Das Böllern ist zwischen Dom und Hauptbahnhof verboten und in anderen
Zonen allein der Stadt erlaubt.
Mehr Licht hätte vor einem Jahr möglicherweise etwas geholfen, als Hunderte
Männer enthemmt über den Bahnhofsvorplatz und die Domplatte liefen und sich
an Frauen vergriffen. Eine Lichtshow hätte es nicht gebraucht, wohl aber
das mobile Flutlicht, das die Kölner anforderten, das aber bei den
Kontrollen an der österreichischen Grenze gebraucht wurde. Dass es deswegen
so dunkel war vor dem Bahnhof, ist nur einer von vielen Faktoren, weshalb
die Lage so eskalierte, Hunderte Frauen begrapscht wurden und das Wort
„Köln“ nun für staatlichen Kontrollverlust steht.
## 120 Verdächtige wurden ermittelt
Mehr als 1.000 Delikte wurden nach der Silvesternacht angezeigt, bei knapp
der Hälfte dieser Anzeigen geht es um Sexualdelikte. Manche Frauen
berichteten, ihnen seien Finger in die Vagina eingeführt worden. Das sind
Vergewaltigungen.
120 Verdächtige wurden ermittelt, aber wegen der schwierigen Beweisführung
wurden nur sechs von ihnen verurteilt. Zwei von ihnen wegen eines
Sexualdelikts. Einer hatte einer Frau in den Schritt gefasst, der andere
hatte sein Opfer festgehalten und über ihr Gesicht geleckt. Gefasst wurden
die beiden nur, weil sie so dumm waren, sich vor der Tat fotografieren zu
lassen. Die meisten Täter werden wohl nie überführt.
Darum wird wohl auch nie abschließend geklärt, warum sich so viele Männer
an Silvester an diesem Ort versammelten und sich gleichzeitig kleinere
Gruppen in Düsseldorf und Hamburg bildeten. Die Ermittler fanden zumindest
keinen zentralen Aufruf und keine zentrale WhatsApp-Gruppe, in der sich die
Täter verabredet hätten. Der Gutachter Rudolf Egg, der die Strafanzeigen
der Nacht für den NRW-Untersuchungsausschuss auswertete, geht nicht von
einem „hohen Grad der Organisation“ der Männer aus. Es dürfte kleinere
Gruppen organisierter Täter gegeben haben, ähnlich der sogenannten
Antänzer, die seit Jahren in Kölner Clubs Menschen bedrängen, um sie zu
bestehlen. Andere seien in der Hoffnung auf leichte Beute gekommen, wieder
andere ganz ohne die Absicht, Straftaten zu begehen.
## Kaum Kommunikation mit dem Ordnungsamt
Dann sei eine „anomische“ Situation entstanden, mutmaßt der
Sachverständige, also eine Situation ohne soziale Kontrolle. Die Männer
beobachteten die Taten anderer und machten sie nach, ohne befürchten zu
müssen, je dafür bestraft zu werden.
Fast alle, die vor Gericht erscheinen mussten, sprechen Arabisch. Sie
stammen aus den nordafrikanischen Ländern Marokko, Algerien und Tunesien,
einige kommen aus dem Nahen Osten, andere sind Deutsche. Viele von ihnen
stammen aus ärmlichen Verhältnissen. Sie fühlten sich angesprochen, als die
Deutschen im Sommer 2015 Hunderttausende Flüchtlinge willkommen hießen. In
Deutschland wurde ihnen gesagt, dass sie nicht bleiben können. Abgeschoben
wurden sie aber auch nicht.
Dass die Polizei die Situation nicht in den Griff bekam, hat eine Reihe von
Ursachen. Ihnen zugrunde liegt, dass weder in der Vorbereitung des
Einsatzes noch während der Nacht die zuständigen Stellen vernünftig
zusammenarbeiteten. Die Kölner Polizei hatte mehr Kräfte angefordert, sie
vom Land aber nicht bekommen. Die Kommunikation mit dem Ordnungsamt war
nicht gut geregelt, es gab keine dauerhafte Funkverbindung.
## Gesamtlage nicht im Blick
Bei anderen Anlässen werden solche Probleme durch den Veranstalter
aufgefangen, der alle Fäden zusammenführt. Die Silvesternacht war aber
keine Veranstaltung im engeren Sinne, niemand organisierte ein Programm.
Darum entwarf auch niemand ein übergreifendes Sicherheitskonzept. In der
Nacht kümmerte sich jeder um seinen Bereich, ohne die gesamte Lage im Blick
zu haben: Die Kölner Polizei befürchtete eine Massenpanik auf dem
Bahnhofsvorplatz und räumte diesen – was zu noch engeren Verhältnissen im
Bahnhof führte. Ein Polizist auf der überfüllten Hohenzollernbrücke
entschied, die Menschen auf die Bahngleise ausweichen zu lassen. Darum aber
musste die Bundespolizei die Gleise sperren. Züge konnten nicht abfahren,
die Menschen stauten sich noch mehr.
Einzelne Polizisten erkannten die Gefahr früh. Trotzdem schlugen sie nicht
Alarm. Auch als sich der Einsatzleiter zur Räumung des Platzes entschloss,
forderte er keine Verstärkung an.
Dass die Polizei nicht wahrnahm, was vor ihren Augen passierte, lag auch
daran, dass die nächstgelegene Polizeiwache unterbesetzt war. Eine
überforderte Polizistin nahm gerade einmal drei Anzeigen auf und ließ alle
anderen Opfer warten.
Noch Tage nach der Nacht gab es keine realistische Einschätzung dessen, was
da stattgefunden hatte. An Neujahr versandte die Polizei die Meldung, die
alles noch schlimmer machte: „Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend
friedlich“. 2017 will sie Gleiches vermelden – dieses Mal zu Recht.
29 Dec 2016
## AUTOREN
Christoph Herwartz
## TAGS
Köln
Silvester
Sexuelle Übergriffe
Silvester
Lesestück Interview
Köln
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
Schwerpunkt Überwachung
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