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# taz.de -- Comic „Berichte aus Japan“ von Igort: Eintritt in eine fremde W…
> Im Reich der Zeichen und der Sinne: Igorts respektvoll erzählte „Berichte
> aus Japan“ speisen sich aus seiner eigenen Erfahrung als Mangaka.
Bild: Aus Igorts Band „Berichte aus Japan“
Ein europäischer Comiczeichner im Hamsterrad der Mangaindustrie? Schwer
vorstellbar, denn in Japan gelten bekanntlich besondere Regeln in der
Arbeitswelt, die arbeitsrechtlich verwöhnte Mitteleuropäer sicher als
Sklavenarbeit empfinden würden. Doch sind, so lernen wir aus einer neuen
Graphic Novel, unter diesen Bedingungen schon viele Meisterwerke
entstanden.
Der 1958 geborene, heute in Paris ansässige italienische Zeichner Igort
(Igor Tuveri) gehört seit über dreißig Jahren zu den facettenreichsten
Persönlichkeiten der italienischen Comicszene. Zusammen mit Lorenzo
Mattotti und anderen gründete er 1983 in Bologna die wichtige
avantgardistische Künstlergruppe Valvoline, veröffentlichte in
italienischen, aber auch französischen Comicmagazinen wie Métal Hurlant und
gründete später seinen eigenen Verlag Coconino Press für Autorencomics.
Seine Comics und Graphic Novels – meist sind es in sich abgeschlossene
Einzelwerke – zeugen von hohem künstlerischem Anspruch. Während die
Frühwerke ästhetisch noch etwas exzentrisch wirken und an die
Formexperimente des italienischen Futurismus erinnern, bändigt Igort seinen
Stil später, bewahrt sich aber die Lust am Experiment. Meisterwerke wie der
2003 erschienene Mafiakrimi „5 ist die perfekte Zahl“ und die
Musikerbiografie „Fats Waller“ (2004, beide erschienen im avant-verlag)
entstehen.
In den letzten Jahren lieferte er mit seinen Reisereportagen „Berichte aus
der Ukraine“ beziehungsweise „Berichte aus Russland“ (Reprodukt Verlag)
differenzierte gezeichnete Analysen politischer Verhältnisse in der
ehemaligen Sowjetunion, in denen er klug Zusammenhänge zwischen
historischen Gräueltaten und heutigen Zuständen aufzeigte.
Seine neueste Graphic Novel „Berichte aus Japan“ fällt dagegen weniger
politisch aus, sie ist vielmehr ein persönlicher Rückblick. Denn Igort hat
in den 90ern sechs Jahre in Japan gelebt, insgesamt rund zehn Jahre als
Mangaka für den Verlag Kōdansha gearbeitet, sogar sehr erfolgreich mit der
für Kinder konzipierten Serie „Yuri“.
## Skurril, aber auch grausam
Igort beschreibt seinen Eintritt in eine fremde Kultur, die ihn seit
Kindestagen fasziniert hat, und illustriert am eigenen Beispiel die
Umstände, unter denen Mangas in Japan entstehen. Das kann manchmal skurril
sein, aber auch grausam, wenn Igort, noch vom Jetlag gepeinigt, jeden Tag
eine 16-seitige Geschichte abliefern muss, um dem Anspruch seines
Redakteurs zu genügen.
Neben diesem erhellenden wie respektvollen Erfahrungsbericht gibt Igort vor
allem – in lockerer Collage aus verschiedenen grafischen Stilen, Papier-
und Erzählformen – einen tiefen Einblick in die „Schatzkiste“ der
japanischen Kultur, liefert zahlreiche kulturhistorische Hintergründe etwa
zur Bedeutung der Chrysanthemen-Blüte, zu Sumo-Ringern, Samurai oder zum
früheren Kastensystem, das heute noch Nachfahren der Burakumin
(Unberührbaren) stigmatisiert, indem sie in Datenbanken von Unternehmen
gekennzeichnet werden.
Igort lernte zahlreiche berühmte Mangaka wie Osamu Tezuka und Jiro
Taniguchi oder den Animationsfilmregisseur Hayao Mijazaki persönlich kennen
und stellt sie ausführlich, zum Teil in eigenen Kapiteln vor, aber auch
historische Persönlichkeiten wie den Maler (und Manga-Namenspaten) Hokusai
oder den provokanten Schriftsteller Tanizaki Junichiro.
## Das Leben der Kurtisane Abe Sada
Igorts umfassenden kunsthistorischen Kenntnisse reichen von der klassischen
Holzschnittkunst bis hin zu einigen heute vergessenen oder zumindest
hierzulande unbekannten Manga- wie Anime-Künstlern. Eindringlich,
vielleicht etwas zu ausführlich wird das Leben der Kurtisane Abe Sada
nacherzählt, das hierzulande schon durch mehrere Verfilmungen (etwa „Im
Reich der Sinne“ von Nagisa Oshima) bekannt ist.
Doch Igort gelingen auch Ausgrabungen, wenn er in niedlichem Stil
gezeichnete Soldaten-Anime und -Mangas zitiert („Momotaro“, „Norakuro“),
die aus den 30er Jahren stammen und zum Teil Propagandaelemente aufweisen,
künstlerisch aber ihrer Zeit voraus waren. So kann der Leser in dieser
fernöstlichen Wundertüte einiges entdecken und sich an Igorts Zeichnungen
erfreuen, die die unterschiedlichen Stile aufgreifen und perfekt imitieren.
5 Dec 2016
## AUTOREN
Ralph Trommer
## TAGS
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