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# taz.de -- Comic über China-Reisebericht: Der gute Mensch von Sichuan
> Zwischen den Welten: Sascha Hommers Comic-Reisebericht „In China“ ist ein
> irritierendes Spiel mit Brechts Verfremdungseffekten.
Bild: Cover von „In China“ (Ausschnitt)
Der Himmel ist schwarz. Zeichenkohleschwarz. Das Flugzeug kämpft sich beim
Anflug auf Chengdu durch krisselige, dunkle Wolken, die die Stadt zu
erdrücken scheinen. Der Hamburger Comiczeichner Sascha Hommer verzichtet in
seinem Reisebericht „In China“ bewusst auf Farben. Er beschränkt sich auf
schwarz-weiß-graue Töne, um die Assoziationen an Smogbilder aus Chinas
Großstädten zu verstärken.
Chengdu, Hauptstadt der südwestchinesischen Provinz Sichuan, hat sich seit
den 1960er Jahren zu einer 14-Millionen-Metropole entwickelt. Vier Monate
hielt sich der 1979 geborene Sascha Hommer 2011 dort auf. Er besuchte ein
befreundetes Pärchen und unterstützte sie bei der Herausgabe eines
Magazins, dass sich an Expats richtet – westliche Fachkräfte, die von ihren
Unternehmen in chinesische Zweigstellen entsandt wurden.
Anders als der französische Comicautor Guy Delisle, der in „Shenzhen“
seinen Alltag als Expat-Leiter in einer chinesischen Großstadt als Abfolge
absurder Begebenheiten pointiert beschreibt, erzählt Sascha Hommer eher
unspektakulär, fast gleichgültig – was stellenweise befremdlich wirkt. Wie
in seinem Erstlingswerk „Insekt“ (2006), einer überzeugenden Parabel auf
Anderssein und Ausgrenzung, wendet er auch hier das Mittel der visuellen
Verfremdung an, um die Leser zu irritieren.
Die Orte sind bei aller grafischen Vereinfachung realistisch gehalten, doch
seine Figuren stilisiert Hommer extrem. Ihre überdimensionierten Köpfe auf
schmächtigen Körpern erinnern an die kindlichen Charaktere der „Peanuts“
von Charles M. Schulz.
## Gleiche und Aliens
Hommers Chinesen sehen so annähernd alle gleich aus, eine Mischung aus
Spielzeug- und Mangafiguren, während die Westler individualisierter
dargestellt sind, doch ins Absurd-Alienhafte übersteigert werden. Der
Zeichner persifliert damit wohl die selbstherrliche Wahrnehmung vieler
Westler, die oft vorgeben, asiatische Gesichter nicht unterscheiden zu
können, und setzt eins obendrauf, indem er die östliche Perspektive
imaginiert.
Hommers Alter Ego Sascha trägt das ganze Buch hindurch eine Maske – erst
eine Katzenmaske, später auch andere –, vielleicht eine Reminiszenz an die
Sichuan-Oper, bei der Masken- und Rollenwechsel eine große Rolle spielen.
Ganz geht dieses Spiel mit dem V-Effekt (Brecht grüßt) nicht auf.
Beim Lesen stört es auf Dauer, so die mimischen Ausdrucksmöglichkeiten der
Figuren derart beschnitten sind. Sascha registriert ohne zeichnerisch
sichtbare emotionale Regung, was ihm widerfährt. Allerdings sind die
Geschehnisse sehr alltäglich. Sprachkurs, Wohnungssuche, Kurierjob, Essen
im Imbiss und das Leben mit Ungeziefer.
Über die Einheimischen in Chengdu erfährt man erstaunlich wenig, und wenn,
dann meist aus der Außenperspektive, wenn etwa Saschas Freund Karl von
typischen Verhaltensweisen von Chinesen während eines Erdbebens erzählt.
Von der Stadt Chengdu sieht man überwiegend eintönige graue Wohnblöcke, ab
und zu tauchen touristische Attraktionen wie eine riesige Mao-Statue, die
Sichuan-Oper oder das Pandabären-Gehege im Zoo auf.
Abwechslung bieten die in die Handlung eingeflochtenen literarischen
Exkurse. Marco Polos Reisen werden etwa mit Sunzis antiker Philosophie von
der „Kunst des Krieges“ vermengt. Oder Professor Fan-se-jen, eine Randfigur
aus Hergés chinesischem Tim-und-Struppi-Abenteuer „Der blaue Lotos“, wird
auf originelle Weise wiederbelebt, um die Kakerlagenplage clever zu lösen.
Hommer zitiert gewitzt Hergés frühere Bildeinfälle.
Gelungen verstörend erscheint auch Hommers verdichtetes Zitat des
Science-Fiction-Klassikers „Die Stadt der Katzen“ von Lao She aus den
1930er Jahren. In dieser Hochkultur der Katzen degenerieren diese auf dem
Mars nach dem Genuss von Rauschblättern. Die können dadurch von ihren
Feinden, den Menschen, überwältigt werden – eine Allegorie auf das
Endstadium des alten China.
Hommers vielfältige Anspielungen bereichern den oft spröde wirkenden
Reisebericht so um assoziative, historische oder surreale Elemente. Das
heutige Chengdu erscheint hingegen als eine austauschbare Millionenstadt,
von Smog, Kakerlaken und Ratten beherrscht, in der kaum Denkwürdiges
passiert.
Gelungen auch andere Szenen. So erinnert ihn sein Sprachlehrer an „Big
Bird“, den gelben Vogel aus der Sesamstraße, der in einem 1983 gedrehten
Fernsehfilm (amerikanisch-chinesische Koproduktion!) China bereiste.
Beiläufig erwähnt dieser Lehrer, dass er seit 1983 in China lebt.
Und die Erzählung von Saschas Job in einem Tonstudio ist ebenfalls ein
echtes Kabinettstück des absurden Humors. Er muss Werbetexte chinesischer
Unternehmen vorlesen, die so schlecht ins Deutsche übersetzt sind, dass sie
echte Nonsens-Kunst darstellen.
24 Apr 2016
## AUTOREN
Ralph Trommer
## TAGS
Comic
Bertolt Brecht
China
Comic
Nachruf
Reiseland China
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