| # taz.de -- Blues & Blut im Comic: Liebe zum Gruseln | |
| > Der französische Zeichner Mezzo erzählt die Biografie des Musikers Robert | |
| > Johnson. Der Niederländer Erik Kriek widmet sich „Murder Ballads“ | |
| Bild: Nellie Kane, vor dem Geist eines Toten fliehend (nach „Caleb Meyer“ v… | |
| Der Musiker Robert Johnson ist wohl nur eingefleischten Bluesliebhabern ein | |
| Begriff. Obwohl sein Einfluss auf Kollegen wie Eric Clapton, Jimi Hendrix | |
| oder die Rolling Stones unbestritten ist und viele seiner nur 29 Songs bis | |
| heute gecovert werden, hat er doch wenig von seinem Ruhm gehabt: Er starb | |
| bereits 1938, im Alter von 27 Jahren, wie viele Legenden der | |
| Musikgeschichte. Nun setzt ihm [1][„Love in Vain“], die nach einem von | |
| Johnsons Songs betitelte Graphic Novel zweier Franzosen, ein Denkmal. | |
| Das Szenario zu dem querformatigen Band stammt von Jean-Michel Dupont, | |
| einem Musikjournalisten, Roman- und Comicautor, der Zeichner Mezzo (alias | |
| Pascal Mesemberg) liefert die Bilder dazu. Robert Johnson wird im ärmlichen | |
| Milieu schwarzer Baumwollpflücker in Mississippi groß, fällt früh als | |
| Mundharmonika-, dann als Gitarrenspieler auf und lebt fortan vom Tingeln. | |
| Seine erste Frau stirbt früh im Kindbett, danach entwickelt er sich zum | |
| „Lady Killer“ und harten Trinker. | |
| Nicht zuletzt setzt der Comic auch die bekannteste Legende um Robert | |
| Johnson um, nämlich, dass ihm der Teufel an einer Wegkreuzung begegnete und | |
| seine Gitarre gestimmt habe, um danach „göttlich“ zu spielen – im Tausch | |
| für seine Seele (der allwissende Erzähler spielt übrigens eine besondere | |
| Rolle). | |
| Insgesamt erscheint das prekäre Leben des Musikers wie ein einziger Rausch, | |
| zahllose Auftritte in billigen Tanzschuppen der schwarzen Community, | |
| Sexaffären und Alkoholexzesse reihen sich orgiastisch aneinander. Robert | |
| Johnson tritt in den Massenszenen oft nur als Randfigur auf, immer | |
| erkennbar an seinem Nadelstreifenanzug und der Gitarre. Obwohl das Buch die | |
| wichtigsten Stationen im Leben des Musikers nachzeichnet, ist es keine | |
| Charakterstudie, es schildert vielmehr ein typisches schwarzes Schicksal | |
| zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. Es lebt aber auch von der Kraft seiner | |
| Bilder. | |
| Der 1960 geborene Comiczeichner Mezzo (bekannt durch die surreale | |
| Kleinstadt-Trilogie „Der König der Fliegen“, erschienen im Avant Verlag) | |
| beschränkt sich in seinen atmosphärisch starken Zeichnungen auf extrem | |
| kontrastreiches, expressionistisches Schwarzweiß, sodass die Schwüle der | |
| amerikanischen Südstaaten geradezu spürbar und der knisternde | |
| Delta-Blues-Sound der alten Aufnahmen Johnsons fast hörbar wird. Der | |
| abschließende Teil des Bands enthält die Texte einiger seiner wichtigsten | |
| Songs wie „Me and the Devil Blues“ oder „Sweet Home Chicago“, jeweils | |
| illustriert in lebendigen Kohlezeichnungen Mezzos. | |
| Auch der niederländische Comiczeichner Erik Kriek beschäftigt sich in | |
| seiner neuesten Graphic Novel [2][„In the Pines“] mit einer amerikanischen | |
| Musiktradition. Hier liefern fünf sogenannte Murder Ballads die Grundlage, | |
| Folk- oder Hillbilly-Songs, die von einem Mord handeln, darunter | |
| Traditionals und neuere Songs wie Nick Caves „Where the Wild Roses Grow“. | |
| Wie Mezzo tritt auch Erik Kriek ästhetisch in amerikanische Fußstapfen: | |
| Seine Bilder erinnern in ihrer expressiven Figurenzeichnung und der | |
| Holzschnittästhetik an die Hoch-Zeit der anspruchsvollen EC-Horrorcomics | |
| der 50er Jahre (EC stand für „Educational Comics“ bzw. „Entertaining | |
| Comics“). Seine Liebe zu klassischem Grusel hatte schon seine kongeniale | |
| Interpretation von H.-P.-Lovecraft-Erzählungen geprägt. | |
| ## Düstere Texte | |
| Im vorliegenden Band greift Kriek die düsteren Texte der Mordballaden auf, | |
| siedelt sie ungefähr zur Zeit ihrer Entstehung (Ende des 19., Beginn des | |
| 20. Jahrhunderts) im amerikanischen Hinterland an und ergänzt die | |
| Leerstellen durch eine schlüssige Backstory. | |
| Dabei erweist sich Kriek als souveräner Erzähler – jede einzelne Geschichte | |
| ist raffiniert aufgebaut und wartet mit einer Überraschung zum Ende auf. | |
| Die einzelnen Mörder werden differenziert dargestellt: Die verheiratete | |
| Nellie Kane ermordet etwa ihren Vergewaltiger in Notwehr und fürchtet | |
| fortan dessen Geist („Caleb Meyer“, nach dem Text der Bluegrass-Musikerin | |
| Gillian Welch). Sie verheimlicht die Tat aber vor ihrem Mann, da sie nun | |
| endlich schwanger geworden ist. | |
| Im weißen „Taneytown“ (nach einem Steve-Earle-Song) hat ein schwarzer | |
| Jugendlicher nichts verloren, er wird bedroht und ersticht seinen | |
| Angreifer. Er lässt es auch zu, dass ein anderer für seine Tat gelyncht | |
| wird. Der angedeutete gesellschaftliche Hintergrund wird durch Krieks | |
| glaubwürdige Settings anschaulich. Visuell ist das virtuos, Kriek baut | |
| seine Seiten filmisch genau auf, er besticht durch ungewohnte Blickwinkel | |
| und effektvolle Licht-und- Schatten-Setzung. Jedes Panel hat seine | |
| Berechtigung. | |
| Kriek gibt den Panels oft organische Formen – ein von Altmeister Will | |
| Eisner bekanntes Stilmittel –, sodass sich in Verbindung mit den jeweils | |
| subjektiven, psychologisch genauen Erzählperspektiven ein „traum“-hafter | |
| Lesefluss ergibt. Die subtile Stimmung der schwarzweiß getuschten Storys | |
| wird mit jeweils unterschiedlichen, dezenten Hintergrundfarben gestützt. | |
| Dem Buch liegt eine CD der Gruppe „Bluegrass Boogiemen“ mit Adaptionen der | |
| „Ballads“ bei, Kriek spielt zum Teil selbst Gitarre und singt. Die zwei | |
| teuflisch gut gezeichneten Graphic Novels zeigen, dass sich Musik auch in | |
| andere Medien übertragen lässt, wenn die Inspiration stimmt. | |
| 22 May 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.egmont-graphic-novel.de/graphic-novel/love-in-vain-robert-johnso… | |
| [2] https://issuu.com/avant-verlag/docs/leseprobe_in_the_pines | |
| ## AUTOREN | |
| Ralph Trommer | |
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