# taz.de -- Fan-Debatte zu RB Leipzig: Gegen das Leipziger Einerlei | |
> Die Schlacht der Leipziger Amateure Chemie und Lok ist geschlagen. Bietet | |
> angesichts dieses Rumpelfußballs der Brauseklub den besseren Kick? | |
Bild: Die „Gruppo Anti-Lok“: Banner von Chemie-Fans vor großem Polizeiaufg… | |
Leipzig taz | Es war nach dem Viertelfinalspiel der BSG Chemie Leipzig | |
gegen den 1. FC Lokomotive Leipzig im Sachsenpokal am 13. November. Der | |
nicht gerade für seinen Hang zum ausschmückenden Pathos bekannte | |
Chemie-Trainer Dietmar Demuth erklärte nach der 0:1-Niederlage: „Wir haben | |
Fußball-Deutschland gezeigt, dass es nicht nur Fußball-Chaoten gibt. Es war | |
ein Fußballfest.“ | |
Zuvor überschlugen sich deutschlandweit die Medienberichte, die Hass und | |
Gewalt rund um das legendäre Derby geradezu herbeischreiben wollten. Kaum | |
ein Blick wandte sich auf den Alltag des Regionalligisten Lok und des | |
Oberligisten Chemie oder auf die Bewältigung durch ehrenamtliche Arbeit und | |
Fans, die das Vereinsleben strukturieren und unterstützen – kurz: darauf, | |
wie Vereine existieren, denen kein Geld hinterhergeworfen wird und die auf | |
Initiative von Fans einen Neuanfang vor wenigen Jahren wagten. | |
Bereits einen Tag vor dem Derby fand das zweite große Fantreffen von | |
Rasenballsport Leipzig statt. Hier kam auch ein Vertreter der Landespolizei | |
zu Wort, der „Tendenzen zur Sorge“ in Richtung RB-Fans äußerte. Darunter | |
verstand er gezündete Pyrotechnik oder Provokationen von gegnerischen Fans. | |
Das kratzt natürlich etwas am Selbstverständnis des Vereins. Er ließ in | |
dieser Saison nicht nur aus sportlicher Sicht aufhorchen, sondern auch | |
durch seine öffentliche Selbstbeschreibung. Nach der Sitzblockade von | |
Kölner Fans beim Auswärtsspiel erklärte RB-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff | |
seinen Club „als ein großes, vorbildliches Zugpferd mit einer neuen | |
Fußballkultur ganz ohne Gewalt und Aggressionen“, denn „Red Bull ist das | |
Beste, was der Bundesliga passieren konnte“, so Mintzlaff im Interview mit | |
der Leipziger Volkszeitung Mitte Oktober. | |
## Gewaltfreie Spiele in allen Ligen | |
Das neue Leipziger Zugpferd möchte, dass Familien ohne Angst ins Stadion | |
gehen können. Dabei besuchen in Leipzig Woche für Woche Familien | |
gewaltfreie Fußballspiele in den unterschiedlichen Ligen. Ein weiteres Plus | |
sieht der Geschäftsführer darin, dass RB „der Verein zum Anfassen“ sei. | |
Mintzlaff, der ehemalige Langstreckenläufer, verfüge über keinerlei | |
Erfahrungen in der Fußballkultur, da sind sich zwei Mitglieder der „Red | |
Aces“, der Ultragruppe von RB, sehr sicher. Sie wurden von Kumpels zu | |
RB-Spielen in der Regionalliga mitgenommen, sonst würden sie heute | |
vielleicht bei den Diablos in Leutzsch oder der Fankurve 1966 bei Lok | |
stehen. Vielleicht aber auch nicht, weil sie das Neue und noch struktur- | |
und hierarchielose innerhalb ihrer Gruppe schätzen. | |
Wichtig für sie ist, dass ein „Vereinsleben mehr als Sponsorentreue“ | |
darstellt. In ihrer Agenda halten sie selbstbewusst fest: „Wir sind kein | |
zweites Salzburg! Wir sind Leipzig!“ Auf ihrer Homepage findet sich ein | |
Foto vom Zweitliga-Auswärtsspiel bei Union Berlin. | |
In der Alten Försterei war damals von Berliner Seite groß zu lesen: „Das | |
höchste Gut der Fans ist die Mitbestimmung“, neben Spruchbändern wie „Fans | |
in Vereinsgremien“ – von all dem ist RB noch einiges entfernt, wenn denn | |
jene Werte dort ankommen möchten. Weil den Red Aces Aktionen und Politik | |
genauso wichtig sind wie Fußball, traten sie gerade dem RB-Fanverband aus. | |
Anstelle von Nähe spürten sie dort vor allem Bürokratie und vorauseilenden | |
Gehorsam gegenüber der Vereinsführung. Der Club ist ihrer Meinung nach viel | |
zu schnell gewachsen, denn so blieb die Entwicklung einer Fankultur auf der | |
Strecke. | |
## Bei Ultras hört die Nähe auf | |
„Wir haben uns in der Vergangenheit immer stärker geöffnet und lassen Nähe | |
zu“, so sieht es Sportdirektor Ralf Rangnick und verweist auf öffentliche | |
Trainingseinheiten. Für Rangnick besteht das Neue von RB in Sachen | |
Fußballkultur vor allem im Erstligafußball, und Nähe hört bei Ultras auf. | |
Wie er sehr deutlich der Presse vor dem Pokalspiel gegen Dynamo Dresden | |
erklärte, würde er sich in seiner Leipziger Amtszeit niemals deren | |
Forderungen beugen. | |
Die Nähe und das Reden über eine neue Fußballkultur sehen [1][die Blogger | |
von zwangsbeglueckt.de] eher kritisch. Ihr Name stammt aus dem | |
Mateschitz-Zitat, als die DFL im Sommer 2015 die Zutrittsbarrieren für | |
Mitglieder und die Red-Bull-Mitarbeiter in der Führungsetage kritisierte. | |
So halten sie fest: „Als ob inzwischen die Mitgliedsbeiträge gesenkt und | |
hunderte stimmberechtigte Mitglieder dabei seien. Als ob man ernsthaft an | |
einer selbstbestimmten und auch mal schwierig werdenden Fankultur | |
interessiert sei. Als ob das Ganze aufgehört hätte, in erster Linie ein | |
Marketingzirkus zu sein.“ | |
Das sieht Oberbürgermeister Burkhard Jung etwas anders. Im | |
Aufstiegsinterview im vergangenen Mai wiegelte er ab, denn „natürlich wäre | |
es schön, wenn wir mit einem ehrenamtlich geführten Verein spitze wären und | |
trotzdem Inter Mailand und Arsenal London schlagen würden. Aber so ist die | |
Welt.“ | |
„Aber so ist die Welt“, den Satz würde vermutlich auch RB-Cheftrainer Ralph | |
Hasenhüttl unterschreiben, die RB-Welt möchte man daher ergänzen. Daher | |
hält der Coach im Gespräch fest: „Aber in Wahrheit ist alles, was du im | |
Fußball findest, eins zu eins auf die Gesellschaft übertragbar. Die | |
Fußballkultur ist heute organisierter, als sie es damals war, und diese | |
Entwicklung, die eine Gesellschaft nimmt, die bildet sich natürlich im | |
Fußball ab. Das ist auch schön.“ | |
## Der Fan in der Kontrollgesellschaft | |
Was in letzter Konsequenz auch heißt, der Fan in der Kontrollgesellschaft | |
ist ein kontrollierter Fan. Ein wirklich guter Fan will laut Hasenhüttl | |
„nicht unbedingt gegen alles sein, das dem positiven Unterstützenden | |
widerstrebt, um seine eigenen Ansichten durchzudrücken“. Daher gilt: „Egal | |
welche Gesinnung in einer Fangruppierung herrscht, die Liebe zum Fußball | |
muss sich in dem Fansein unterordnen.“ Er sieht die Stimmung als eins der | |
größten Aushängeschilder von RB. „Dir erzählt jeder: 'Ich bin so dankbar, | |
dass ich dabei sein durfte!’ Ich hoffe, dass es so lange, wie wir so | |
weiterspielen, auch so bleibt.“ Dankbarkeit kann dann auch von der Presse | |
eingefordert werden, die soll – wie Hasenhüttl klipp und klar vor dem | |
Augsburgspiel erklärte – die „lächerlichen“ Proteste kleiner Gruppen | |
ignorieren. | |
Stephan Reich von 11 Freunde sieht die Proteste gegen RB nicht als | |
verschwindend gering an – wie der Blick in die deutschen Stadien ja zeigt. | |
Ihm recht gibt das „Stadionzeugnis“ der ARD, in dem RB auf dem letzten | |
Platz zu finden ist. Erklärt wird dieser Sachverhalt mit den Worten: „Der | |
letzte Platz für Leipzig ist wohl mit der allgemeinen Ablehnungshaltung | |
gegen den Klub zu erklären.“ | |
19 Nov 2016 | |
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[1] http://www.zwangsbeglueckt.de/ | |
## AUTOREN | |
Britt Schlehahn | |
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