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# taz.de -- Selbstverwalteter spanischer Fußballclub: Alles für den Verein
> Beim spanischen Viertligisten Murcia entscheiden die Fans über die
> Vereinspolitik. Eine Erfolgsgeschichte, die nun aber an ihre Grenzen
> stößt.
Bild: Gegen den modernen Fußball: Murcia ist der gelebte Traum vom puren, rein…
Murcia taz | Die Vereinsversammlung halten sie in einem Shoppingcenter ab.
Ungefähr zwanzig Leute auf unbequemen Caféstühlen, die Klimaanlage bläst.
Draußen ist es dunkel, es regnet. José Francisco Navarro, der Präsident,
spricht.
Er ist 28 Jahre alt, trägt Jeans und Pulli, Studentenlook. Seit sechs
Jahren ist er beim spanischen Viertligisten mit dem langen Vereinsnamen
Club de Accionariado Popular (CAP) Ciudad de Murcia im Amt. Es geht um
einen Aufnäher auf dem Ärmel der Trikots, der nicht vorschriftsmäßig ist
und entfernt werden könnte – oder auch nicht, je nachdem, wie abgestimmt
werden wird. Wortmeldungen. Lebhafte Gegenreden. Allgemeines Genippe am
Bier.
Einige im Saal sehen aus wie gelangweilte Schüler, tippen abwesend auf dem
Smartphone herum, irgendwer quatscht. „Ruhe!“ Was aussieht wie eine
Mischung aus Arbeitsgruppe und Stammtisch ist eine Mitgliederversammlung
des Klubs im Süden Spaniens. Und nicht herausragender Fußball, sondern
Versammlungen wie diese sind es, die den Club in Spanien bekannt gemacht
haben.
CAP Ciudad de Murcia ist ein supporter owned club – ein Verein, der seinen
Fans gehört. Es ist der romantische Traum des engagierten, vielfach eher
links orientierten Anhängers: Fußball gehört wieder den Fans. Jeder, der
einen Anteil am Klub hält, darf mitentscheiden, abstimmen nicht nur über
den Präsidenten, sondern über Anstoßzeiten, Eintrittspreise und eben auch
den Aufnäher auf dem Trikotärmel, wenn einen das interessiert.
Basisdemokratie halt.
## Viele sind auf die Nase gefallen
„Die Fans entscheiden darüber, was im Klub passiert“, sagt Präsident
Navarro. Ciudad war der erste spanische Klub, der sich für dieses Modell
entschied, und ist heute einer der erfolgreichsten. Gegründet 2010, zu
einer Zeit, als englische Klubs wie der AFC Wimbledon und der FC United of
Manchester schon längst mit dem Konzept gestartet waren, als viele weitere
in Turbulenzen geraten oder auf die Nase gefallen waren.
„Das Konzept steht überall unter massivem Druck“, sagt Antonia Hagemann von
Supporters Direct Europe, einer von der Uefa geförderten Organisation, die
fangeführte Vereine berät. „Im Ligaalltag müssen sie oft mit Klubs
konkurrieren, die korrupt sind, die von Milliardären finanziert werden, die
ganz andere Voraussetzungen haben. Und man will natürlich alles richtig
machen.“
Nicht nur äußere Umstände, sondern auch das Konzept selbst brachte immer
wieder Klubs zu Fall: Als sich in den Nullerjahren die ersten von Fans
kontrollierten Klubs gründeten, sollten Anteilsinhaber bei Fortuna Köln
oder Ebbsfleet United über Spielerverpflichtungen, über den Trainer, sogar
über die Aufstellung entscheiden dürfen. Diese naive Idee von
Schwarmintelligenz war zum Scheitern verurteilt. Ein Scheitern, das
letztlich jeden enttäuschte.
Hagemann nerven solche Versuche: „Das hatte mit vernünftiger Vereinsführung
nichts mehr zu tun. Ich maße mir als Fan doch nicht an, zu entscheiden, wer
der neue Trainer ist.“
Doch auch bei sorgsamer Herangehensweise gab es Probleme: Inkompetenz,
Grabenkämpfe, zu mächtige Einzelgruppen. Ciudad de Murcia ist vorsichtig.
Präsident Navarro sagt zwar, die Fans könnten „absolut alles“ entscheiden,
definiert das dann aber so: Alles, außer dem Sportlichen. Dafür gibt es ein
extra gewähltes Gremium.
Der Klub ist in Arbeitsgruppen strukturiert, die sich um einzelne Bereiche
kümmern. Und die Arbeitsgruppe Sport ist von Entscheidungen des Plenums
abgegrenzt: Niemand soll wie in früheren Projekten seinen unfähigen
Lieblingsspieler auf den Rasen voten. Trotzdem, sagt Navarro, dürfe man
nicht zu misstrauisch sein: „Man muss Vertrauen haben. Und wenn die Fans
dann falsch liegen, ist es eben so.“
## Drei Aufstiege in sechs Jahren
Bisher lagen sie noch nicht allzu oft falsch: Ciudad de Murcia ist eine
Erfolgsgeschichte. Drei Aufstiege in sechs Jahren, ein Schnitt von 1.500
Zuschauern im Vergleich zu einem Ligaschnitt von etwa 300, bislang nur eine
Trainerentlassung und Inspirationsquelle für elf weitere Vereine in
Spanien.
Während in vielen Ländern das Konzept Fanverein Anhänger verloren hat oder
stagniert, bildet sich hier eine neue Avantgarde, die von den Fehlern der
ersten Generation lernen will. „Spanien ist ein Land, in dem die Anhänger
sehr gelitten haben“, sagt Navarro. „Viele historische Klubs sind
untergegangen. In einem Land, in dem der Fußball so misshandelt wurde,
haben die Menschen gesagt: Jetzt reicht’s!“
Die Geschichte von Ciudad selbst ist beispielhaft für die spanischen
Zustände: Jahrelang von korrupten Geschäftsleuten geführt, zweimal komplett
vor die Wand gefahren, im Jahr 2010 dann finanziell vor dem Aus. Innerhalb
weniger Monate entschieden sich die Anhänger, den Klub neuzugründen. „Uns
hat niemand für voll genommen“, erinnert sich Navarro. „In den anderen
Vereinen haben sie uns ausgelacht.“
Er selbst, schüchterner 23-jähriger Fan, war von einem Tag auf den anderen
Präsident. „Im ersten halben Jahr war mir das sehr unangenehm.“ Zunächst
sei aber alles leichter gegangen als erwartet: Das Projekt zog Spieler und
Fans gleichermaßen an, Sieg folgte auf Sieg.
## Angst vor dem Burn-out
Mittlerweile ist das anders. In der vierten Liga hat Ciudad eines der
kleinsten Budgets, im letzten Jahr kämpften sie gegen den Abstieg. „Jeder
Aufstieg bedeutet mehr Arbeit“, so Navarro. „Wir spielen in einer Liga, in
der wir mit relativ wenigen Leuten einen riesigen Haufen Arbeit bewältigen
müssen, und wir sind sehr erschöpft.“ Er selbst wird nach der Saison sein
Amt niederlegen – auch, wie er einräumt, weil er ausgebrannt sei.
Vollzeitjob, Familie, dazu jeden Tag ehrenamtliche Tätigkeit für den
Verein: Zu viel. „Ich will diesen Druck nicht mehr haben.“
Auch Trainer Gustavo Cantabella wird aufhören, aus ähnlichen Gründen. Und
macht sich Gedanken über die Zukunft des Klubs: „Ich habe vier Jahre jeden
Tag für den Verein gelebt. Was passiert, wenn ein neuer Trainer kommt?“
Antonia Hagemann von Supporters Direct kommt das Problem bekannt vor.
„Viele Leute mussten die Gruppen verlassen, weil sie Burn-out oder
Depressionen hatten. Die Arbeit bei so einem Verein ist sehr anspruchsvoll.
Und es stellt sich ganz schnell ein Helfersyndrom ein.“
## Breite statt Spitze
Bei Ciudad haben sie mittlerweile die Ziele umgestellt. „Wir wollen nicht
mehr in die Höhe wachsen, sondern in die Breite“, sagt Navarro. Ein
Aufstieg in Liga drei sei mit ihren Voraussetzungen unrealistisch. Und
höher hinaus darf in Spanien aus juristischen Gründen ohnehin kein
basisdemokratisch geführter Verein. Navarro, der Fan, der Präsident wurde,
glaubt weiterhin daran, dass Ciudads Konzept die Zukunft sei, allerdings
vor allem „in den unteren Ligen“. Einen Klub wie Ciudad in der ersten
spanischen Liga kann auch er sich momentan nicht vorstellen.
Aber vielleicht ist das sogar ganz gut so. Die gemeinsame Arbeit im Verein,
die Diskussionen im Shoppingcenter scheinen vor allem deshalb zu
funktionieren, weil die Gruppe so übersichtlich ist. Rund 200 Aktionäre
seien es aktuell, so der Präsident. Viele untereinander befreundet, viele
jeden Tag für den Verein engagiert.
„Wir sind alle keine Experten. Wir probieren und scheitern, und irgendwann
lernen wir“, beschreibt es Anhängerin Teresa Lopez, die seit den Anfängen
2010 dabei ist. „Als ich klein war, war ich für Real Madrid, aber der
Verein löst keine Gefühle mehr in mir aus. Ciudad hat mir so viele
Emotionen gegeben. Ich habe so viele neue Freunde gefunden.“
Hält solcher Idealismus? Mehrere englische Fanvereine haben ihre Anteile
mittlerweile wieder an Investoren vergeben – weil die Fans nach jahrelanger
harter Arbeit mit begrenztem Erfolg doch lieber wieder guten Fußball und
große Gegner sehen wollten. Bei Ciudad scheint das bislang kein Thema, zu
sehr trägt die Gemeinschaft. Dass man nur in der vierten Liga spiele, sei
ihr egal, sagt Lopez: „Ich vermisse es nicht, schönen Fußball zu sehen. Es
geht nicht mehr so sehr um Sport. Das hier ist unser Projekt.“
19 Nov 2016
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Spanien
Fußball
Fans
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
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