# taz.de -- Lok Leipzig gegen BSG Chemie Leipzig: „Keiner sagt‚ es wird nic… | |
> Der Fußballklub Lok Leipzig spielt im Sachsenpokal bei der BSG Chemie. | |
> Die Angst vor dem Aufeinandertreffen der verfeindeten Fanlager trübt die | |
> Vorfreude. | |
Bild: Diese Spielankündigung ziert eine Straße in Leipzig-Leutzsch. Anpfiff i… | |
LEIPZIG taz | Chemie gegen Lokomotive Leipzig, das ist kein normales | |
Fußballspiel. Tradition, Fankultur, Emotionen, Hass: In diesem Derby steckt | |
alles, was den Fußball schön und schaurig macht. „Es ist das größte Derby | |
im Osten“, freut sich Lok-Trainer Heiko Scholz. „Keiner sagt‚ es wird | |
nichts passieren“, seufzt Dirk Skoruppa, Vorstandssprecher von Chemie, mit | |
Blick auf mögliche Fan-Ausschreitungen. Genau in diesem Spannungsfeld | |
bewegt sich das Derby, das sich, sagen zumindest einige Verantwortliche und | |
Funktionäre unter der Hand, niemand gewünscht hat. „Beide Gefühle, Bedenken | |
und Vorfreude, halten sich die Waage“, formuliert es Skoruppa. | |
Seit 31 Jahren hat es kein Duell der ersten Mannschaften mehr gegeben. Die | |
beiden Vereine spielen in unterschiedlichen Ligen, doch das | |
Sachsenpokal-Viertelfinale sorgt für die brisante Begegnung. Eine lange | |
Geschichte verbindet sie. Einst sportliche Aushängeschilder der DDR, ging | |
es nach der Wende für beide bergab. Insolvenzen, Skandale, Überheblichkeit | |
– die Geschichte ist verworren und voller Anekdoten. Wie bei so vielen | |
Ostvereinen war vor allem bei Lok stets sportliche Kompetenz oder Geld da, | |
bislang aber nie beides. | |
Der Hass zwischen den Fanlagern hat seinen Ursprung in den 50er Jahren. | |
Damals beginnt die DDR-Führung, den Sport zu manipulieren. Die besten | |
Spieler werden delegiert, werden in besonders geförderten Teams | |
zusammengezogen. Der BFC Dynamo in Berlin ist der Liebling der Funktionäre | |
und Politiker, doch auch in Probstheida soll eine Spitzenmannschaft | |
entstehen. | |
Also mussten die besten Kicker in dem Verein spielen, der ab 1966 1. FC | |
Lokomotive Leipzig heißt. In dieser Zeit entsteht in Leutzsch die BSG | |
Chemie Leipzig. Während in Probstheida die vermeintlich Besten | |
zusammengezogen werden, landeten die übrig gebliebenen als „Rest von | |
Leipzig“ bei Chemie. Dieser Rest wurde aber 1964 Meister in der DDR. | |
Überheblichkeit in Probstheida, Underdogs in Leutzsch – der Beginn der | |
Rivalität. | |
## Lok versucht, Ordnung zu schaffen | |
Aus der Rivalität wurde Feindschaft, als die Fanlager beider Mannschaften | |
nach der Wende politisch diametrale Wege gehen: Lok rechts, Chemie links. | |
Im Jahr 2006 bildeten Lok-Fans ein menschliches Hakenkreuz im Block. Es | |
sind Aktionen wie diese, die das Image des Vereins und seiner Fans | |
nachhaltig beschädigt haben. Erst jüngst, im Sommer 2015, stürmten die | |
Anhänger der Gelb-Blauen im Erfurter Steigerwaldstadion den Platz. | |
Der bereits zuvor forcierte Wandel wurde hier zur Zäsur. Seitdem versucht | |
die Vereinsführung um den neuen Präsidenten Jens Kesseler, Ordnung zu | |
schaffen. Wer dem Verein schadet, bekommt Hausverbote und muss den Klub im | |
Zweifel verlassen. Den Schaden vom Platzsturm in Erfurt will der Verein | |
gerne an die Randalierer weiterreichen. Doch „es gibt noch kein einziges | |
eröffnetes Verfahren“, ärgert sich Kesseler. | |
Dazu kommt, dass die Fans natürlich nicht nur eine Bürde sind. Vielmehr | |
seien sie „das größte Kapital“, unterstreicht Lok. Ohne das Geld und die | |
ehrenamtliche Arbeit der Fans wäre man längst Geschichte. Deswegen will der | |
Verein auch nicht nur mit Verboten reagieren, sondern mit den Anhängern | |
reden. „Wir versuchen, die circa 40 Problemfans auch noch einzufangen, auch | |
wenn das nicht komplett gelingen kann“, so der Präsident. | |
Gerade beginnt sich das Image von Lok zu bessern, da fliegen vor wenigen | |
Wochen im Spiel gegen die verhasste zweite Mannschaft von RB Leipzig Böller | |
aus der Fankurve aufs Spielfeld und verletzen den Teammanager von Lok. | |
Ausgerechnet bei diesem Spiel saßen einige potenzielle Sponsoren auf der | |
Tribüne. So reißen die Fans das Erreichte ein. Denn nach langer finanziell | |
schwieriger Situation ist Lok erstmals wieder einigermaßen konsolidiert. | |
## Basisdemokratie und Mitbestimmung | |
Auf der anderen Seite der Stadt, nahe dem Leutzscher Holz, steht der | |
altehrwürdige Alfred-Kunze-Sportpark, kurz AKS. Hier wird das Derby | |
stattfinden, hier ist Chemie zu Hause. Ein Verein, in dem Basisdemokratie | |
und Mitbestimmung durch die Fans großgeschrieben werden. Die politische | |
Haltung ist eher links. „Wir legen großen Wert auf den Schutz von | |
Minderheiten und auf Antirassismus“, sagt Skoruppa, gesteht aber auch ein: | |
„Die Szene ist sehr speziell.“ | |
Auch in Leutzsch haben sie sich auf den Weg gemacht, in Richtung besserer | |
Fußballzeiten. Vor acht Jahren nahm der Verein den Spielbetrieb auf, hat | |
sich mit bescheidenen Mitteln in die fünftklassige Oberliga hochgekämpft. | |
Nachdem der Vorgängerverein Sachsen Leipzig äußerst schludrig mit den | |
Finanzen war, ist die schwarze Null in Leutzsch zum obersten Gebot | |
geworden. Mit wirtschaftlicher Vernunft will der Verein langfristig wieder | |
an die Tür der Regionalliga und der 3. Liga anklopfen. | |
Beide Vereine, Lok wie Chemie, eint derzeit ein ähnlicher Führungsstil. Mit | |
pragmatischen und realistischen Zielen in eine bessere Zukunft, das ist die | |
Marschrichtung. „Wir werden mit der Bundesliga nichts mehr zu tun haben, so | |
realistisch muss man sein. Aber wir können es in die 3. Liga schaffen und | |
dort traditionellen Fußball auf hohem Niveau bieten. Das ist auch schön“, | |
bringt es Trainer Scholz auf den Punkt. | |
Damit das gelingt, muss es am Sonntag im AKS ruhig bleiben. Einen | |
finanziellen, aber vor allem einen Imageschaden können sich beide | |
Fangruppen kaum mehr erlauben. Neben den knapp 5.000 Zuschauern haben sich | |
auch einige befreundete Fangruppen angemeldet. Eintracht-Frankfurt-Fans | |
wollen Chemie unterstützen, die Lok weiß Fans von BFC Dynamo, Hansa Rostock | |
und dem Halleschen FC hinter sich. Ein Polizeisprecher der Leipziger | |
Polizei sagt: „In beiden Fanlagern gibt es in der gewaltbereiten Klientel | |
ausreichend Nachwuchs. Das Spiel ist als Sicherheitsspiel klassifiziert.“ | |
## Strikte Fantrennung | |
Gewalt in und um das Stadion sind zu befürchten. Mehrere Hundertschaften | |
werden im Einsatz sein, die einen Ring um das Stadion bilden wollen. Rein | |
kommt nur, wer eine Karte hat. „Die Polizei will natürlich jede Eskalation | |
vermeiden. Deshalb werden verschiedene Maßnahmen ergriffen. Hierzu gehört | |
die strikte Trennung der Fans unterschiedlicher Lager“, heißt es von | |
Polizeiseite. | |
Mitte der Woche wurde ein geplanter Fanmarsch von Lok-Anhängern, der durch | |
Leutzsch bis zum Alfred-Kunze-Sportpark führen sollte, verboten. Rund 130 | |
Personen aus der Fanszene von Lok erhielten zudem Post – mit einem Verbot, | |
„den Bereich Leutzsch rund um das Stadion“ zu betreten. | |
Den 750 Lok-Fans, die eine Gästekarte haben, wird geraten, die Shuttlebusse | |
vom Bruno-Plache-Stadion zum AKS zu nutzen; es werde sehr schwierig, dort | |
auf anderem Wege hinzugelangen, meint ein Polizeisprecher. | |
Chemie-Vorstandssprecher Skoruppa sagt: „Mein allererster Wunsch ist, dass | |
es ruhig bleibt. Und mein Traum ist, dass wir endlich wieder ein Derby | |
gewinnen“. | |
13 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Fabian Held | |
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