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# taz.de -- 50 Jahre Lok Leipzig: Die Sache mit dem Ruf
> Der einst so stolze Klub spielt um den Aufstieg in die Vierte Liga. Und
> er kämpft um sein Image. Ein brauner Schatten liegt über dem Verein.
Bild: Einmarsch der Helden vor dem Halbfinale des Cupsiegercups 1987 gegen Giro…
Leipzig taz | Schwerfällig schiebt sich die nussbraune Holztür zur Seite.
Nur ein Spalt öffnet sich, kaum breit genug, um hindurchzutreten. Vor einer
ebenso braunen Trophäenwand sitzt Heiko Scholz, Trainer des 1. FC
Lokomotive Leipzig. Man sieht Scholz die Nähe zum Fußball an. Die lockige
Haarmatte der Achtzigerjahre hat er nie ganz abgelegt. Es ist Montag, der
11. Januar. Noch neun Tage bis zum 50-jährigen Jubiläum des Fußballvereins.
In diesen Tagen würde er gerne über Begriffe wie Tradition und das
Europapokalfinale von 1987 sprechen. Damals, beim knappen 0:1 gegen Ajax
Amsterdam in Athen, spielte Scholz selbst noch für die DDR-Mannschaft.
35.000 Zuschauer, tausend davon Lok-Leipzig-Fans. „Einer ist direkt in den
Westen abgehauen“, sagt Scholz mit leiser werdender Stimme. „Hat mich
damals ein bisschen enttäuscht – also, dass es nur einer war.“
Auch die aktuelle Saison läuft gut für den Leipziger Fünftligisten: Keine
Niederlagen, Tabellenführer, acht Punkte Vorsprung. Chancen auf den
Aufstieg. „Jetzt im Jubiläumsjahr wäre das natürlich besonders schön.“ …
allem nach den Querelen der letzten Jahre. Zwei Insolvenzverfahren hatten
den Verein 2004 zur Neugründung gezwungen. Das Stammstadion Bruno Plache
ging in städtischen Besitz über. Spenden und Eigenarbeit der Fans sorgten
dafür, dass es nicht komplett verfiel. Vor Kurzem wurden die Rechte am
Vereinsemblem zurückgekauft: gelber Schriftzug auf blauem Grund.
Und der immer noch anhaltende Ruf als Naziverein? „Ich weiß auch nicht, wo
der herkommt. Ich bin mir nicht mal sicher, ob wir überhaupt so einen
Naziruf haben.“ In seinen zwei Jahren als Trainer bei Lok habe Scholz noch
keinen Nazi kennengelernt.
## Blau-gelbe Sturmhauben
Sieben Stunden später ziehen rund 250 rechtsextreme Hooligans durch den
vier Kilometer entfernten Bezirk Connewitz. Augenzeugen erzählen laut
Zeitungsberichten von blau-gelben Sturmhauben. Ein Polizeisprecher wird die
Randalierenden noch in der Nacht der Fanszene von Lok Leipzig und dem
befreundeten Halleschen FC [1][zuordnen]. Während Legida im Zentrum sein
einjähriges Bestehen mit einem Spaziergang feiert, zertrümmern die Neonazis
Schaufenster im linksalternativen Connewitz – und im Bruno-Plache-Stadion
klingeln die Telefone.
Am nächsten Tag sitzt Teammanager René Gruschka hinter der dunkelbraunen
Schiebetür. Den Vormittag hat er mit Pressegesprächen verbracht. Immer
dieselben Fragen, immer dieselben Antworten: Natürlich, der Verein
distanziert sich von jeglicher Gewalt. Nein, das in Connewitz waren keine
Lok-Fans, sondern Kriminelle. Ja, wir werden Stadionverbote erteilen,
soweit dies notwendig und rechtlich möglich ist. Gruschka rutscht tiefer
und tiefer in seinen Sessel. „Wir sind sauber.“ In den letzten drei Jahren
sei im Verein aufgeräumt worden, sagt Gruschka durch die Finger seiner Hand
hindurch. „Wir müssen nicht mehr gegen unsere Vergangenheit kämpfen, aber
wir werden immer wieder von ihr eingeholt.“
Vergangenheit, das ist bei Lok Leipzig der „Sieg Heil“-Ruf vom
Spielfeldrand. Das sind auch vom Verfassungsschutz beobachtete Fangruppen
wie Scenario Lok und die Blue Caps LE, Ermittlungen wegen angeblicher
Hakenkreuzchoreografien auf den Zuschauerrängen, ein Exhooligan als
Vereinspräsident. Auch das Wegsehen gehört zu dieser Vergangenheit, sagt
die sächsische Linken-Abgeordnete Juliane Nagel.
## Rechte Kader als Fans
Nagel beobachtet den Verein seit beinahe fünf Jahren. Der nach seiner
Neugründung finanziell chronisch unterversorgte Fußballclub habe es lange
vermieden, sich mit den dominierenden Kräften im Fanblock anzulegen. Auch
aus Angst vor leeren Tribünen: „Das waren so richtige
testosterongeschwängerte Neonazis, die dort an der Spitze standen“, sagt
Nagel. „Da musste dann erst die schlechte Presse kommen, bevor etwas
unternommen wurde.“ Doch auch die Abgeordnete hält fest: Viel hat sich
geändert, die Vereinseinleitung ist mittlerweile sauber.
Das lange Wegsehen jedoch habe es den Rechten ermöglicht, sich zu
etablieren, sich auszubreiten. Auch außerhalb des Bruno-Plache-Stadions.
Gemäßigtere Fangruppierungen wurden aus den Zuschauerrängen gedrängt,
Beziehungen zur lokalen NPD verfestigt. Enrico Böhm war einst das
prominenteste Mitglied der offiziell aufgelösten Hooligangruppe Blue Caps
LE. Mittlerweile vertritt er die Leipziger NPD im Stadtrat. Zusammen mit
Lok-Gründungsmitglied Nils Larisch leitete er das NPD-Zentrum in der
Leipziger Odermannstraße. Im November mussten sie das Gebäude räumen.
Bei der 2014 ebenfalls aufgelösten Gruppierung Scenario Lok seien die
Linien laut Nagel weniger deutlich. Scenario Capo Marcus W. habe sich
früher bei der Jugendorganisation der NPD engagiert, aktuell sei er bei der
Fangruppe Gauner-LOK aktiv. Legida-Mitbegründer Marco Prager werden
gelegentlich Sympathien für Scenario Lok nachgesagt. Nach einem Aufmarsch
im April bedankte sich der ehemalige Legida-Organisator Silvio Rösler bei
den „Sportsfreunden von Lok Leipzig“ für den Begleitschutz. Der Fußballcl…
erwiderte den Dank mit einer Klage wegen Namensmissbrauch und
Rufschädigung.
## Die Mär vom unpolitischen Klub
Die meisten dieser Leute hätten mittlerweile Stadionverbot, erläutert
Gruschka am Tag nach Connewitz. Teilweise auf Lebenszeit. Keine Gewalt,
dafür stehe das neue Lok Leipzig, für Kinder am Platzrand und
Nachwuchsspieler aus zwanzig Nationen. Gruschka beginnt energisch
aufzuzählen: Japan, Algerien, Kanada – bis er mit dem Senegal endet. Lok
ist ein unpolitischer Verein, Lok ist ein weltoffener Verein.
Weltoffenheit wird auch von den Sponsoren verlangt. Im Jahr 2013 ließ
Scenario Lok ein Spiel gegen Babelsberg 03 eskalieren. Begleitet von
antisemitischem Gebrüll stürmten Hooligans das Spielfeld. Der Verein musste
reagieren, die Sponsoren brachen weg. Mit Judenhass lässt sich schlecht
Werbung machen. Scenario Lok erhielt Auftrittsverbot.
Weltoffen und unpolitisch heißt für René Gruschka auch, dass „am
Stadioneingang nicht kontrolliert wird, welches Parteibuch jemand mit sich
trägt“. Eingegriffen wird nur bei offen rassistischen Symbolen. „Und, na
ja“, meint Trainer Scholz, „deshalb haben wir doch damals 1989 mit
Hunderttausenden demonstriert. Soll doch jeder seine Meinung haben.“ Dafür
sei die Demokratie ja da. Mit dem Fußball habe das nichts zu tun.
Hauptsache ist, derjenige hat seinen blau-gelben Schal um den Hals.
20 Jan 2016
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=2uIaOq_mOhY
## AUTOREN
Markus Lücker
## TAGS
Legida
Leipzig
Fußball
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Schwerpunkt taz Leipzig
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Die Linke
Rechtsextremismus
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