| # taz.de -- Die Leipziger Fussballszene: Krasses Herzblut | |
| > Unten gegen oben, Alt gegen Jung, rechts gegen links - die Fronten in | |
| > Leipzigs Fußballszene sind klar, aber kompliziert. Die Rivalitäten der | |
| > Traditionsvereine werden befeuert durch neue Spaltungen. | |
| Bild: Ohne Gewalt geht es auch nicht... Polizeikontrolle am Leipziger Zentralst… | |
| "Nur ein Leutzscher ist ein Deutscher!", brüllt ein Glatzkopf, der von | |
| einer Anhöhe aus das Spiel zwischen der BSG Chemie Leipzig und dem SV West | |
| 03 Leipzig beobachtet. Der Adressat seiner Botschaft, die Kurve der | |
| "Diablos", antwortet prompt. "Du Hirni!", schreit ein junger Fan, der in | |
| einer schwarzen Kapuzenjacke steckt. "Du machst dich doch lächerlich", | |
| antwortet der glatzköpfige Alte und grinst breit. Er ist zum ersten Mal | |
| dabei, ganz unten in den Tiefen des Leipziger Fußballs, 13. Liga. Tiefer | |
| gehts nicht. Normalerweise geht er, der seinen Namen nicht nennen will, zum | |
| FC Sachsen Leipzig in die Vierte Liga. Der FC spielt im fast leeren | |
| Zentralstadion und ist pleite. Beim FC Sachsen weiß niemand, wie es nach | |
| der Saison weitergeht. Vielleicht müssen sie auch in die 13. Liga, | |
| vielleicht gehen sie dann mit Chemie Leipzig zusammen. Es wäre eine | |
| Wiedervereinigung im Jammertal des Fußballs. Für den Glatzkopf ist das eine | |
| Horrorvorstellung, denn die Diablos mag er nicht. "Das geht Richtung | |
| Feindschaft", sagt er. Dann kräht er wieder: "Nur ein Leutzscher ist ein | |
| Deutscher." Sein Ruf geht unter im Lärm der Diablos. | |
| Es ist nicht so einfach, den Leipziger Fußball zu verstehen, denn | |
| einerseits sind der Glatzkopf und die Diablos Fans desselben Vereins, | |
| andererseits auch wieder nicht. Das liegt an der verzwickten Vergangenheit | |
| des Fußballs in der Messestadt: Der FC Sachsen hieß in der DDR | |
| "Betriebssportgemeinschaft (BSG) Chemie Leipzig" und wurde "von unten | |
| geliebt, von oben gehasst", wie es noch auf alten Fanschals steht. | |
| "Schämmie" aus Leipzig-Leutzsch, das war der unterprivilegierte Verein. | |
| Nach dem Mauerfall wurde die Geschichte wie ein schmutziges Trikot | |
| abgestreift, Chemie wurde zum FC Sachsen. | |
| 1997 sicherte sich eine kleine Gruppe von sieben Fans die Namensrechte an | |
| der "BSG Chemie". Zuerst war das nur ein Fanklub unter vielen, doch als es | |
| beim FC Sachsen drunter und drüber ging, haben sie sich losgesagt vom FC, | |
| im Frühjahr 2008. Die Ultragruppierungen Diablos und Ultra Youth, links | |
| orientierte Azubis, Studenten, Mittzwanziger, die Spaß am Fußball haben und | |
| die sich nicht gängeln lassen wollen von Vereinstechnokraten. Sie waren die | |
| treibenden Kräfte der Spaltung. Ein paar Alte machten auch mit. Sie alle | |
| mochten das sterile Zentralstadion nicht, in dem der FC Sachsen | |
| Geisterspiele veranstaltet. Sie konnten nicht mit der Vereinsführung, die | |
| sich dem Investor Michael Kölmel bedingungslos ausgeliefert hatte. | |
| Sie verabscheuten Sportmanager, die die Sachsen-Spieler in weinrote Trikots | |
| steckten, die an den Ex-Stasi-Klub BFC Dynamo erinnerten. Sie waren sauer | |
| auf jene, die Red Bull als Großsponsor holen und den FC Sachsen zum | |
| Statisten einer Dokusoap des Deutschen Sportfernsehens machen wollten. Zur | |
| Hassfigur wurde Kölmels Adlatus in der Vereinsführung, Winfried Lonzen, 64, | |
| ein Kölner Immobilienverwalter. "Das mit dem Fußball hat sich immer so | |
| ergeben, irgendwie hieß es immer: Mach mal", sagt er. Lonzen machte. Aber | |
| er machte es nicht gut. Er hat den Verein vorschnell von Leutzsch ins | |
| Zentralstadion verpflanzt. Der BSG Chemie wirft er zudem vor, "die | |
| Tradition abzugreifen" und die Jugend "linksautonom zu indoktrinieren". | |
| Lonzen hat der BSG untersagt, im Alfred-Kunze-Sportpark, der Heimat der | |
| Grün-Weißen, anzutreten. Chemie muss also ausweichen. | |
| Die jungen Fans kämpften für "echten Fußball", gegen Vereinnahmung, | |
| Missmanagement und Selbstbereicherung. Gegen Lonzen. Echter Fußball, das | |
| ging nur ganz unten. Im Juli 2008 machte die BSG Chemie, der | |
| Sezessionsklub, ihr erstes Spiel - und gewann 10:2. Das Fußballprojekt "von | |
| Fans für Fans" lief an. "Wir wollten nicht erst warten, bis Sachsen | |
| abnippelt", sagt Thomas Heier, 42, früher Aufsichtsratsmitglied des FC | |
| Sachsen. | |
| Doch die Politisierung des Leipziger Fußballs hat dazu geführt, dass nun | |
| auch FC-Sachsen-Fans mit den Anhängern des abgespaltenen Klubs Probleme | |
| haben. Das ging so weit, dass man zwei "Parkplatztreffen" vereinbarte. | |
| Abseits des Stadions hätten sich Alt-Hools mit Ultras schlagen sollen. | |
| Angeblich sind die Jungen nicht angetreten zum Schädeleinschlagen. "Wir | |
| stehen nicht so auf Gewalt", sagt Hoffmann. An diesem Sonntag in der 3. | |
| Kreisklasse, Staffel 1 sind sie nur das Objekt skeptischer Beobachtung. Die | |
| Alten des FC Sachsen schielen argwöhnisch herüber zum Block der Diablos, | |
| den jungen Schismatikern von Chemie. Es ist auch ein Konflikt der | |
| Generationen. "Das geht gar nüsch", sagen die Alten. Oder: "Das is hier | |
| kääne BSG Schämmie, also ährlisch." | |
| Es sind etwa 300 junge Fans, die auf dem Willi-Kühn-Sportplatz im Westen | |
| Leipzigs mächtig Lärm schlagen. Sie feiern ihre wöchentliche Fußballparty. | |
| Werfen Konfetti in die Luft. Schwenken riesige Fahnen. Und sie singen, fast | |
| 90 Minuten lang, mit der Ausdauer eines Wagner-Interpreten: "Doch was | |
| bleibt, das sind wir Leutzscher, nicht ganz nüchtern, aber standhaft ziehn | |
| wir in die Welt hinaus", skandieren sie. | |
| Früher ging es gegen Dynamo Dresden oder den 1. FC Magdeburg in der ersten | |
| Klasse, jetzt ist die Fußballwelt sehr klein geworden, wenn Chemie gegen | |
| den SV Lützschena-Stahmeln II oder andere Stolpertruppen antritt. Das ist | |
| dem Sprecher der Diablos, Remo Hoffmann, 22, egal: "Wir wollen den | |
| schwierigen Weg gehen und den Verein langsam wieder hochziehen", sagt er | |
| mit heiserer Stimme nach dem Spiel gegen West 03. Ein paar Unverzagte | |
| singen nach dem 1:0-Sieg der Grün-Weißen weiter: "Hey, BSG, du hast unserem | |
| Leben einen Sinn gegeben, dafür geben wir dir zurück, wenn es sein muss, | |
| auch unser Leben." | |
| "Hier hängt total krasses Herzblut dran", sagt Hoffmann. In der 13. Liga | |
| können sich die Ultras austoben, Choreografien planen und manchmal auch | |
| Rauchbomben zünden, dass "es einfach nur fetzt". Cool wollen sie sein - und | |
| "antirassistisch", anders als die Althooligans des FC Sachsen, mit denen | |
| Hoffmann nichts zu tun haben will. Ein dumpfer Nationalismus hat sich beim | |
| FC breitgemacht. Als sich die Ultra-Fans von Chemie in der vergangenen | |
| Saison über Sachsen-Anhänger in Thor-Steinar-Kluft und deren zweifelhaftes | |
| Liedgut beschwerten, da kam es zu einer Schlägerei auf dem Leipziger | |
| Hauptbahnhof. "15 Alte gegen 60 Jungsche, da haben die richtig auf die | |
| Fresse gekriegt", sagt der Glatzkopf auf dem Hügel voller Genugtuung. | |
| Unpolitisch sei er, versichert der namenlose Fan, aber die "Unterwanderung | |
| durch die linke Szene" könne er nicht dulden. | |
| Peter Schur, 49, Fanbeauftragter vom FC Sachsen Leipzig, hält sich auch für | |
| unpolitisch. "Aber wer nicht bei den Diablos war, der war gleich ein Nazi", | |
| sagt er. Grundsätzlich sei es ihm egal, "ob jemand das ,Kapital' von Marx | |
| oder den Stürmer liest", er, Schur, gehe einfach nur zum Fußball. Das | |
| heißt: Vierte Liga, Zentralstadion, Pleiteklub - und im Falle der | |
| Liquidation bald ganz unten. "Solange der FC Sachsen noch zuckt, gehe ich | |
| zum FC Sachsen", versichert er trotzig. "13. Liga? Näää, niemals", sagt er | |
| dann und schüttelt angewidert den Kopf. Da bleibe er am Wochenende lieber | |
| zu Hause bei der Familie, "verdammte Scheiße". | |
| Doch es gibt auch andere Frontverläufe im Leipziger Fußball, die stets klar | |
| gezeichnet waren. Lokomotive Leipzig war zu DDR-Zeiten immer der gepäppelte | |
| Staatsklub. Damals hieß es: Lok gegen Chemie. Nach der Wende VfB gegen FC | |
| Sachsen, seit 2008 auch gegen die BSG Chemie Leipzig. Die Feindschaft | |
| zwischen den Klubs besteht immer noch. Es geht wirklich Gefahr von der | |
| gewaltbereiten Fanszene von Lokomotive Leipzig aus. Die Polizei sichert das | |
| Spiel in der 13. Liga mit 40 Polizisten. Einsatzleiter Andreas Goecke sagt: | |
| "Wir müssen Präsenz zeigen, sonst kann sich etwas entwickeln." Vor dem | |
| Spiel hieß es, 80 Lok-Fans würden anrücken, um Unfrieden zu stiften. Es | |
| bleibt ruhig, diesmal. Doch Übergriffe gibt es immer wieder. Im Januar, am | |
| Rande des Leipziger Hallenfußballturniers, wurden Diablos von Lok-Fans | |
| attackiert. Ein Chemie-Anhänger musste mit Verdacht auf Schädelbruch ins | |
| Krankenhaus. | |
| Neulich rückten "Lokisten" nachts aus, um den Rasen im Kühn-Stadion | |
| umzugraben und die Tore blau-gelb in den Farben Loks zu streichen. Loks | |
| Anhänger sind berüchtigt. Mitglieder des Fanklubs Blue Caps mischen bei den | |
| neonazistischen Freien Kräften Leipzig mit, sie nehmen an rechten Demos | |
| teil. Lok-Präsident Steffen Kubald, 47, einst bekennender Hooligan, wird | |
| von den Blue Caps wegen seines Deeskalationskurses diffamiert, sie | |
| schmieren Hetzparolen an Wände: "Kubald Verrätersau", "Kubald Rücktritt | |
| jetzt", daneben Davidstern und Hakenkreuz. | |
| "Es gibt immer irgendwelche Ochsen", sagt Kubald, als könnten ihm die | |
| Schmähungen nichts anhaben. Er spricht lieber über die schwächelnde | |
| Konkurrenz: Sachsen Leipzig. Falls der Verein nicht liquidiert wird und | |
| falls Lok nicht aufsteigt, würde es in der kommenden Saison wieder Derbys | |
| in Liga fünf geben. Wenn Sachsen aber abstürzt, "würde uns ein sportliches | |
| Feindbild verloren gehen, ich sage das ohne Häme". Kubald kennt diese | |
| schicksalhaften Insolvenzen. Der VfB (Lok) hat zwei hinter sich, FC Sachsen | |
| Leipzig hat jetzt gleichgezogen. Unter dem neuen, alten Namen Lokomotive | |
| haben Kubald & Co. nach der zweiten Pleite auch ganz unten angefangen, in | |
| Liga zwölf seinerzeit. Heute sieht sich Lok wieder als Leipzigs Nummer | |
| eins. "Wir wollen bald anklopfen an die Tür der Dritten Liga", sagt Steffen | |
| Kubald. | |
| Remo Hoffmann von den Diablos hasst Lok, aber er respektiert den kreativen | |
| Durchmarsch des Konkurrenten durchs Niemandsland des Leipziger Fußballs. | |
| Lässt sich so etwas nicht wiederholen? Hoffmann überlegt nicht lang: "Nein, | |
| so eine Erfolgsgeschichte wie bei Lok wird es nicht mehr geben." Immerhin, | |
| nächste Saison spielt die BSG Chemie wahrscheinlich schon in Liga zwölf. | |
| Sie führen die Tabelle an, vor dem TSV Böhlitz-Ehrenberg II. | |
| 9 Apr 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Völker | |
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