# taz.de -- Kurt Wagner über „Flotus“ und die USA: „Die werden nicht ver… | |
> US-Songwriter Kurt Wagner und seine Band Lambchop machen auf ihrem neuen | |
> Album Elektroexperimente. Wie politisch ist die Platte? | |
Bild: Neuerdings mit Stimmverzerrung: Kurt Wagner, hier 2004 beim Berliner Muse… | |
Auf den Katastrophenfall sind die wenigsten vorbereitet. Kurt Wagner auch | |
nicht. Der Mann mit der sonoren bis brummigen Stimme, Sänger und Kopf der | |
US-Gruppe Lambchop, seufzt einige Male schwer, als ich ihn frage, was es | |
für die Vereinigten Staaten bedeute, wenn Trump gewählt würde. „I can’t | |
even think that Way, Man“, sagt Wagner, dessen Frau Mary Mancini | |
Vorsitzende der Demokraten in Tennessee ist und der mit seiner Band selbst | |
Auftritte für die Demokratische Partei in seiner langjährigen Heimat | |
Nashville gespielt hat. | |
„Die Medien haben zuletzt noch mal eine Offensive gestartet. Jede | |
Kleinigkeit bekommt so extrem viel Gewicht, nicht annähernd der Realität | |
entsprechend“, erklärt der 57-Jährige. „Dieser Wahlkampf war eigentlich | |
eine Realityshow. Nur wissen wir üblicherweise von Realityshows, dass sie | |
Ereignisse fingieren, um sie als Soap zu verkaufen.“ Er lacht; herzhaft, | |
auch ein bisschen morbide klingt das in den Kopfhörern während des | |
Skype-Gesprächs. | |
Für Kurt Wagner, den Musiker, den man in der Regel an einer Baseballcap und | |
einer Hornbrille erkennt und dem man die Americaness fast ansieht, ist | |
Politik im Alltag das Thema Nummer eins – nicht nur zu Zeiten des | |
Wahlkampfs. Seit seine Frau Mancini Ende der 1990er den Plattenladen, den | |
sie in Nashville hatte, dichtmachte und sich politisch engagierte, | |
unterstützt er sie, wo er kann. | |
Das am vergangenen Freitag erschienene, zwölfte Lambchop-Album namens | |
„Flotus“ trägt einen Titel, der auf die lange Partnerschaft mit ihr genauso | |
abzielt wie auf die Wahl. Das Akronym „Flotus“ kennt in den USA jeder, die | |
Buchstaben bezeichnen die „First Lady of the United States“. Derzeit nutzt | |
Michelle Obama ein solches Kürzel ([1][etwa bei Twitter]) – nach der Wahl | |
aber soll es, geht es nach Wagner, für die erste US-Präsidentin überhaupt | |
stehen. Die zweite, die persönliche Bedeutung lautet: „For Love Often Turns | |
Us Still“. | |
## „Der Typ hat ihnen eine Stimme gegeben“ | |
Wagner hofft, dass ein Clinton-Sieg die US-amerikanische Gesellschaft ein | |
wenig befriedet: „Falls Hillary gewinnt, kann sich das Land hoffentlich | |
stabilisieren und wir können die vollends polarisierte Situation, wie wir | |
sie derzeit haben, hinter uns lassen. Ich bin wirklich nicht | |
traumtänzerisch und denke, dass es mit ihr eine Menge Fortschritte geben | |
wird. Das Boot muss erst mal wieder in ruhigerer See fahren.“ Wirklichen | |
Wandel könnten erst die Wahlen danach bewirken, glaubt er, auch die | |
Regionalwahlen. Seine Vorstellung: Trump verliert, die Republikaner | |
zerfallen in alle Einzelteile. | |
Verändert hat der Kandidat das Land aber jetzt schon. „Diese Leute, seine | |
Anhänger sind ans Tageslicht gekommen, und der Typ hat ihnen eine Stimme | |
gegeben. Sie werden nicht einfach so wieder verschwinden“, sagt Wagner. | |
„Nach ihrer Nominierung hat Hillary viele Positionen von Bernie Sanders für | |
ihre Kampagne übernommen und sich so auf die Sanders-Klientel zubewegt.“ | |
Auf andere Art und Weise müsste sie im Falle eines Sieges auch auf die | |
Trump-Anhänger zugehen, denn denen ginge es doch vor allem um eins: | |
überhaupt Gehör zu finden. | |
## Wagner spielt mit einer Bon Iver-esquen Stimmentfremdung | |
Nun könnte man glauben, dass „Flotus“ auch ein dezidiert politisches Album | |
wäre – dem ist aber nicht so. In den elf Songs – herausragend dabei der | |
erste und letzte Song (eine wunderschöne technoide Ballade namens „The | |
Hustle“, die allein einen eigenen Artikel wert wäre), die 30 Minuten | |
einnehmen – erzählt Wagner eher Geschichten einer langjährigen Beziehung. | |
Musikalisch überrascht Lambchop: Auf dem Album sind keine Songwriter-, | |
Country- und Americana-Stücke zu hören wie auf eigentlich allen Alben | |
zuvor. Es ist auch nicht (nur) die unveränderte, warme Baritonstimme zu | |
hören, an die man sich in 30 Jahren Bandgeschichte gewöhnt hatte. | |
Stattdessen: übereinandergeschichtete Samples und Variationen seiner | |
Stimme, elektronische Schnipsel und Beats. Wagner hat das | |
Musikbearbeitungsprogramm Ableton für sich entdeckt, seine Stimme gesampelt | |
und via Vocoder entfremdet. Die Experimentierfreude, die er schon mit | |
seinem Projekt HeCTA zeigte, setzt er fort. Das Gute dabei für alle alten | |
Lambchop-Fans: Die Songwriter-Grundierung bleibt, nur stellenweise erinnern | |
die Stücke zum Beispiel an die jüngsten Stimmexperimente eines Bon Iver. | |
Wie es kam, dass er im zarten Alter von 57 die elektronische und | |
experimentellere Musik entdeckt hat? Nun, das habe mit seiner Frau und | |
seinen Nachbarn zu tun. Den coolen aktuellen HipHop, den er von seinen | |
Nachbarn kannte, fand er inspirierend – und er dachte darüber nach, ein | |
Album zu machen, das sie mögen würden. Er vertiefte sich in die Werke von | |
Kendrick Lamar und Kanye West, war von einem Shabazz-Palaces-Konzert | |
geflasht. Es gab aber noch eine andere Mission, die er verfolgte: Musik zu | |
machen, die seine Frau, ein großer Beyoncé-Fan, lieben würde. Einmal auf | |
ihrer Smartphone-Playlist auftauchen, welche Motivation! | |
## Black Lives Matter | |
Schwarze Musiker sind es, die Wagner, der als Jugendlicher mit seiner | |
Familie eine Weile im britischen Sheffield lebte, zuletzt geprägt haben. | |
Von afroamerikanischer Kultur gingen in den USA starke politische Impulse | |
aus. Was aus Black Lives Matter nach der Wahl werde, frage ich. „Dass Black | |
Lives Matter existiert, ist ein wichtiger Schritt nach vorn. In jedem Fall | |
wird die Bewegung für ihre volle Anerkennung kämpfen. Mit Hillary besteht | |
die Chance auf Akzeptanz. Die andere Möglichkeit will ich nicht in Betracht | |
ziehen, das hieße, das Undenkbare in Betracht zu ziehen.“ Um das Undenkbare | |
zu verhindern, hat Wagners Frau Mancini ein Jahr lang Wahlkampf in | |
Tennessee gemacht. „Flotus“ wirkt wie eine Hommage an sie. | |
Sein Heimatstaat, der bei den Präsidentschaftswahlen viermal hintereinander | |
an die Republikaner ging (letzter Sieger der Demokraten dort: Bill Clinton | |
1996), stehe vor allem für die Spaltung zwischen Metropolregionen und | |
Provinz: „Die Städte in Tennessee sind liberal und fortschrittlich, die | |
ländlichen Gegenden sind konservativ. Auf dem Land haben die Leute aber | |
auch ein Recht auf Gesundheitsversorgung und Beschäftigung. Die gescheiten | |
Leute sollten nicht alle in die Städte ziehen – nur damit sie es dort | |
einfacher haben. Mehr von ihnen sollten dort bleiben und für ihre | |
Interessen vor Ort kämpfen.“ Dies sei eines der wichtigen Themen seiner | |
Frau mit den Demokraten: zu verhindern, dass all der Fortschritt nur in den | |
Städten vor sich gehe und die ländliche Bevölkerung sich vergessen fühlte. | |
Seine Frau findet das Album übrigens nur ganz okay, sie habe beim Hören der | |
Stimmsamples oft gesagt: „Kurt, das bist nicht du.“ In der Wahlnacht wird | |
Wagner, wieder tiefer Seufzer, nicht bei ihr sein können, weil dann ein | |
Konzert in London ansteht. Dennoch ein gutes Omen, wie er meint: „Ich war | |
während der Wahlen 2008 und 2012 in Großbritannien, beide Male hat Obama | |
gewonnen – vielleicht ist das der Ort, wo ich sein muss, um den Erfolg zu | |
sichern?“ Wenn Wagner übermorgen Früh in seinem Hotelzimmer vor dem | |
Fernseher hockt, weiß er es. | |
7 Nov 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/flotus?lang=de | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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