# taz.de -- „Trip“ von US-Band Lambchop: Singen, wenn kein Gras wächst | |
> Die Band Lambchop um Kurt Wagner veröffentlicht mit „Trip“ Coverversionen | |
> im US-amerikanischen Country-Stil – trotz Corona und der US-Wahl. | |
Bild: Sonore Stimme der Vernunft: Kurt Wagner von Lambchop | |
Lambchop und die US-Präsidentschaftswahlen: Ihr vorletztes Album hatte die | |
Band aus Nashville hoffnungsvoll „FLOTUS“ genannt, für „First Lady Of The | |
United States“ – Veröffentlichungsdatum: 4. November 2016. Am Vorabend der | |
Veröffentlichung triumphierte dann Donald Trump über Hillary Clinton, | |
obwohl er deutlich weniger Wählerstimmen bekommen hatte. | |
Dass das neue Lambchop-Album coronabedingt nun wieder kurz nach einer | |
[1][Präsidentschaftswahl] erscheint, stimmt Sänger Kurt Wagner dennoch | |
freudig. „Man darf nicht aufhören zu lachen, wissen Sie, das ist wirklich | |
wichtig. Vielleicht haben wir ja dieses Mal mehr Glück.“ | |
Das erste taz-Interview mit Wagner findet eine Woche vor dem Wahltag statt. | |
Kurt Wagner sagt da, er sei erschöpft: „Ich glaube, vielen meiner | |
Landsleute geht es ähnlich. Es war eine heftige Zeit. Was seit 2016 | |
passiert ist, gibt wenig Anlass zu Optimismus. Und dann begann im März noch | |
die Coronapandemie. Wir hoffen alle auf eine Atempause, dass wir uns | |
wenigstens nicht mehr ganz so große Sorgen darum machen müssen, was im | |
Weißen Haus passiert.“ | |
## Es ist ein Schock | |
Ein Anruf in Nashville, zwei Wochen später, Biden ist designierter | |
US-Präsident. Hat Wagner das Wahlergebnis gefeiert? „Mein Vater hatte, | |
wenige Stunden bevor Bidens Vorsprung verkündet wurde, einen Schlaganfall.“ | |
Dieses Mal klingt Wagner wirklich erschöpft. Grund zum Feiern sieht er | |
ohnehin keinen: „Die Entscheidung hat gezeigt, dass die Hälfte der | |
US-Bürger rassistisch wählt. Punkt. Schockierend.“ Leider werde das kaum in | |
den Medien thematisiert: „Mich frustriert, dass nur die Absetzung des | |
Diktators gefeiert wird. Diese Wahl ist eine fürchterliche Offenbarung, das | |
haben nur wenige afroamerikanische Journalisten so ausgesprochen.“ | |
Kurt Wagner ist ein politischer Mensch. Sich in seinen Songs explizit | |
politisch zu äußern ist seine Sache aber nicht so sehr: „Dass dies zur | |
Masche wird, um mehr Alben zu verkaufen, will ich vermeiden. Politisch | |
möchte ich mich verhalten wie jeder gewöhnliche Bürger.“ Seine Frau Mary | |
Mancini hat sich ganz der Politik verschrieben: In den 1990ern war sie | |
Betreiberin von „Nancy’s Record Shop“, dem Epizentrum der Punk- und | |
Indieszene in [2][Nashville]. | |
Heute ist sie Vorsitzende der Demokraten in [3][Tennessee] – ein | |
aufreibender Job, für den Wagner als Hausmann Druck von ihr nimmt. Wagners | |
häusliche Seite hat wohl auch zur Entstehung des neuen Lambchop-Albums | |
„Trip“ beigetragen: Die veranschlagten Kosten für die Tour zum letzten Werk | |
waren so hoch, dass Wagner kurzerhand vorschlug, lieber zu Hause zu bleiben | |
und das Geld in ein neues Album zu stecken. | |
## Wie eine schlaflose Nacht | |
„Trip“ ist nun das Album mit einem extrem entspannten Ansatz: Jedes | |
Lambchop-Mitglied durfte sich einen Song aussuchen, den die Band covert. | |
„Trip“ ist aber kein Corona-Album, auch wenn es so beginnt: Die 13-minütige | |
Version von Jeff Tweedys „Reservations“ dehnt sich zum Schluss wie eine | |
schlaflose Nacht: zerstreute Klaviertöne, ein bisschen Schlagzeug, ein paar | |
elektronische Störgeräusche. Klingt schwer nach Lockdown: Zu viel Zeit und | |
kein Ziel. | |
Was die Band danach aus George Jones’ Country-Klassiker „Where Grass Won't | |
Grow“ macht, ist allerdings Lambchop in Bestform: der verlangsamte Beat, | |
das sparsame Klavier, eine distanziert klingende Pedal-Steel-Gitarre, dazu | |
Wagners Gesang, der wirkt, als ob er leise weint – sie nennen sich selbst | |
„the most fucked-up Country band in Nashville“. In Wirklichkeit gehören | |
Lambchop zu den größten Country-Interpreten der Gegenwart. | |
Sehr nah am Original dann „Shirley“ von den 70er-Proto-Punks the Mirrors | |
aus Ohio. Kurt Wagner: „Die Lieder, die wir ausgesucht haben, sind | |
Popsongs, oder sagen wir mal, „richtige“ Songs. Das ist etwas, was ich | |
selbst immer versucht habe, aber ich habe es nie geschafft. Es hat auch | |
meiner Band Spaß gemacht, endlich mal richtige Popmusik zu spielen.“ | |
Das heißt nicht unbedingt, dass der Spaß auf Hörer:Innenseite genauso groß | |
ist, wenn diese Band sich an Stevie Wonders „Golden Lady“ versucht. | |
Umwerfend ist dann aber wieder die gebrochene Fröhlichkeit des | |
Supremes-Hits „Love Is Here and Now You’re Gone“, und am Schluss kein | |
echtes Cover, denn der „Weather Blues“ von Yo-La-Tengo-Bassist James McNew | |
ist bislang unveröffentlicht. | |
„Trip“ ist nicht das Meisterwerk von Lambchop, aber ein weiteres Zeugnis | |
für Wagners musikalische Neugier. Nach Ausflügen in Elektronik, Flirts mit | |
R&B und Autotune-Experimenten wollte er nun einfach mal wissen, wie seine | |
Band funktioniert, wenn sie nicht seine Kompositionen spielt. Die sechs | |
Musiker legen dabei viel Leichtigkeit und Verspieltheit an den Tag, trotz | |
schwerer Zeiten. Und es macht Spaß, Lambchop über die Jahre zu verfolgen. | |
Durch ihre musikalischen Selbsterkundungen lernt man sie immer besser | |
kennen, bis sie einem zu Vertrauten, fast zu Familienmitgliedern werden. | |
Und ein bisschen kann man sich jetzt auch für sie freuen, immerhin haben | |
sie nun ihre FSLOTUS bekommen: die First Second Lady Of The United States | |
18 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Schneider | |
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