Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gespräch über NSU-Morde: „Es wird vertuscht und gelogen“
> Seit fünf Jahren ist der NSU-Terror bekannt. Petra Pau (Die Linke),
> Verfassungsschützer Stephan Kramer und Anwalt Sebastian Scharmer über
> geringe Aufklärung.
Bild: Die Witwe Elif Kubaşık und weitere Menschen gedenken am 4. April 2016 i…
taz.am wochenende: Herr Kramer, als vor fünf Jahren der NSU aufflog, warfen
Sie als Generalsekretär des Zentralrats der Juden den Sicherheitsbehörden
vor, bei der Aufklärung zu versagen: Es werde „vertuscht, beschönigt und
geschreddert“. Heute sind Sie selbst Verfassungsschutzchef in Thüringen.
Gilt Ihr Urteil von damals noch?
Stephan Kramer: Meine Bewertung gilt nach wie vor, und zwar nicht nur für
die damalige Zeit. Leider entsteht auch jetzt noch der Eindruck, dass die
Aufklärung, um es höflich zu formulieren, grenzwertig verläuft. Selbst ich
als Behördenchef kann nicht sicher sagen, ob morgen nicht wieder was Neues
aus diesem Komplex kommt.
Weil sich Ihr Verfassungsschutz nicht genug an der Aufklärung beteiligt?
Kramer: Ich kann nur für Thüringen sprechen. Und hier hat der
Verfassungsschutz den Untersuchungsausschüssen seinerzeit alle Unterlagen
zur Verfügung gestellt, teils unter heftigem Protest aus dem Bund und
anderen Ländern. Das war im Sinne der Aufklärung, und auch des Verschuldens
des Amtes, richtig und probat. Für mich ist klar: Wir werden alles
gesetzlich Mögliche tun, um diese Aufklärung weiter zu unterstützen.
Petra Pau: Dann würde ich Sie gerne beim Wort nehmen und bitten, die bis
heute verschwundenen Akten des langjährigen Thüringer V-Mannes Marcel
Degner, einem Freund des NSU-Terroristen Uwe Mundlos, den
Untersuchungsausschüssen zur Verfügung zu stellen.
Frau Pau, Sie sitzen seit 2012 in den NSU-Untersuchungsausschüssen im
Bundestag. Wie erleben Sie die Aufklärung?
Pau: Um es klar zu sagen: Ich erlebe Blockade, teilweise auch Sabotage. Da
werden Akten erst spät oder nur lückenhaft geliefert. Da sind wichtige
Verfassungsschutzzeugen nicht auffindbar oder plötzlich krank. Und da wurde
erst jüngst in unserem Ausschuss bekannt, dass jener Verfassungsschützer,
der am Tag des NSU-Bekanntwerdens die Akten von sieben Thüringer V-Männern
schreddern ließ, dies vorsätzlich tat – um, wie er sagte, keine falschen
Fragen aufkommen zu lassen. Das sind ungeheuerliche Vorgänge.
Herr Scharmer, als Anwalt für Gamze Kubaşı k, deren Vater 2006 vom NSU in
Dortmund erschossen wurde, nehmen Sie seit dreieinhalb Jahren am
NSU-Prozess in München teil. Dort sitzen Sie den obersten NSU-Aufklärern,
der Bundesanwaltschaft, gegenüber. Ist der Stand der Dinge wirklich so
verheerend?
Sebastian Scharmer: Leider ja. Es wird nach wie vor vertuscht und gelogen,
bei allen Sicherheitsbehörden; bestimmte Dinge werden bis heute
ausgeklammert. Das ist ein Riesenproblem. Der Prozess in München muss sich
auf die Angeklagten konzentrieren, das ist klar. Dennoch muss doch auch
dort ausgeleuchtet werden, mit wem das Kerntrio Kontakt hatte und wer noch
an den Taten beteiligt war. Das wären doch wichtige Zeugen! Das aber wird
von der Bundesanwaltschaft absolut blockiert. Bis heute haben wir
Nebenklageanwälte nicht mal alle Akten bekommen. Das ist gerade für meine
Mandantin, die über so lange Zeit selbst im Fokus der Ermittlungen stand
und schon damals immer außen vor gelassen wurde, eine Katastrophe.
Der NSU-Prozess beschäftigte sich zuletzt mit einer neuen möglichen Wende:
dem Mord an Peggy K. Bei ihrer Leiche wurde – möglicherweise durch eine
Verunreinigung – DNA von Uwe Böhnhardt gefunden.
Scharmer: Erst mal müssen die Ermittler ihre Arbeit machen und die Umstände
genau klären. Was man aber sagen kann, ist: Offensichtlich ist das, was wir
vom NSU, seinen Taten und Unterstützern wissen, nur die Spitze des
Eisbergs.
Pau: Dass Kontaktleute des NSU-Kerntrios mit Zwangsprostitution oder
Pädophilie zu tun hatten, ist ja unabhängig vom Fall Peggy K. nachgewiesen.
Wenn wir das Netzwerk des NSU aufklären wollen, und auch die Finanzierung
des Lebens im Untergrund, dann müssen wir diesen Spuren nachgehen.
Scharmer: Das Erschreckende ist doch, dass seit fünf Jahren zum NSU
ermittelt wird und solche Fragen die Sicherheitsbehörden längst hätten
klären müssen. Das wurde aber nicht getan. Stattdessen wird verdeckt und
geschreddert. Und ich befürchte, auch mit einem dritten oder vierten
Untersuchungsausschuss würde sich diese Mentalität nicht ändern. Genau das
ist doch die fatale Erkenntnis aus dem NSU-Komplex: dass die
Sicherheitsbehörden ein Eigenleben führen. Und niemand zieht daraus
Konsequenzen.
Welche würden Sie ziehen?
Scharmer: Die erste wäre, alle Sicherheitsbehörden komplett umzudenken.
Wenn man schon meint, man braucht einen Verfassungsschutz, dann muss er weg
von einem unkontrollierbaren Geheimdienst, hin zu einer transparenten
Arbeit, welche die Parlamente über generelle Bedrohungen informiert. Die
zweite Konsequenz wäre, ganz banal, personell. Es kann doch nicht sein,
dass die gleichen Leute, die damals die Ermittlungen geleitet haben, die
das rassistische Tatmotiv ausgeblendet haben, heute noch weiter zuständig
sind, einige sogar befördert wurden. Das ist etwas, was Gamze Kubaşık nicht
ansatzweise verstehen kann.
Herr Kramer, Sie sind seit einem Jahr im Amt, Sie stehen für einen
personellen Neuanfang. Muss Ihr Dienst auch komplett umgedacht werden?
Kramer: Meine Personalie ist sicherlich schon mal ein Schritt. Aber ich
gebe zu: Es hilft nicht, nur die Spitze auszuwechseln wie in meinem Fall.
Es hilft auch nicht, alleine neue Gesetze zu machen, mit mehr Vorschriften
und mehr Kontrolle. Das Problem beim NSU war leider auch das Personal und
dessen Einstellung. Und das, wohlgemerkt, nicht nur beim Verfassungsschutz.
Auch ich fasse mir an den Kopf, wie Behörden nur so ermitteln konnten. Oder
die Debatte um Quellenschutz und Trennungsgebot …
… Sie meinen die wiederholte Weigerung der Verfassungsschutzämter,
Informationen ihrer V-Leute weiterzugeben, um diese nicht zu gefährden.
Kramer: Richtig. Ich erinnere: Hier ging es um schwerste Straftaten!
Natürlich müssen da Informationen an die Polizei übergeben werden. Da sind
wir leider bis heute noch nicht so weit, dass ein Umdenken stattfindet.
Pau: Ich nenne das strukturellen Rassismus. Nicht jeder Mitarbeiter ist ein
Rassist. Aber es ist das Denken und die Struktur, durch die Dinge nur in
eine bestimmte Richtung laufen. Ich sehe nicht, dass sich das grundlegend
geändert hat.
Herr Kramer, wie wollen Sie die Einstellungen Ihrer Mitarbeiter ändern?
Kramer: Wir brauchen eine andere Unternehmens- und Fehlerkultur in den
Ämtern. Wir brauchen mehr Weiterbildungen, etwa im Bereich multikulturelle
Kompetenzen. Wir brauchen mehr Quereinsteiger. All das passiert, aber es
dauert. Wir sind eben doch eine Behörde und auch nur ein Querschnitt der
Gesellschaft.
Sie selbst haben früher V-Leute scharf kritisiert, die sich zuhauf im
Umfeld des Trios tummelten und doch nichts gewusst haben wollen. Nach Ihrem
Dienstantritt sagten Sie: Wir brauchen die Spitzel doch. Was bleibt
überhaupt noch als echte Konsequenz aus dem NSU-Versagen?
Kramer: Ich weiß, dass mit den V-Leuten fast alles schief gelaufen ist. Wir
müssen aber auch sehen, in welcher Sicherheitslage wir uns gerade befinden:
rechtsextreme Gewalt steigt, Flüchtlingsheime werden angezündet. Da müssen
wir ganz nüchtern überlegen: Was kann ich dagegen tun? Und wie komme ich an
Informationen aus völlig konspirativ und subversiv arbeitenden Gruppen, die
so etwas planen? Da ist der Werkzeugkasten relativ überschaubar.
Frau Pau, Sie fordern die Abschaffung der V-Leute. Wie würden Sie die
konspirativen Gruppen überwachen?
Pau: Es ist Aufgabe von Polizei und Staatsanwaltschaften, gegen Straftaten
von Neonazis und Rassisten zu ermitteln. Da bietet die Strafprozessordnung
ausreichende Möglichkeiten, bis hin zur Telekommunikationsüberwachung.
V-Leute sind Teil des Problems und nicht der Lösung. Jeder Spitzel, den wir
uns in den Untersuchungsausschüssen angesehen haben, hat die rechte Szene
finanziert oder organisiert. Und das mit Staatsgeldern. Nehmen wir das
Beispiel Ralf Marschner …
… ein V-Mann des Bundesverfassungsschutzes und einstige Neonazi-Größe in
Zwickau, der Stadt, in der sich das NSU-Trio jahrelang versteckte.
Pau: Laut sehr glaubhaften Zeugen waren sowohl Mundlos als auch Beate
Zschäpe in Marschners Betrieben unterwegs, als Kunden, Mundlos
wahrscheinlich sogar als Mitarbeiter. Da fragt man sich doch: Hat Marschner
das seinem V-Mann-Führer nicht berichtet? Das wäre ein Problem. Oder hat er
es berichtet, und der V-Mann-Führer hat es nicht an seine Vorgesetzten und
vor allem an die Polizei weitergeben? Das wäre ein noch viel größeres
Problem.
Kramer: Ich sehe die Probleme, darüber brauchen wir nicht diskutieren.
V-Leute sind immer nur die Ultima Ratio. Wir hatten in Thüringen ja auch
als Konsequenz aus dem NSU alle alten V-Leute abgeschaltet, wir waren blank
in dem Bereich. Das allerdings in einer Situation, als der
Rechtsextremismus in Thüringen wieder fröhliche Renaissance feierte. Soll
ich da einfach die Hände in den Schoß legen?
Es gibt also wieder rechte V-Leute in Thüringen?
Kramer: Das habe ich nicht gesagt. Aber die Gesetzeslage in Thüringen ist
eindeutig: Wir dürfen, mit klaren Verfahrensvorschriften, V-Leute führen.
Und zwar, wenn es um terroristische Bezüge geht und wenn die Genehmigung
des Ministerpräsidenten und Innenministers vorliegt.
Scharmer: Nein, so einfach ist es nicht. V-Leute sind ein völlig
ungeeignetes Instrument. Sie sind nicht kontrollierbar, weder von den
Parlamenten noch von der Justiz. Und sie sind Verräter, gegenüber der
eigenen Sache und gegenüber dem Staat. Das verpflichtet sie geradezu zu
Unwahrheiten. Und zu Zeiten des NSU ging es dem Verfassungsschutz nicht mal
mehr ums Beobachten, sondern darum, die V-Leute bewusst zu steuern.
Pau: Eine Allmachtsfantasie.
Scharmer: Ja, Größenwahnsinn. Der Verfassungsschutz wollte die Szene
mitkontrollieren und ihre Chefebenen besetzen. Daher bin ich auch
überzeugt: Die wussten, wo das untergetauchte Trio war. Es wäre ein Anruf
gewesen, dann hatte ein SEK die festgenommen. Dann hätten zehn Morde und
zwei Anschläge verhindert werden können.
Herr Kramer, glauben Sie, dass Ihre Amtsvorgänger beim Verfassungsschutz
den Aufenthaltsort des Trios kannten?
Kramer: Es gibt eine Menge offener Fragen, das ist sicher. Aber ich sage
auch: Solange wir keine Beweise dafür finden, können wir nicht davon
ausgehen, dass der Verfassungsschutz wusste, wo das Trio war. Es gab
Zielfahnder, die hätten alles dafür gegeben, die drei aufzuspüren. Aber sie
haben es nicht geschafft. Deswegen gehe ich im Moment davon aus, dass die
Behörden wirklich nicht wussten, wo sie waren.
Pau: Nein, das Trio wäre im Sommer 1998 noch zu stoppen gewesen. Damals
hatte ein anderer V-Mann, Piatto aus Brandenburg, dem Verfassungsschutz
erzählt, dass eine Chemnitzer Rechtsextremistin drei untergetauchten
Skinheads ihren Pass gegeben habe. Und dass die drei auf der Suche nach
Waffen für weitere Überfälle waren. Hätte der Verfassungsschutz das direkt
weitergegeben, hätte man das Trio fassen können.
Kramer: Ich will das nicht schönreden. Aber: All das wissen wir heute und
können wir heute zusammenschieben. Ich tue mich schwer, daraus Schlüsse für
damals zu ziehen.
Scharmer: Das kann ich nicht mehr hören, und meine Mandantin auch nicht.
Dass die drei in Chemnitz waren, dafür gab es konkrete Hinweise. Der
Verfassungsschutz wusste von dortigen Kontaktleuten. Die rechte Szene in
Chemnitz ist sehr überschaubar. Und dennoch wurde das Trio nicht
festgenommen. Das ist es genau, was meine Mandantin wissen will: Warum ist
der Mord an ihrem Vater nicht verhindert worden?
Frau Pau, Sie glauben zudem, dass der NSU ein viel größeres Netzwerk war
als das Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Wie groß?
Pau: Ich bin davon überzeugt, dass es mindestens bei allen zehn NSU-Morden
und den beiden Bombenanschlägen Unterstützer gegeben hat, vielleicht auch
Mittäter. Ich würde nicht mal meine Hand dafür ins Feuer legen, dass nicht
auch heute noch Zellen wie der NSU in der Bundesrepublik unterwegs sind.
Sie haben mehrere tausend Akten zum NSU-Komplex gesichtet. Wenn es diese
Helfer und Mittäter gab, hätte man ihre Namen oder konkretere Hinweise auf
sie nicht längst finden müssen?
Pau: Wir haben doch etliche Hinweise zusammengetragen. Am Ende können wir
aber nicht die besseren Ermittler sein, die am besten noch Spuren sichern.
Das hätten längst BKA und Bundesanwaltschaft tun müssen. Die aber haben
sich ja bereits früh, und falsch, festgelegt: Es war ein Trio, und etwas
anderes ermitteln wir nicht.
Scharmer: Gerade zu Dortmund, wo am 4. April 2006 Mehmet Kubaşık erschossen
wurde, haben wir viele konkrete Anhaltspunkte. Sein Kiosk ist nicht leicht
zu finden für Nicht-Ortsansässige. Drinnen war sichtbar eine
Überwachungskamera, die aber nicht funktioniert hat. Das musste man vorher
auskundschaften. Die Tat ist am helllichten Tag passiert. Da stellt sich
schon die Frage: Stand jemand Schmiere? Wir haben hochrangige, aggressivste
Nazi-Kader in Dortmund, die in der Nähe dieses Tatorts gewohnt haben. Und
wir haben Belege, dass das NSU-Kerntrio Kontakte in die Dortmunder
Nazi-Szene hatte, Zschäpe hat dort bis heute einen Brieffreund. All das
sind Ansatzpunkte, wo man als Ermittler sagen müsste: Da gehe ich ran. Das
ist aber nicht passiert.
Was sagt Ihre Mandantin dazu?
Scharmer: Für sie ist das fatal. Sie hatte ja darauf vertraut, dass alles
für die Aufklärung getan wird, so wie es ihr die Bundeskanzlerin
versprochen hatte. Was sich aber herausgestellt hat, ist das komplette
Gegenteil.
Pau: So ist es. Die Sicherheitsbehörden treiben die Kanzlerin in den
Meineid.
Scharmer: Das Problem ist doch: Frau Kubaşık geht jeden Tag in Dortmund auf
die Straße und hat das Gefühl, sie könnte auf die Leute treffen, die den
Mord an ihrem Vater vorbereitet, unterstützt, vielleicht sogar
mitausgeführt haben.
Herr Kramer, haben Sie Erkenntnisse, dass solche Mittäter noch frei
unterwegs sind?
Kramer: Nein, sonst hätte ich es längst mitgeteilt. Aber man muss kein
Verschwörungstheoretiker sein, um zu vermuten, dass können nicht nur die
drei gewesen sein. Und es ist auch nicht verwegen zu behaupten, dass in
diesem Punkt der Ermittlungswille zu wünschen übrig lässt. Ich glaube, die
Arbeitshypothese müsste eine andere sein. Nicht: Das waren nur drei und
darauf beschränken wir uns. Sondern: Wir sagen, es sind mehr gewesen und
beweisen im Zweifel das Gegenteil.
Scharmer: Aber die erste Variante ist halt bequem.
Kramer: Klar ist sie bequem. Aber so geht es nicht. Es gibt noch zu viele
Leute, die offenbar nicht kapiert haben, worum es hier geht. Es macht
niemanden Spaß zuzugeben, dass er Fehler gemacht hat. Aber wann, wenn nicht
jetzt, ist der Zeitpunkt, an dem alles auf den Tisch gehört?
Es gibt eine Person, die sagen könnte, wie alles war: Beate Zschäpe. Herr
Scharmer, glaubt Ihre Mandantin, dass Zschäpe noch auspackt?
Scharmer: Nein. Wir haben es auch nie geglaubt.
Immerhin haben Sie ihr im Prozess Fragen gestellt.
Scharmer: Weil diese Fragen meiner Mandantin unter den Nägel brannten. Und
weil wir die Chance nicht ungenutzt lassen wollten.
Zschäpe lehnte eine Beantwortung Ihrer Fragen ab.
Scharmer: Es war zu erwarten. Warum sollte bei Frau Zschäpe auch ein
Aufklärungswille da sein? Vorwerfen kann man ihr vieles. Aber dass sie im
Prozess taktische Aussagen macht, ist ihr Recht. Nur darf sie nicht
erwarten, dass wir das goutieren.
Wenn Beate Zschäpe ausfällt, wo liegt dann noch der Schlüssel zur
Aufklärung?
Pau: Für mich wäre es allerhöchste Zeit, dass aus dem Schweigekartell der
Verfassungsschutzmitarbeiter endlich einer ausschert, seine
staatsbürgerliche Pflicht erkennt und wirklich sein Wissen über das
NSU-Netzwerk offenlegt. Das wäre ein Dominostein, der die Aufklärung
voranbringen würde. Solange das aber nicht passiert, werden wir weiter
unsere Arbeit leisten.
Herr Kramer, glauben Sie denn, dass in Ihren Behörden noch so ein Wissen
schlummert und ein Mitarbeiter dieses öffentlich preisgeben würden?
Kramer: Ich hoffe natürlich nicht, dass da noch was schlummert und schon
gar nicht in Thüringen. Aber sollte es wirklich so sein – und nachdem, was
wir in den letzten Jahren erlebt haben, scheint alles möglich – würde ich
auch sagen: Jetzt ist allerspätestens der Moment, alles auf den Tisch zu
packen. Hier geht es wirklich um Fundamente unserer Demokratie, um die
Integrität unserer Sicherheitsbehörden, und nicht nur um Kosmetik.
Scharmer: Es freut mich, dass ein Verfassungsschutzchef zu einem neuen
Snowden im NSU-Komplex aufruft.
Kramer: Nun ja, Snowden. Er muss ja nicht gleich zur Bild-Zeitung laufen …
Nein, zur taz.
Kramer: Auch nicht zur taz. Er kann auch erst mal den Behördenleiter
informieren oder sich an das Parlamentarische Kontrollgremium wenden, wie
es in Thüringen ausdrücklich gesetzlich ermöglicht wurde.
Scharmer: Ich hoffe ja wirklich, dass Verfassungsschützer diesem Aufruf
folgen. Meine Hoffnung ist nach den letzten fünf Jahren allerdings
begrenzt.
Kramer: Wissen Sie, auch beim Verfassungsschutz sitzen eine Menge Leute,
die haben nicht nur kapiert, was los ist – die leiden auch unter dieser
Debatte. Sie haben mit dem NSU selber nichts zu tun gehabt und wollen
wirklich ihre Arbeit tun: diese Verfassung schützen. Ich glaube, diese
Menschen sollten wir mitnehmen und überzeugen, dass sie eine wichtige Rolle
in der Aufklärung spielen. Ich glaube, damit könnte man mehr erreichen, als
wenn man nur die Keule schwingt und sie als die Bösen hinstellt.
Pau: Also ich habe in all den Ausschusssitzungen noch keinen leidenden
Verfassungsschützer vor mir gehabt. Aber die Hoffnung, dass sich einer
dieser Leute doch noch offenbart, die erhalte ich mir gerne.
4 Nov 2016
## AUTOREN
Andreas Speit
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Mordfall Peggy K.
Rechte Gewalt
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Dokumentartheater
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tatverdächtiger Uwe Böhnhardt: Sie weiß von nichts
Im NSU-Prozess erklärt Beate Zschäpe, sie wisse nichts zum Verdacht gegen
Uwe Böhnhardt im Fall der getöteten Peggy K. Unter Druck gerät sie dennoch.
Prozess gegen Braunschweiger Rechten: Gegen Linke schlägt er zu
Der Rechte Pierre B. hat Schüler verprügelt und wollte Polizisten mit
Kopfnüssen verletzen. In Braunschweig begann nun der Prozess gegen ihn.
Brandenburger NSU-Ausschuss: Mauern, vernebeln, wegducken
Für Aufregung sorgt der Auftritt von Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg.
Hatte der Verfassungsschutz etwas mit dem Brandanschlag auf den jüdischen
Friedhof zu tun?
Zerstörte Beweismittel zum NSU-Umfeld: Ungestraftes Aktenschreddern
Das Schreddern des Verfassungsschutzes bleibt folgenlos: Die
Staatsanwaltschaft lehnt Ermittlungen ab, die Vernichtung ist nun verjährt.
Dokumentartheater zu den NSU-Morden: Das Vertrauen bleibt erschüttert
Den Angehörigen der Ermordeten zuhören: „Die NSU-Monologe“ im Heimathafen
Neukölln beruhen auf Gesprächen mit den Familien.
NSU-Serie Teil 5: Die Rolle der Bundesanwaltschaft
War der NSU ein größeres Netzwerk? Weiterhin sieht die Bundesanwaltschaft
dafür keine Belege. Dabei gibt es eine Vielzahl an Hinweisen.
Aufarbeitung der NSU-Morde: Maas sieht „großes Staatsversagen“
Justizminister Heiko Maas entschuldigt sich bei Opfern und Hinterbliebenen
für Fehler. So etwas dürfe nie wieder passieren.
NSU-Serie Teil 4: Der Mord in Heilbronn
2007 wird in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen und
ihr Kollege schwer verletzt. Bis heute sind die Umstände unklar.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.