# taz.de -- Brandenburger NSU-Ausschuss: Mauern, vernebeln, wegducken | |
> Für Aufregung sorgt der Auftritt von Generalstaatsanwalt Erardo | |
> Rautenberg. Hatte der Verfassungsschutz etwas mit dem Brandanschlag auf | |
> den jüdischen Friedhof zu tun? | |
Bild: Der Ausschuss befasst sich mit der Frage, ob es bei märkischen Sicherhei… | |
Potsdam dpa | Der Berliner Politikwissenschaftler Hans-Joachim Funke hat | |
eine schonungslose und umfassende Aufklärung der Vorgänge um den V-Mann | |
„Piatto“ und seine Verbindungen zu den Mordtaten des | |
„Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) gefordert. „Dass der | |
Brandenburger Verfassungsschutz ihn akzeptiert hat, ist ein Skandal“, | |
erklärte der 72-Jährige am Freitag im NSU-Untersuchungsausschuss in | |
Potsdam. „Piatto“ galt lange Zeit als wichtigster Informant des | |
Brandenburger Verfassungsschutzes in der rechtsextremen Szene. | |
„Piatto“ gilt als rechter Schwerverbrecher. „Er hat bis kurz vor seiner | |
Enttarnung als V-Mann im Jahr 2000 Leute angestachelt, | |
Sprengstoff-Attentate zu begehen“, hob Funke hervor. „Da ist der | |
Verfassungsschutz selber ein Teil des Problems und ist mitverantwortlich | |
für eine Radikalisierung von Gewaltverbrechern“, so der Wissenschaftler | |
weiter. Es gebe generell seit den 1990er Jahren das Problem, dass die | |
unterschiedlichen Verfassungsschutzämter rechtsextreme V-Leute an die | |
Spitze radikaler, neonazistischer und gewaltbereiter Organisationen | |
geschleust hätten. | |
„Das schlimmste Beispiel hier ist Tino Brand, der mit absolutem | |
Quellenschutz ausgestattet wurde“, führte Funke an. Er habe nahezu | |
Narrenfreiheit besessen. „Das hat beim NSU-Trio, dass sich aus dem | |
Thüringer Heimatschutz gebildet hat, dazu geführt, dass sie mit Brands | |
Unterstützung immer radikaler wurden“, erklärte der 72-Jährige. Letztlich | |
sei dieser Heimatschutz zur gewaltbereitesten Neonazi-Organisation in ganz | |
Deutschland aufgestiegen. | |
„Analoges ist bei Piatto in Brandenburg durch den systematischen Kontakt zu | |
Terrorgruppen wie „Blood&Honour“, „Hammerskins“ oder „Ku Klux Klan“… | |
verzeichnen“, sagte Funke. In Thüringen sei der Fall Brand konsequent | |
aufgeklärt worden. Der Ex-V-Mann habe die rechte Szene aktiv unterstützt | |
und sei daran nicht gehindert worden. So eine Aufklärung müsse es in | |
Brandenburg auch geben. „Ich weiß aber, dass der Verfassungsschutz, die | |
Sicherheitsbehörden und das Innenministerium Angst vor so etwas haben“, | |
betonte er. | |
## Die Täter wurden nie gefasst | |
Für Aufregung sorgte im Ausschuss der Auftritt von Brandenburgs | |
Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg. In seiner Stellungnahme zu rechter | |
Gewalt im Land machte er die aktuelle Flüchtlingspolitik für die Zunahme | |
ausländerfeindlicher Straftaten mitverantwortlich. Es sollte „Klarheit | |
darüber bestehen, dass kein Staat eine unbegrenzte Zahl an Flüchtlingen | |
aufzunehmen vermag“, sagte er. „Wird die Migrationskrise nicht gelöst, | |
bedeutet dies faktisch die Förderung von Rechtspopulisten, | |
Rechtsextremisten und vielleicht von Rechtsterroristen.“ | |
Die SPD-Abgeordnete Inka Grossmann-Reetz echauffierte sich, verlangte, dass | |
ihm das Wort entzogen werde, scheiterte damit aber. Der SPD-Obmann im | |
NSU-Ausschuss Björn Lüttmann erklärte hierzu, dass es so einen Antrag nicht | |
gegeben habe. Es handelte sich lediglich um eine Unmutsäußerung, sagte er. | |
Zudem äußerte sich der 63-Jährige Rautenberg am Rande des Ausschusses über | |
den Verdacht, dass der märkische Verfassungsschutz 2001 etwas mit dem | |
Brandanschlag auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam zu tun | |
habe. „Ich schließe das nicht aus“, betonte er. In einem Bekennerschreiben | |
hatte sich eine „Nationale Bewegung“, die bis dato völlig unbekannt war, zu | |
der Tat bekannt. Die Täter wurden nie gefasst. | |
Die Jahre von 2000 bis 2004 umriss Rautenberg generell mit einer „finsteren | |
Zeit der Behörde“. Es habe hier kein Gespür gegeben, was man machen könne | |
und was nicht. Als Beispiel führte er den Fall Toni S. an. Der V-Mann habe | |
CDs mit volksverhetzenden Inhalten unter dem Namen „Noten des Hasses“ der | |
rechtsextremistischen Band „White Arian Rebels“ produziert. Darin fanden | |
sich nach Rautenbergs Angaben Mordaufrufe auch gegen ihn selbst. „Angeblich | |
um die Produktionswege des Tonträgers zu ermitteln, genehmigte und | |
unterstützte der Verfassungsschutz Toni S.“. | |
## Wollte der VS seine Quelle schützen? | |
Der V-Mann wurde wegen des Vertriebs dieser CD vom Landgericht Berlin zu | |
zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Das Verfahren gegen seinen | |
V-Mann-Führer wurden vom Landgericht Cottbus wegen „geringer Schuld“ | |
eingestellt. | |
Der NSU-Ausschuss befasst sich mit der Frage, ob es bei märkischen | |
Sicherheitsbehörden Versäumnisse bei der Aufklärung des | |
„Nationalsozialistischen Untergrunds“ gab. Der Ausschuss soll der Frage | |
nachgehen, ob die Behörde 1998 Hinweise „Piattos“ auf drei Skinheads, die | |
sich bewaffnen und abtauchen wollten, nicht ausreichend an die Kollegen in | |
anderen Bundesländern und beim Bund weitergegeben hat. Der Verdacht ist, | |
dass die Behörden die Terrorgruppe dadurch begünstigte. Motiv könnte | |
gewesen sein, dass der Verfassungsschutz seine Quelle schützen wollte. | |
19 Nov 2016 | |
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