# taz.de -- Neues Album „Joanne“ von Lady Gaga: Die Fingerkuppen der Stefan… | |
> Der Superstar zeigt sich jetzt nahbar, normal, fast menschlich. Stefani | |
> Germanotta, so der Name hinter der Figur, setzt auf Riffs statt Beats. | |
Bild: Image-Wandel: Stefani Germanotta aka Lady Gaga | |
Es gibt vieles, das man sofort mit Lady Gaga verbindet, ihre Musik fällt | |
nicht unbedingt darunter. Pop-Alien, Verkleidungskünstlerin, die Frau, die | |
immer ein bisschen Wahnsinn ausstrahlt – etwa ihr Instagram-Profil, früher | |
überflutet von Selfies, in denen sich ihre Haarfarbe alle drei Posts | |
änderte. | |
Nun aber ist ein Umschwung feststellbar. Heute sieht man Bilder einer in | |
Denim gekleideten Blondine, die Zeit mit Freunden verbringt. Der Alltag von | |
Stefani Germanotta hat die Social-Media-Realität von Lady Gaga eingeholt. | |
Dieser Imagewandel passt zur Veröffentlichung ihres neuen Albums „Joanne“. | |
Es soll sich laut Gaga auf das Wesentliche konzentrieren und eine | |
menschliche Verbindung zu den Hörern durch die Musik aufbauen. Alle Songs | |
sollen zudem autobiografisch inspiriert sein. | |
Betrachtet man unter diesem Aspekt ihr Instagram-Profil, passen die | |
Aussagen perfekt zu den Bildern. Oft sind nun Instrumente zu sehen und die | |
Arbeit im Studio – Situationen, die authentisch sein sollen. Außerdem | |
arbeitet Lady Gaga jetzt mit den harten Jungs aus dem Business zusammen – | |
ihr neuer Sound ist eine Abkehr von den wummernden Dance-Beats der | |
Frühzeit, auch das stellt sie mit solchen Arbeitsfotos klar. Da tummeln | |
sich Mark Ronson, Hit-Maschine und Ko-Produzent von „Joanne“ sowie Kevin | |
Parker, Frontmann der australischen Psychedelic-Band Tame Impala. Oft sitzt | |
Gaga aber auch selbst an der Gitarre oder hält ihre mit Rillen besetzten | |
Finger nach dem Spielen in die Linse – Musizieren tut weh! | |
Die Gitarren auf dem neuen Album haben dann aber andere eingespielt – | |
solche, bei denen die Saiten aufgrund der gewachsenenen Hornhaut nicht mehr | |
schmerzen, wie zum Beispiel Josh Homme, Gitarrist von Queens of the Stone | |
Age und Schlagzeuger der Eagles Of Death Metal. Er soll auch den Auftakt | |
des Albums, „Diamond Heart“, mitkomponiert haben – ein Powersong, der als | |
einziger an die Machart von Gagas letzten Alben erinnert. Nur ist das | |
Schlagzeug hier echt. Kevin Parker soll zudem die Idee zur ersten Single | |
„Perfect Illusion“ geliefert haben. An dem Song stört der redundante | |
Chorus, in dem Gaga immer wieder betont, dass alles um sie herum perfekte | |
Illusion gewesen wäre. | |
Vielleicht hat sie bei dem ganzen Zirkus um ihr verkleidetes Alter Ego | |
irgendwann gezweifelt. Die Illusion, die sie für ihre Fans erschuf und der | |
Druck, diese aufrechtzuerhalten, muss harte Arbeit gewesen sein. Der Fokus | |
auf ihr Äußeres und die Strategie, stets mit verrückten Outfits in aller | |
Munde zu sein, hatte sich lange für sie ausgezahlt. Aktionen wie das | |
Fleisch-Kleid bleiben unvergessen in der Pop-Welt. Die ersten beiden Alben | |
verkauften sich rekordverdächtig. | |
## Hype und Haltbarkeit | |
Ihre mediale Präsenz hatte Anfang der zehner Jahre das über Dekaden hart | |
erarbeitete Vermächtnis von Superstars wie Madonna in den Schatten gestellt | |
– zumindest, was das Internet angeht. Aber die Verkleidungsnummer wurde | |
irgendwann langweilig und Gagas drittes Album, [1][„Artpop“ (2013), das | |
musikalisch und visuell gesehen auf der Stelle trat, war ein Flop]. Der | |
Hype um Gaga schien vorbei – die schillernden Outfits überraschten nicht | |
mehr. | |
Erstaunlich war es, dass [2][sie sich 2014 mit dem Jazz-Sänger Tony Bennett | |
für ein Duett-Album zusammentat] und man tatsächlich in den Genuss kam, | |
ihre Singstimme zu hören. Man fragte sich, warum diese zuvor meist vom | |
Autotune-Effekt verdeckt wurde. Denn Lady Gaga kann eigentlich singen. | |
Nun hört man auf ihrem vierten Album gezupfte Gitarren im Zusammenklang mit | |
Gagas Gesangsstimme. Alle Songs würden auch mit einer Rockband live | |
funktionieren. Man riecht förmlich den Schweiß, und in den Songtexten kommt | |
eine Art Selbstfindung zum Vorschein – so wie in „Angel Down“. Darin | |
bekundet Germanotta: „I confess I am lost in the age of the social.“ Oder | |
im Titelsong des Albums, in dem sie fragt: „Girl, where do you think you’re | |
going?“ | |
„Joanne“ ist nicht nur der Name ihrer im Teenager-Alter verstorbenen Tante, | |
es ist auch ihr eigener zweiter Vorname. Auf dem Popsong „Hey Girl“ hört | |
man zudem Florence Welch singen. Dass die Hippie-Sängerin von Florence and | |
the Machine dafür ins Studio kam, gab Gaga das richtige Gefühl – die „real | |
human connection“ habe gestimmt. Der Beat des Liedes erinnert an Elton | |
Johns Hit „Bennie and the Jets“, was nicht schadet. Denn durch den | |
Duett-Gesang der beiden Frauen entwickelt er Hitpotenzial. Passend dazu | |
wird im Text die Symbiose zweier Frauen gefeiert. Der Florence-Touch wird | |
durch perlende Harfenklänge und den Einsatz von Streichern betont. | |
Menschliches Maß und die Möglichkeit, engere Verbindung zu den Hörern | |
aufzubauen, das ist wohl der Ansatz für „Joanne“, das Lady Gaga im Stile | |
eines nahbaren Popstars inszeniert. Umso überraschender, dass man bei der | |
Listening-Session in ein Büro geführt wird, dessen Tisch ein Bouquet | |
verwelkter Rosen ziert. Daran geheftet ein Zettel: „Your support of my | |
music means the world to me. XO Lady Gaga.“ Bei der nur scheinbar | |
persönlichen Nachricht kann man sich allerdings ziemlich sicher sein, dass | |
hier höchstens das Management aufmerksam war. | |
18 Oct 2016 | |
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## AUTOREN | |
Lorina Speder | |
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