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# taz.de -- Poptalent Halsey mit neuem Album: Dieser elende Hunger
> Mit „Hopeless Fountain Kingdom“ steht die junge US-Popsängerin Halsey an
> der Spitze der Charts. Wie gut und wie kalkuliert ist ihre Musik?
Bild: Begehren und begehrt werden: Halsey
Amerika brennt nicht. Wenn es manchmal aus der Ferne auch so scheint.
Selbst aus mancher Innenperspektive. Kam ein Mainstreamsound der Gegenwart
nahe, so wird dies meist zum Ausdruck gebracht in Form von künstlerischer
Wut, wie zuletzt bei Kendrick Lamar und Beyoncé, die hinter persönlichen
Krisen ein gespaltenes Land zeichneten, mit Rassismus, Ungleichheit und
notwendigen Selbstermächtigungen.
Dabei müsste ein Album, das wirklich den Anspruch hätte, die Gegenwart im
Land der Pop-Superstars zu zeichnen, Ärger und Dada, Komik und Tragik der
Situation zugleich zeigen.
Die junge Sängerin Halsey, obschon biografisch dazu prädestiniert, solche
Gegensätze in einem Great American Record abzubilden, wählt einen anderen
Weg – ähnlich dem, den Lady Gaga wählte bei ihrer Superbowl-Show im
Februar, als sie, in einer merkwürdigen Inszenierung zwischen Pathos,
Patriotismus und Provokation, dem Fahneneid eine verbindende Message
abrang.
## Lohn der Wandelbarkeit
Dabei war das Debüt der 22-Jährigen 2015 tatsächlich als ein solcher
Versuch lesbar. Die Dystopien von „Badlands“ waren Marker für den Zustand
der Millennial-Generation, die Halsey in ihrer Erfolgssingle „New
Americana“ auf den Punkt gebracht hatte: Sie skizzierte musikalisch einen
Zustand, in dem die gesellschaftlichen Kämpfe zwischen den damit
assoziierten Musikstilen, zwischen Suburbs und Innenstadt in einem
kollektiven Egal-Rausch aufgehen: „High on legal marihuana / Raised on
Biggie and Nirvana“.
Ihr nun erschienenes zweites Album, „Hopeless Fountain Kingdom“, verfolgt
ein Konzept, ein dunkel futuristisches „Romeo und Julia“, dem Baz Luhrmanns
Verfilmung die Ästhetik mitliefert – Leonardo DiCaprio und Claire Danes,
Kitsch und Krawall. Eine komplizierte Lovestory also, natürlich erweitert
um die notwendigen minimal-autobiografischen Hinweise auf Halsey selbst,
ohne die ein Popalbum, insbesondere das einer jungen Frau, keinen
Mainstreamerfolg erringen kann.
Die Musik dürfte alle versöhnen: Die Trommeln dringen aus einem Stadion der
Achtziger, Beats und Klangfarben aus den klugen Clubs und Melodien aus dem
Radio. Halseys Stimme zitiert derweil kunstvoll Britney Spears bis Rihanna.
„Hopeless Fountain Kingdom“ ist für die hohe Chartplatzierung gebastelt,
die es nun errang: Lohn vorhersehbarer Wandelbarkeit.
Als Figur ist Halsey wesentlich spannender. Ihre Karriere verlief selbst
wie eine auf den Punkt gebrachte postmoderne Starbiografie, in der nicht
mehr alte Männer hübsche junge Mädchen zum Erfolg casten, sondern diese
sich selbst im social web dazu erheben. Inwiefern Ashley Nicolette
Frangipane, so ihr Geburtsname, einen Tick zu perfekt die Diskurse ihrer
Generation verkörpert, wird in den USA heiß debattiert.
## Reduktion auf Hashtags
Sie selbst ist eher verärgert, dass ihr Leben – und die Komplexität von
Diskriminierungsmechanismen – allzu oft auf einen Hashtag reduziert wird:
„tri-bi“ heißt der und spielt auf ein dreifaches Dazwischen an: Halsey ist
bisexuell, Tochter eines Vaters of color und einer Weißen („bi-racial“) und
nicht zuletzt manisch-depressiv – bipolar.
So einfach es wäre, das auf bloßes Marketing zu reduzieren – dass alle
diese Kategorien Stimmen nötig haben, wird deutlich im Aufruhr, den die
Single „Strangers“, auslöste, ein Straight-forward-Duett mit der ebenfalls
bisexuellen Sängerin Lauren Jauregui. „Strangers“ ist so etwas wie die
Fernsehgarten-Inszenierung gleichgeschlechtlicher One-Night-Stands,
lesbisches Begehren, das über reinen Sex und romantische Liebe hinausgeht:
„We’re not lovers, we’re just strangers / With the same damn hunger / To …
touched, to be loved, to feel anything at all“.
Dass das 50 Jahre, nachdem die Doors im TV „high“ sagen durften, 14 Jahre
nach dem Stage-Kiss von Madonna, Britney Spears und Christina Aguilera
tatsächlich einer Erwähnung bedarf, ist eigentlich ziemlich peinlich für
eine Popkultur, die manchmal zu vergessen scheint, ihre gesellschaftliche
Avantgarde-Stellung zu beanspruchen. Eine, die Halseys Musik genauso wenig
erringen will.
Im Grunde ist das eine Form von Pop, wie sie sich die Achtziger immer
gewünscht haben: serielle Authentizität und Hyper-Zitat-Pop von Stilen,
Songtexten und Themen. Alles ist möglich, solange es demokratisch
zugänglich bleibt – bisweilen faszinierend, konzeptuell interessant, aber
darum vielleicht auch ein Pop, der musikalisch nicht im Ansatz den Horizont
erreicht, an dem interessanter Sound stehen können sollte, im Sommer 2017.
20 Jun 2017
## AUTOREN
Steffen Greiner
## TAGS
Pop-Kultur
Begehren
Lady Gaga
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