# taz.de -- Westliche Stragien gegen den Krieg: Wie weiter in Syrien? | |
> Wieder einmal treffen sich Russlands Außenminister Lawrow und | |
> US-Außenminister Kerry. Die westlichen Länder diskutieren ihre | |
> Handlungsoptionen. | |
Bild: Aleppo, 12. Oktober 2016 | |
## Deutschland: Gespräche mit Russland | |
Deutsche PolitikerInnen sind in der Frage, wie man den Krieg in Syrien | |
befriedet, ähnlich ratlos und gespalten wie Europa. Während Teile der Union | |
und der Grünen eine härtere Gangart gegenüber Russland fordern, warnt | |
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) vor einem Rückfall in | |
Zeiten des Kalten Kriegs und setzt auf Gespräche zwischen Russland und den | |
USA. | |
Dass sich der russische und der amerikanische Außenminister am Samstag im | |
schweizerischen Lausanne treffen, um über einen Waffenstillstand in Syrien | |
zu sprechen, sei ein Zeichen der Hoffnung, meinte Steinmeiers Sprecher am | |
Freitag in der Bundespressekonferenz. Ein Hoffnungszeichen – mehr nicht. | |
„Die Lage ist schlecht, das kann man nicht bestreiten.“ | |
Deutschland sitzt wie andere europäische Länder am Samstag nicht mit am | |
Verhandlungstisch, doch: „Nicht dabei zu sein, heißt ja nicht, | |
ausgeschlossen zu sein“, sagte der Sprecher des Außenministeriums. | |
Steinmeier hatte sich in dieser Woche ans Telefon gehängt. Mit dem | |
UN-Sonderbeauftragten Staffan de Mistura habe er telefoniert, mit dem Chef | |
der syrischen Opposition, mit den Amerikanern. Zu russischen Kontakten | |
konnte der Sprecher des Außenministeriums nichts sagen. Dafür hatte Angela | |
Merkel am Mittwoch den russischen Präsidenten Wladimir Putin in der | |
Leitung. In dem Gespräch zwischen Merkel, Putin und dem französischen | |
Präsidenten Francois Hollande ging es hauptsächlich um die Ukraine – dort | |
gibt es ja immerhin schon einen ausgehandelten Waffenstillstand, der aber | |
seit über einem Jahr nicht umgesetzt ist. Syrien war ebenfalls Thema. | |
Die Kanzlerin und ihr Außenminister halten, was Syrien betrifft, an ihrem | |
ursprünglichen Plan fest: 1. eine Waffenruhe vereinbaren, um 2. den Zugang | |
zu humanitärer Hilfe zu ermöglichen und 3. Verhandlungen über eine | |
politische Lösung des Bürgerkriegs aufzunehmen. | |
Am kommenden Donnerstag trifft man sich im Europäischen Rat, am Abend | |
diniert Merkel mit ihren Kollegen, den Regierungschefs der | |
EU-Mitgliedstaaten. Dabei werde es auch um die Syrien-Frage gehen, so | |
Regierungssprecher Steffen Seibert. Sanktionen steht die Kanzlerin | |
weiterhin skeptisch gegenüber. „Russland spielt eine wichtige Rolle bei der | |
Befriedung des Konflikts, deshalb ist es notwendig, mit Russland | |
umzugehen“, wie Seibert am Freitag nochmals betonte. Das zeuge nicht von | |
Verständnis gegenüber der Politik Russlands, sondern man erkenne die | |
Tatsache an, dass Gespräche mit Russland über eine politische Lösung nötig | |
seien. Im Interesse der Menschen in Syrien. (ANNA LEHMANN, BERLIN) | |
## Clinton will intervenieren | |
Im politischen und militärischen Washington ist die Einrichtung einer | |
Flugverbotszone in Syrien immer wieder ein Thema. Die KritikerInnen merken | |
an, dass es dazu weder ein Kongress- noch ein UN-Mandat gibt und dass sie | |
militärische Kräfte binden würde, die anderswo – insbesondere im Irak – … | |
Einsatz sind. Im Weißen Haus fügt Sprecher Josh Earnest hinzu: „Der | |
Präsident will nicht, dass Syrien ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland | |
und den USA wird. Das wäre nicht in unserem Interesse.“ | |
Hillary Clinton dagegen will stärker in Syrien intervenieren. Sie | |
befürwortet eine Flugverbotszone, außerdem will sie kurdische und einzelne | |
sunnitische Milizen mit den Waffen ausstatten, „die sie brauchen“, will | |
US-Spezialeinheiten – aber keine Bodentruppen – ins Land schicken und nennt | |
die „Tötung“ von IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi als Ziel. | |
Auch Donald Trump verspricht, in Syrien härter zuzuschlagen als Barack | |
Obama. Er werde den IS „zerschlagen“, sagt er, will seinen Plan aber nicht | |
verraten – damit „der Feind“ es nicht erfährt. Im Gegensatz zu Clinton u… | |
zu seinem eigenen Vizepräsidentschaftskandidaten Mike Pence lehnt Trump es | |
ab, syrische Militärs anzugreifen. „Ich mag Assad nicht“, begründet er, | |
„aber Assad tötet IS-Kämpfer. Und Russland tötet auch IS-Kämpfer.“ | |
(DOROTHEA HAHN, WASHINGTON) | |
## Frankreich: Sanktionen gegen Russland | |
Vergangenen Samstag hatte Frankreich noch eine Resolution im | |
UN-Sicherheitsrat eingebracht: Sie sollte bewirken, dass die Bombardierung | |
der Stadt Aleppo sofort gestoppt wird. Russland stimmte gegen die | |
Resolution, scheiterte aber auch mit einem eigenen Entwurf: Er sah vor, | |
dass radikale und gemäßigte Rebellen voneinander getrennt die Stadt | |
verlassen. | |
Die Einweihung des russisch-orthodoxen Zentrums in Paris war dem russischen | |
Präsidenten Wladimir Putin dann auch keine Messe und keine Reise wert. Er | |
wirft Frankreich vor, die bereits gespannten Beziehungen zusätzlich zu | |
„vergiften“. Seit der Ukraine-Krise ist das Verhältnis angespannt: | |
Frankreich hat auf Sanktionen gedrängt und die Auslieferung von zwei | |
Kriegsschiffen an die russischen Marine gestoppt. Die Probleme mit | |
russischen Hooligans während der Fußball-EM in Frankreich haben die | |
frostigen Beziehungen auch nicht erwärmt. | |
Zu Recht also fühlt sich Putin in Paris offiziell nicht sehr willkommen. | |
Hollande will Putin höchstens und ausschließlich empfangen, um mit ihm über | |
Syrien zu reden und gegen die militärische Unterstützung des Machthabers | |
Baschar al-Assad zu protestieren. | |
In Wirklichkeit möchte Hollande längst viel weiter gehen: Er betrachtet | |
Russland als mitschuldig an Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung bei | |
der Bombardierung von Aleppo. Hollande möchte Assad und seinem Komplizen | |
Putin am liebsten vor dem Internationalen Strafgerichtshof den Prozess | |
machen. Da dies nicht sehr realistisch ist, erwägt man in Paris andere | |
Mittel: Neue EU-Sanktionen wie eine gedrosselte Erdgaseinfuhr oder auch die | |
einseitige Beschränkung der Visa für russische Staatsbürger könnten sich | |
aber leicht kontraproduktiv erweisen; eine militärische Intervention gegen | |
Assad, wie sie Hollande ursprünglich gefordert hatte, scheint wegen der | |
russischen Implikation in den Konflikt höchst riskant. | |
Hingegen glauben einige, Putins verwundbarsten Punkt entdeckt zu haben: die | |
Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2018. Diese könnte zur Strafe von | |
der Fifa in ein anderes Land verlegt werden, oder aber die EU-Staaten | |
könnten, indem sie die Übertragung der WM im Fernsehen boykottieren oder | |
dies androhen, Druck machen. | |
Hollandes Drohungen werden aber aufgrund der Widerstände seiner | |
europäischen und amerikanischen Partner bloße Rhetorik bleiben. Auch das | |
französische Parlament, in dem es eine starke prorussische Lobby gibt, | |
lehnt seine formell kompromisslose Haltung ab: Die bürgerliche Opposition | |
nennt seine Linie „verantwortungslos“, die Chefin des Front National | |
bewundert Putin und lässt ihre Wahlkampagnen von russischen Bankkrediten | |
finanzieren, auch Jean-Luc Mélenchon von der Linkspartei hält wenig von | |
Hollandes Russlandpolitik. | |
Putin kann auf das Wahljahr 2017 hoffen: Falls es einen Machtwechsel gibt, | |
dürfte die französische Politik wieder russlandfreundlicher werden. (RUDOLF | |
BALMER, PARIS) | |
## Flugverbot für Hubschrauber | |
Was Russland mit den Vereinten Nationen macht, ist genau das, was Italien | |
und Deutschland in den 1930er Jahren mit dem Völkerbund machten; und was | |
sie mit Aleppo machen, ist genau das, was die Nazis im Spanischen | |
Bürgerkrieg mit Guernica machten“: Mit diesen Vergleichen eröffnete der | |
ehemalige britische Entwicklungsminister Andrew Mitchell am vergangenen | |
Dienstag eine Sonderdebatte des britischen Unterhauses zur Lage in Syrien. | |
Nach drei Jahren, in denen sich Großbritannien aus der Diskussion über den | |
Umgang mit dem Assad-Regime in Syrien weitgehend herausgehalten hat – im | |
August 2013 hatte das Parlament einen Antrag der damaligen Regierung | |
Cameron abgelehnt, Luftangriffe als Antwort auf Assads Chemiewaffeneinsätze | |
gegen Zivilisten zu fliegen –, fordern nun erstmals wieder Stimmen, etwas | |
gegen die von Syriens und Russlands Luftwaffen begangenen Kriegsverbrechen | |
zu unternehmen. | |
Eine Flugverbotszone für Aleppo – das war Mitchells Anliegen, als er die | |
Parlamentsdebatte anstieß. Es gebe dafür keine militärischen Hindernisse, | |
meinten mehrere konservative Politiker. Auch Generäle sehen dafür reale | |
Möglichkeiten: Die bestehenden Einsätze gegen den „Islamischen Staat“ in | |
Syrien könnten problemlos ihren Aktionsradius erweitern, heißt es. | |
Am praktikabelsten sei aber ein Flugverbot für Hubschrauber über Aleppo: | |
aus Hubschraubern im Tiefflug werden die meisten Fassbomben abgeworfen. | |
Ein solches Flugverbot könne von der britischen Mittelmeerflotte und der | |
britischen Militärbasis auf Zypern aus überwacht werden, ohne das Risiko | |
einer Konfrontation mit russischen Kampfjets über Syrien. Jedenfalls | |
solange Russland noch nicht, wie geplant, eigene Flugzeugträger im | |
östlichen Mittelmeer stationiert hat. | |
Auf all diese Gedankenspiele reagiert Russland ruhig. Moskaus Rhetorik | |
richtet sich gegen einen Nebenkriegsschauplatz: den Aufruf des britischen | |
Außenministers Boris Johnson, vor der russischen Botschaft in London zu | |
demonstrieren. Er fragte, wo denn die mächtige Antikriegsbewegung „Stop The | |
War“ bleibe, die sich 2003 gegen den Irakkrieg gebildet hatte und damals | |
vom heutigen Labour-Chef Jeremy Corbyn geführt wurde. Aus Moskau kamen | |
umgehend Warnungen an russische Diplomaten in London. | |
Premierministerin Theresa May will nun die öffentliche Debatte beenden. | |
Nachdem Boris Johnson bestätigte, es werde über militärische Optionen | |
beraten, erklärte May am Donnerstag, es gebe „keine Pläne für militärisch… | |
Eingreifen“. Mays Sprecher fügte aber hinzu: „Wir reden mit Partnern | |
darüber, ob wir mehr tun können, um diesen schrecklichen Konflikt zu | |
beenden.“ (DOMINIC JOHNSON, BERLIN) | |
## Eine Resolution der Uno | |
Werden die Syrien-Gespräche der Außenminister Russlands, der USA, Irans, | |
Saudi-Arabiens und der Türkei zu einer Deeskalation führen? Im 50 Kilometer | |
westlich von Lausanne gelegenen Europäischen Hauptquartier der UNO in Genf | |
macht sich niemand Illusionen. Einige der UNO-Vertreter hegen die Hoffnung, | |
dass das Lausanner Treffen zumindest eine kurze Feuerpause für die | |
besonders heftig umkämpfte Stadt Aleppo zur Folge hat, damit | |
Schwerverletzte herausgeholt werden können. | |
In der New Yorker UNO-Zentrale wird in der kommenden Woche wahrscheinlich | |
ein Vorschlag in die Diskussion kommen, der die Handlungsfähigkeit der | |
Weltorganisation im Syrienkonflikt wiederherstellen soll. | |
Vertreter der politischen Opposition in Syrien bemühen sich, möglichst | |
viele der 193 Mitgliedsstaaten der UN-Generalversammlung für eine | |
Initiative zu gewinnen. Sie berufen sich auf die „United for | |
Peace“-Resolution, die die Generalversammlung 1950 angesichts der damaligen | |
monatelangen Blockade des Sicherheitsrats im Korea-Konflikt verabschiedet | |
hatte. Nach dieser Resolution kann die Generalversammlung die laut | |
UN-Charta „primäre Verantwortung“ des Sicherheitsrats für „die Bewahrung | |
beziehungsweise Wiederherstellung des Friedens und der internationalen | |
Sicherheit“ an sich ziehen, wenn sich der Sicherheitsrat wegen eines Vetos | |
als handlungsunfähig erweist. | |
Von dieser Möglichkeit hat die Generalversammlung seit 1950 schon zehnmal | |
Gebrauch gemacht, unter anderem während der Suezkrise 1956 und nach der | |
sowjetischen Invasion in Afghanistan Ende 1979. | |
Die syrische Opposition will eine Resolution der Generalversammlung | |
erreichen, die alle Gewaltakteure zur Waffenruhe auffordert und die | |
Hilfslieferungen an die Bevölkerung zulässt. (ANDREAS ZUMACH, GENF) | |
14 Oct 2016 | |
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