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# taz.de -- Die Wahrheit: Heiterer Hort
> Der gesellschaftliche Wandel hat Ikea erreicht. Der unmögliche
> Möbelkonzern entdeckt jetzt das Geschäft am rechten Rand.
Wenn ich die Fernsehbilder von pöbelnden Pegidisten und diesem
widerwärtigen Trump nicht mehr aushalte, dann schaue ich einfach in meinen
Ikea-Katalog. Das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit“,
gesteht Birte Wittmund. Tatsächlich erscheint der Katalog des ehemals
unmöglichen Möbelhauses gerade jetzt als Hort ungetrübter linksliberaler
Daseinsfreude. Nirgendwo sonst werden progressive Lebensmodelle,
gleichgeschlechtliche Partnerschaften und multikulturelle Familien derart
anheimelnd und selbstverständlich in Szene gesetzt wie auf den gut 300
Hochglanzseiten des aktuellen schwedischen Werbewälzers.
Auch deswegen ist Birte Wittmund ein frenetischer Ikea-Fan fast der ersten
Stunde. Wir treffen sie in ihrer Doppelhaushälfte in einem Kölner Vorort,
wo sie mit ihrer Familie und der weltweit größten Sammlung tiefgefrorener
Köttbullar wohnt.
## Ehe im Einrichtungshaus
Schon ihre Studentenbude hat die Grundschullehrerin mit den Produkten des
Möbelhauses eingerichtet. „Ein Wohntraum auf acht Quadratmetern in Kiefer
und Makramee“, erinnert sie sich. Jahre später lernte Wittmund ihren Mann
Bengt-Moppe bei einem Einkauf in dem Einrichtungshaus kennen. „Das war eine
lustige Geschichte – ich war mit meinem damaligen Freund da, um unsere
erste gemeinsame Wohnung einzurichten, und erst beim Aufbau zu Hause ist
mir aufgefallen, dass ich nicht nur das falsche Regal, sondern auch den
falschen Typen eingepackt hatte. Aber weil bei Bengt-Moppe schon ein paar
Schrauben fehlten, hat Ikea ihn nicht mehr zurückgenommen. Da habe ich ihn
geheiratet.“
Sogar die beiden Kinder des Paares, die 9-jährige Smorgas und der
58-jährige Stroganoff, stammen aus der örtlichen Ikea-Filiale. „Wenn bei
Geschäftsschluss das Bällchenbad durchgeharkt wird, bleiben meist ein paar
Kinder über. Die kommen entweder in die Leimfabrik oder werden unter den
Inhabern der Family-Card verlost“, freut sich die Ikea-Expertin.
„Die jährlichen Kataloge habe ich bislang regelrecht verschlungen“, erzäh…
Birte Wittmund weiter. „Da saßen immer diese tollen Patchwork-Familien
zusammen, die gemeinsam mit ihren ethnisch diversen Freunden an langen
Tafeln gespeist haben, während die Kinder sich kreativ beschäftigten und
der Mann den Haushalt gemacht hat. Das war immer das Leben, das ich führen
wollte, auch wenn bei uns bloß hin und wieder sonntags meine
stockkonservativen Eltern zu Besuch kamen und Bengt-Moppe keinen Handschlag
getan hat.“
Ihre Begeisterung für die schöne Ikea-Werbewelt ist neuerdings jedoch in
blanke Ablehnung umgeschlagen. „Da, schauen Sie!“, schäumt Wittmund und
wedelt mit einem Katalog. „Dieses Machwerk hat man mir vor Kurzem ins Haus
geschickt.“
Der bekannte Firmenname prangt in Frakturschrift auf dem Cover, auf dem
statt alternativer Libertinage eine Kleinfamilie abgebildet ist. Sie sitzt
am Esstisch „Schnellroda“ und hält die Köpfe zum Tischgebet gesenkt. Die
Mädchen tragen Zöpfe zu Rüschenkleidern, die Buben kurze Lederhosen und
akkurate Seitenscheitel, während der Vater am Kopfende der Tafel thront und
die Mutter ihm demütig die Suppenschüssel reicht.
Auch die Möbel im neuen Katalog unterscheiden sich von den
Vorgängermodellen. Man setzt offenbar auf Beständigkeit und gewährt unter
der Überschrift „Ein Volk, ein Reich, ein Möbel“ eine 1.000-jährige
Garantie, die gerade einmal für zwölf Jahre gilt, wenn man die
Kapitulationserklärung im Kleingedruckten aufmerksam liest. Statt
Schleiflack und hellem Furnier ist allenthalben dunkel gebeiztes Massivholz
von echt deutscher Eiche zu sehen. Anrichten, groß wie Schützenpanzer
dominieren die Räume, schwere Brokatvorhänge sorgen für gravitätisches
Halbdunkel. Die lichtdurchfluteten Lofts sind engen Wohnräumen mit
Butzenscheiben gewichen, die Namen wie „Gute Stube“ und „Herrenzimmer“
tragen, wie auch die putzigen schwedischen Produktbezeichnungen gnadenlos
eingedeutscht wurden.
Auf einem Foto, das Leni Riefenstahl nicht schneidiger aus der Hüfte hätte
schießen können, sitzt ein männliches, weißes Model in Denkerpose im Sessel
„Klotz“, während im Hintergrund die Armleuchter „Kubitschek“ und „Ko…
angepriesen werden. Lediglich die Namen kleinerer Objekte wie der
Kugelschreiber „Le Pen“ oder der notorische Barhocker „Farage“ weisen n…
über den deutschen Sprachraum hinaus.
## Frauen auf Küchenseiten
Frauen sind in dem Katalog nur noch auf den Küchenseiten zu sehen, wo sie
sich für den achtflammigen Brandherd „Dresden“ oder die robuste
Flockenquetsche „Frauke“ begeistern dürfen. Menschen mit
Migrationshintergrund tauchen kaum auf. Eine einzige nichtweiße Person
posiert im Katalog. Sie verkörpert eine Hausangestellte, die angewidert den
Abfalleimer „Höcke“ ausleert, während ihre weißen Herrschaften die
Deko-Objekte „Thorak“ und „Glurak“ aus Gusseisen in ihrem Vorgarten
bewundern.
„Ich bin fassungslos und empört“, empört sich die treue Kundin Wittmund,
die aus Protest ihren gesamten Hausstand auf dem Parkplatz der Filiale in
Köln-Godorf verbrennen will. Außerdem verlangt sie ein eindeutiges
Bekenntnis Ikeas zu den Lehren Astrid Lindgrens sowie 30 Prozent Rabatt auf
alle Waren als Entschuldigung.
„Ikea gibt grundsätzlich keine politischen Statements ab“, sagt dagegen
Kattla Katthult, eine Sprecherin des Möbelhauses. „Ein globaler Konzern
muss die Lebenswelten aller seiner Kunden respektieren, wenn er ihnen
weiter auf Augenhöhe begegnen will.“ Tatsächlich hat sich der international
operierende Möbelriese schon in der Vergangenheit immer wieder geschmeidig
dem ideologischen Klima seiner jeweiligen Märkte angepasst. Aus einem
Prospekt für Saudi-Arabien wurden weibliche Modelle herausretuschiert,
während in Russland jüngst der Beitrag eines homosexuellen Paars zu einem
Ikea-Fotowettbewerb von der Internetseite verschwunden ist.
Den verstörenden Katalog, der Birte Wittmund zugegangen ist, bezeichnet
Katthult als „harmloses Gedankenspiel“, mit dem lediglich getestet werden
sollte, wie Ikea auf erstarkende rechte Tendenzen im deutschen Markt
reagieren könnte, und gibt sogleich Entwarnung: „Das ist derzeit keine
Option. Bislang zeigen erst zehn Prozent der Deutschen ernsthaft
antidemokratische Einstellungen, diese Leute sind ja noch längst nicht
marktbestimmend.“
## Sonderprospekt für Sachsen
Birte Wittmund beruhigt diese Aussage freilich nicht, und auch im Konzern
selbst hat die Aktion für Aufregung gesorgt. Angeblich sind sämtliche
Mitglieder der intern „Auch Nazis brauchen Möbel“ genannten Arbeitsgruppe,
die für den Kundenfang am rechten Rand verantwortlich zeichnete, ins
berüchtigte Småland am Standort Chemnitz strafversetzt worden.
„Der Sonderprospekt wurde ganz gezielt an ausgesuchte Haushalte in Sachsen
verteilt“, bemüht sich Katthult um Schadensbegrenzung. „Dass er
versehentlich auch Frau Wittmund zugestellt wurde, war ein Fehler, den wir
zutiefst bedauern. In Zukunft wird sie sich wieder an der gewohnt
weltoffenen Ikea-Markenwelt erfreuen können.“
17 Oct 2016
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Ikea
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