| # taz.de -- Wirtschaftsminister Gabriel im Iran: Unter den Augen der Ajatollahs | |
| > Der Iran braucht dringend wirtschaftliche Erfolge, Vizekanzler Gabriel | |
| > will helfen. Aber das Thema Menschenrechte erschwert die Geschäfte. | |
| Bild: Gabriel und sein Kollege Tajebniah – im Rücken die Revolutionsführer … | |
| Teheran taz | Sigmar Gabriel sieht zufrieden aus. Der Vizekanzler steht an | |
| der Stirn des Dschihad-Eghtesadi-Saals im fünften Stock des Teheraner | |
| Wirtschaftsministerium. Direkt über ihm blickt Ajatollah Chomeini von der | |
| Wand, der Staatsgründer mit den ausgeprägten Augenbrauen. Vor ihm setzt | |
| sich ein Manager nach dem nächsten zum Vertragsabschluss an den Tisch. | |
| Unterschrift, Handshake und zack: Mitsubishi Deutschland modernisiert | |
| Kraftwerke. Keller HCW baut eine Ziegelfabrik. Intra Industrieanlagen | |
| liefert Kühlgeräte. | |
| Drei Tage weilt der Wirtschaftsminister im Iran, 120 Unternehmensvertreter | |
| begleiten ihn. Am Montagmittag unterzeichnen sie ein knappes Dutzend | |
| Verträge und Absichtserklärungen. Je nach Sichtweise ist das entweder ein | |
| großer Erfolg oder eine große Schande. Für das, was Sigmar Gabriel und | |
| seine Delegation machen, gibt es drei verschiedene Lesarten. | |
| Nummer 1: Gabriel und seine Gefährten erledigen nur ihre Jobs. Nummer 2: | |
| Gabriel und seine Gefährten unterstützen mit ihren Geschäften ein Regime, | |
| dass sich um Menschenrechte nicht schert, dafür den Nahen Osten mit Terror | |
| überzieht. Nummer 3: Gabriel und seine Gefährten sichern mit ihren | |
| Geschäften den Weltfrieden im Allgemeinen und das Atomabkommen vom 14. Juli | |
| 2015 im Besonderen. | |
| In jenem Abkommen stimmte der Iran nach jahrelangen Verhandlungen zu, sein | |
| Nuklearprogramm zurückzufahren. Der Vertrag soll verhindern, dass das | |
| Regime eines Tages eine Atombombe baut. Den eigenen Wählern verkaufte die | |
| iranische Regierung das Zugeständnis mit der Aussicht auf wirtschaftlichen | |
| Aufschwung – EU und USA verpflichteten sich im Abkommen dazu, ihre | |
| Sanktionen zu beenden. 15 Monate später hat Präsident Hassan Rohani aber | |
| ein Problem: Die iranische Wirtschaft wächst inzwischen zwar ein wenig. Der | |
| große Boom bleibt aber aus. | |
| ## Ludwig Erhard in Teheran | |
| Ändert sich das nicht, wird das Problem Rohanis zu einem Problem des | |
| Westens. Im Mai 2017 stehen im Iran Wahlen an. Eine schlechte | |
| Wirtschaftslage könnte den relativ moderaten Präsidenten aus dem Amt | |
| spülen. Ob ein Hardliner dann als Präsident am Atomabkommen festhalten | |
| würde, ist fraglich. Und so führen Sigmar Gabriel nicht nur die Interessen | |
| der Wirtschaft nach Teheran. Eine „stabilisierende Wirkung auf die | |
| iranische Regierung“, so heißt es aus seinem Ministerium, ist bei dieser | |
| Reise miteinkalkuliert. „Wir haben das Ziel, die jetzige Regierung zu | |
| unterstützen in ihrem Öffnungskurs“, sagt Gabriel zu Beginn der Reise. | |
| Rohanis Leute danken es ihm. Am Montag sitzt Gabriel in einem Saal im | |
| zehnten Stock der iranischen Handelskammer, die ein deutsch-iranisches | |
| Businessforum veranstaltet. Über dem Vizekanzler wacht auch hier der | |
| Ajatollah, neben dem Vizekanzler sitzt der stellvertretende | |
| Wirtschaftsminister des Landes. Mohammad Khazaei hat vor einigen Jahren | |
| damit gedroht, ganz Tel Aviv in Brand zu setzen. | |
| Sigmar Gabriel empfängt er sehr herzlich: „Die erste deutsche Auslandsmesse | |
| nach dem Zweiten Weltkrieg fand im Iran statt. Wirtschaftsminister Ludwig | |
| Erhard reiste damals persönlich nach Teheran“, sagt Khazaei. „Mit der | |
| gleichen Energie wie heute Herr Gabriel schlug er damals ein neues Kapitel | |
| in den deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen auf.“ | |
| ## Von Deutschland enttäuscht | |
| Was er freundlicherweise nicht erwähnt: Von den Deutschen war die iranische | |
| Regierung nach dem Ende der Sanktionen zunächst einmal enttäuscht. Dass | |
| erst der Vizekanzler einfliegen muss, damit es zu ein paar Verträgen kommt, | |
| hätten die Iraner nicht gedacht. Es ist zwar nicht so, dass das Land der | |
| deutschen Wirtschaft egal wäre. Aus fast allen Bundesländern reisten | |
| bereits Wirtschaftsminister nach Teheran. | |
| Der Iran hat nach Jahren der Sanktionen einen riesigen Investitionsstau, | |
| muss Maschinen und Infrastruktur auf den neuesten Stand bringen. Der Markt | |
| ist lukrativ. Doch Verträge über Großprojekte wurden bisher kaum | |
| abgeschlossen. Das hat unter anderem mit der Zögerlichkeit der Banken zu | |
| tun, für Irangeschäfte Kredite zu gewähren. | |
| Ein Grund dafür sind Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen und | |
| Terrorunterstützung, die durch das Atomabkommen nicht ausgesetzt wurden. | |
| Sie richten sich unter anderem gegen die Spitzen der paramilitärischen | |
| Revolutionsgarden, die auch in der Wirtschaft mitmischen. | |
| ## Im Geflecht der Sanktionen | |
| Besonders genau achteten in der Vergangenheit die USA auf die Einhaltung | |
| von Iran-Sanktionen. Das bekamen einige deutsche Banken zu spüren, die in | |
| Amerika Milliardenstrafen zahlten, weil sie gegen die Atom-Sanktionen | |
| verstoßen hatten. Nun befürchten sie neue Geldbußen – für den Fall, dass | |
| sie auf dem unübersichtlichen iranischen Markt auch nur aus Versehen | |
| Geschäfte mit den Revolutionsgarden finanzieren. | |
| Allein dies zeigt: Der Iran ist weit davon entfernt, ein ganz normaler | |
| Handelspartner zu werden – Rohani hin oder her. Das Atomabkommen ist ein | |
| Abkommen über das iranische Atomprogramm, mehr nicht. Auf andere Konflikte | |
| hat es bislang keinen Einfluss. | |
| Der Iran kämpft in Syrien noch immer an der Seite von Machthaber Assad. Der | |
| Iran möchte Israel noch immer von der Landkarte radieren. Und der Iran | |
| nimmt auf der Rangliste der Hinrichtungsstaaten noch immer eine | |
| Spitzenposition ein. Das Land vollstreckte im vergangenen Jahr knapp 1.000 | |
| Todesurteile, so viele wie seit Jahrzehnten nicht. | |
| ## Eine kleine Runde zu den Menschenrechten | |
| Um sich auf seine Reise vorzubereiten, empfing Gabriel am vergangenen | |
| Dienstag eine kleine Runde im Wirtschaftsministerium. Eingeladen hatte er | |
| die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, einen Vertreter von | |
| Human Rights Watch und einen von Reporter ohne Grenzen. Für Amnesty | |
| International nahm Nahostexperte René Wildangel an der Unterredung teil. | |
| „Wir haben ihm gesagt, wie wir die Lage einschätzen: Die | |
| Menschenrechtssituation hat sich seit dem Abschluss des Atomabkommens nicht | |
| verbessert. Im Gegenteil“, sagt Wildangel. Da sei zum Beispiel der Fall von | |
| Narges Mohammadi: Einen Tag nach dem Treffen im Wirtschaftsministerium | |
| bestätigte ein Teheraner Berufungsgericht die Haftstrafe gegen die | |
| 44-jährige Aktivistin. | |
| Weil sich Mohammadi für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzte, muss sie | |
| für 16 Jahre ins Gefängnis. Die offiziellen Vorwürfe: Gründung einer | |
| verbotenen Gruppierung, Verschwörung gegen die nationale Sicherheit und | |
| Verbreitung von Propaganda gegen das System. | |
| ## Der Fall Narges Mohammadi | |
| „Wir sind nicht der Meinung, dass der Wirtschaftsminister deshalb nicht in | |
| den Iran fliegen darf. Wenn er in Teheran Fälle wie den von Mohammadi | |
| anspricht, kann das sogar eine Chance sein“, sagt Wildangel. „Bei Worten | |
| darf es aber nicht bleiben. Die iranische Regierung muss merken, dass mit | |
| den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen auch klare Erwartungen an die | |
| Verbesserung der Menschenrechtslage verbunden sind.“ | |
| Im Saal der Handelskammer, unter den Augen des Ajatollahs, spricht Gabriel | |
| das Thema dann an. Ganz vorsichtig. „Wir wissen, dass es zwischen der | |
| Politik des Iran und der Politik Europas Differenzen gibt“, sagt er. „Sie | |
| blicken völlig anders auf ihr Land als wir in Deutschland. Sie haben eine | |
| andere Beziehung zum Status der Religion und außenpolitisch einen anderen | |
| Blick auf die Welt, gerade in der Syrienfrage.“ Aber wer miteinander Handel | |
| treibe, da sei er überzeugt, der könne auch über solche Themen miteinander | |
| reden. | |
| ## Botschaften nach innen und außen | |
| Tatsächlich? Am Tag vor Gabriels Besuch hatte ein Sprecher des iranischen | |
| Außenministeriums vorgesorgt und gegen die Ankündigung des Gastes | |
| gewettert, in Teheran über Menschenrechte zu sprechen. „Jegliche | |
| Einmischung in unsere Angelegenheit von Seiten Dritter lehnen wir ab“, | |
| lautete seine Botschaft nach innen. | |
| Der höfliche Mohammad Khazaei aus dem Wirtschaftsministerium hätte es so | |
| barsch nicht gesagt. In der Handelskammer antwortet er dem deutschen | |
| Vizekanzler weit freundlicher. Die Botschaft nach außen lautet: „Es gibt | |
| natürlich in manchen Sektoren politische Meinungsunterschiede. So | |
| umfangreich sind sie glücklicherweise aber gar nicht.“ | |
| 3 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Sigmar Gabriel | |
| Wirtschaft | |
| Narges Mohammadi | |
| Reiseland Iran | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Hassan Rohani | |
| Wahlen im Iran | |
| Verhältnis Iran - Israel | |
| Sigmar Gabriel | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Schwerpunkt Iran | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Auf Entdeckungstour in Irans Hauptstadt: Kleine Fluchten in Teheran | |
| Viele Iranreisende geben der iranischen Hauptstadt keine richtige Chance. | |
| Dabei gibt es in der Millionenstadt eine Menge zu entdecken. | |
| UN-Bericht zur Todesstrafe im Iran: 530 Menschen im Jahr hingerichtet | |
| 2016 hat der Iran mindestens 530 Menschen hingerichtet. Kein anderes Land | |
| hat im vergangenen Jahrzehnt so viele Minderjährige töten lassen. | |
| US-Kongress verlängert Sanktionen: Iran sieht Verstoß gegen Atom-Deal | |
| Der US-Kongress hat beschlosssen, die Sanktionen gegen den Iran zu | |
| verlängern. Das verletze das Abkommen über das iranische Atomprogramm, | |
| heißt es aus Teheran. | |
| Gesetzentwurf von US-Abgeordneten: Mögliche Sanktionen gegen Iran | |
| Trotz des Atomabkommens mit dem Iran stimmt das US-Repräsentantenhaus einen | |
| Entwurf für die Option auf Sanktionen zu. | |
| Kolumne Liebeserklärung: Martin Schulz for Bundeskanzler | |
| Ein trockener Alkoholiker im Amt? Schulz’ Erfahrung als Trinker hat | |
| immenses politisches Gewicht. Das hätte Vorteile auf diplomatischem | |
| Parkett. | |
| Wirtschaftsminister im Iran abgeblitzt: Keine Lust auf Gabriel | |
| Der iranische Parlamentspräsident lässt den deutschen Vizekanzler sitzen. | |
| Der spricht hinterher von einem Wahlkampfmanöver. | |
| Laridschani sagt Treffen in Teheran ab: Affront gegen Gabriel | |
| Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wollte zum Abschluss seiner | |
| Iran-Reise den Parlamentspräsidenten treffen. Der hat plötzlich keine Lust | |
| mehr. | |
| Wirtschaftsminister fliegt nach Teheran: Gabriel will Iran-Geschäft ankurbeln | |
| Trotz des Endes der Atom-Sanktionen kommt der Handel mit dem Iran noch | |
| nicht in die Gänge. Der Vizekanzler will das ändern. | |
| Wirtschaftsverhandlungen mit dem Iran: Deckung für Teheran | |
| Die Bundesregierung würde gern für Exporte in den Iran bürgen und so den | |
| Erfolg des Atomabkommens absichern. Doch es gibt noch alte Schulden. | |
| Omid Nouripour zu Repressionen im Iran: „Nicht zur Tagesordnung übergehen“ | |
| Die Hinrichtungszahlen im Iran steigen. Der Grüne Außenpolitiker Omid | |
| Nouripour fordert deshalb einen neuen Menschenrechtsdialog mit dem Regime. |