| # taz.de -- Schau im Berliner Martin-Gropius-Bau: Was die Briten über uns denk… | |
| > Wieder eine Schau über die deutsche Geschichte? Ja. Aber „Deutschland – | |
| > Erinnerungen einer Nation“ findet einen neuen, sehr britischen Ansatz. | |
| Bild: Der Blick der Queen sagt schon mal ziemlich viel | |
| Wir stehen am Ende, und müssen zum Anfang. Kurator Barry Cook läuft eilends | |
| einmal quer durch die Schau. Die Zeit ist begrenzt, in einer Stunde wollen | |
| sie hier zumachen. Keine Zeit zu verlieren: Mr Cook, erklären Sie uns, was | |
| Sie hier gemacht haben. | |
| Wir stehen am Anfang, doch der beginnt mit dem Ende. Zwischen historischen | |
| Landkarten aus dem 16. und 17. Jahrhundert hängt ein Plakat. Es zeigt | |
| Deutschland in Schwarz-Rot-Gold und den heute gültigen Grenzen von 1989. | |
| Dazu die Aufschrift „Wir sind ein Volk“. Nicht sehr aufregend. Oder doch? | |
| Die Briten, sagt Barry Cook, hätten niemals ein Problem mit ihren Grenzen | |
| gehabt, schließlich ist das Vereinigte Königreich von Wasser umgeben, das | |
| Ausmaß der Inseln ist unabänderlich. Nähere man sich Deutschland, sei | |
| augenfällig, wie sich die Grenzen ständig verschoben, bis es sein jetziges | |
| Format endlich gefunden hat. Da ist er schon, der britische Blick. Nach dem | |
| sensationellen Erfolg von „Germany: memories of a nation“ vor zwei Jahren | |
| ist die Ausstellung über die Deutschen nun bei den Protagonisten der Schau | |
| selbst angekommen, ein paar Meter nur von der früheren Mauer entfernt. Mit | |
| dem Fall dieses Ungetüms endet sie auch, mit dem Buchdruck im 15. | |
| Jahrhundert beginnt sie. | |
| Cook ist ein kleiner, rundlicher Herr mit ergrautem Haar. Am British Museum | |
| ist er eigentlich als Kurator für Münzen aus dem Mittelalter und der frühen | |
| Neuzeit tätig. Doch Cook ist, so viel wird nach wenigen Metern des | |
| Rundgangs klar, alles andere als ein kleinlicher Münzsammler. Er zählt eher | |
| zur seltenen Spezies des Universalgelehrten, einer, der den Blick fürs | |
| Ganze auch bei 200 ausgestellten Objekten nicht verliert. | |
| So ganz hat der Kurator nicht von seinem Spezialfeld lassen können. Da | |
| sehen wir die Umrisse Großbritanniens und Deutschlands um 1700. Ein | |
| einziges goldenes Geldstück steht für das einheitliche Münzsystem der | |
| Insel. 200 verschiedene repräsentieren die Zerrissenheit Deutschlands in | |
| viele kleine Fürstentümer. Deutschland ist, anders als das zentralistische | |
| Großbritannien, erst seit historisch kurzer Zeit ein einheitliches | |
| politisches und wirtschaftliches Gebilde. | |
| ## Caspar David Friedrich im Schnee | |
| Als Nächstes bleiben wir an der Abteilung mit dem Titel „Nicht mehr | |
| deutsch“ hängen. Dort wird Deutschland erneut anhand seiner Ränder | |
| zusammengefügt. Cook weiß über jedes Objekt Erstaunliches zu erzählen: von | |
| den Golddukaten der Hansestädte, dem rot leuchtenden bernsteinenen | |
| Spielbrett aus Ostpreußen, Hans Holbeins Schale von 1535/36. Cook bedauert, | |
| dass ein Stück aus der Londoner Schau in Berlin nicht hierhergelangen | |
| konnte: die berühmte Straßburger Zimmeruhr aus dem British Museum. Sie gilt | |
| als nicht transportabel. | |
| Etwa drei Viertel der Ausstellungsobjekte waren bereits in London zu sehen. | |
| Viele stammen aus dem gewaltigen Fundus des British Museum. Der Rest kommt | |
| aus halb Europa. Manche der Londoner Objekte, so Cook, seien in Berlin | |
| durch noch bessere ersetzt worden. | |
| Und weiter geht es. Da hängt ein Bild von Caspar David Friedrich – Fichten | |
| im Schnee. Barry Cook spricht über die Bedeutung des Waldes für die | |
| Deutschen. Großbritannien verfügt kaum über größere Waldstücke. Was macht | |
| kulturelles Erbe aus? Cook verweist auf die Landschaften, in der die | |
| Menschen aufwachsen. Da ist er wieder, der Blick von außen. | |
| Cook ist nach 1989 zum ersten Mal in Deutschland gewesen. Inzwischen kennt | |
| der Ausstellungsmacher das Land besser als so mancher seiner Ureinwohner. | |
| Dann ein Bild der Fugger-Hauptstadt Augsburg, dieser frühen | |
| Welthandelsmetropole. Oder eine Zeichnung des deutschen „Ruhmestempels“ | |
| Walhalla. Schließlich landen wir bei dem Zweispitz, den einst Napoleon I. | |
| auf dem Kopf getragen und den ihn Blücher abgenommen hat. Die | |
| Reichseinigung ist erreicht, selten war ein Gang durch die deutsche | |
| Geschichte vergnüglicher. | |
| ## Weimar gibt es 3 Mal | |
| Nun betreten wir den größten Raum der Schau mit dem Titel „Made in | |
| Germany“. Was die Deutschen für großartige Beiträge zur europäischen und | |
| zur Weltkultur beigetragen haben, ist hier repräsentativ versammelt, von | |
| der Schedelschen Weltchronik mit deren über 1.000 Abbildungen von 1493 über | |
| ein gewaltiges Nashorn aus Porzellan aus Meißner Produktion bis zum | |
| originalen grauen VW Käfer mit Brezelscheiben im Heck. | |
| Einem Ort aber begegnen wir im Martin-Gropis-Bau gleich mehrmals: Weimar. | |
| Und zwar in Gestalt von Goethe (auf dem Gemälde, liegend in der Campagne), | |
| dem Bauhaus mit der 1922 entworfenen Kinderwiege – sowie dem KZ Buchenwald. | |
| Die metallene Tür mit der infamen Aufschrift „Jedem das Seine“ steht mitten | |
| im Raum, mit den Buchstaben geformt im Bauhaus-Stil von dem Gefangenen | |
| Franz Ehrlich. Was es aber hier nicht zu sehen gibt, ist ein Bild von Adolf | |
| Hitler. „Niemand hat sich in London beklagt, wir hätten zu wenig Hitler“, | |
| sagt Cook dazu. | |
| Das Finale: Ein hölzerner Leiterwagen steht für die Vertreibungen, ein | |
| Modell der ersten neu errichteten Synagoge von 1955 für die Kontinuität | |
| jüdischen Lebens. Zwei scheinbar unspektakuläre Objekte. Doch symbolisieren | |
| sie die Bandbreite der ersten Jahre nach dem Krieg. Wer Irrgärten mag, kann | |
| sich im Stasi-Modell des Bahnhofs Friedrichstraße mit seiner | |
| Grenzabfertigung verlaufen. Das Pathos der Wiedervereinigung schrumpft in | |
| einem Zettel des Finanzamts für Körperschaftsteuern über die Auszahlung des | |
| Begrüßungsgelds zusammen. | |
| Und dann: Der Schwebende von Ernst Barlach, der im Ersten Weltkrieg zum | |
| Pazifisten geworden war, dessen Skulptur von den Nazis eingeschmolzen wurde | |
| und der nun, dank der erhaltenen Gussform, 1987 wieder aufgestiegen ist. Da | |
| schwebt er und verweist auf ein offenes Ende der deutschen Geschichte und | |
| Kultur – und auf die Tür zum Ausgang dieser bemerkenswerten Ausstellung. | |
| Vielen Dank, Mr Cook! | |
| 7 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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