Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Das ICC und die Flüchtlinge: Stille Verzweiflung, amtlich verwaltet
> In der neuen Anlaufstelle für Flüchtlinge klappt vieles besser als früher
> – vor allem das Wartemanagement. Aber nicht alles läuft so glatt wie
> gewünscht. Ein Besuch.
Bild: Ausgeklügeltes Wartesystem: Überall im ICC weisen leicht verständliche…
Sie geben sich sichtlich Mühe. Schon im Eingangsbereich des ICC weisen
mehrsprachige Schilder darauf hin, in welche Schlange man sich einsortieren
soll. Links unter dem Piktogramm „rote Karte“ – dem Symbol für Flüchtli…
in den ersten drei Monaten ihres Asylverfahrens – warten an diesem
Vormittag etwa 100 Menschen geduldig zwischen den Drängelgittern. In der
Mitte – unter „blaue Karte“ für Menschen, die schon länger Asylbewerber
sind – stehen nicht einmal zehn und rechts beim Schild „ohne Termin“ etwa
20. Ein halbes Dutzend Sicherheitsleute in orangen Warnwesten überwacht den
Vorraum und geleitet dann und wann einen Schwung Wartender in die
Schalterhalle.
„Merken Sie, wie ruhig es hier ist?“, fragt Detlef Wagner. Der
ICC-Objektleiter ist sichtlich stolz auf die neue „Wartesituation“. Kein
Vergleich sei das mit den Zuständen in der Turmstraße vor einem Jahr.
Damals machte das Lageso bundesweit Schlagzeilen: Hunderte Flüchtlinge
standen schon in der Nacht am Lageso an, um am nächsten Tag vorsprechen zu
können – oft vergeblich.
„So haben wir viel Vertrauen verspielt“, gibt Wagner zu. Doch dies gewinne
man langsam zurück: Die Menschen kämen inzwischen erst ab fünf Uhr morgens,
um sich anzustellen. Der Vorraum zum ICC, wo man im Trockenen warten kann,
öffne ab sechs Uhr, ab sieben die Schalterhalle. Dort könne im Laufe des
Tages jeder vorsprechen, der kommt. Bis zu 1.400 „Fälle“ bearbeite man
jeden Tag, so Wagner: 800 mit Termin, etwa 600 ohne. Rund ein Drittel der
Anliegen – „alles, was nicht die Akte erfordert“ – könne sofort im ICC
erledigt werden: wenn man etwa seinen Berlin-Pass verloren habe oder die
Kostenübernahme für die Unterkunft verlängern müsse. Alle anderen würden im
Laufe des Tages mit Bussen in die Turmstraße gebracht.
Also alles in Ordnung beim neuen Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten
(LAF), das im August die Nachfolge von Deutschlands bekanntester
Chaosbehörde angetreten hat? Dass sich die Wartezeiten verkürzt haben,
bestätigen auch Flüchtlinge: „Zwei, drei Stunden warte ich meistens hier,
dann noch zwei, drei in der Turmstraße“, sagt etwa Omar, ein junger Mann
aus Afghanistan, der unter dem Piktogramm „rosa Bus“ auf seinen Transfer
nach Moabit wartet. Warum er nun aber zweimal warten muss, erschließe sich
ihm nicht.
## Vorteile des Bussing
Flüchtlingsorganisationen wie „Moabit hilft“ kritisieren, im ICC würden d…
Flüchtlinge nur vor der Öffentlichkeit „versteckt“, damit es keine
Chaosbilder mehr gibt. Die Probleme aber seien die gleichen, vor allem
bekämen viele nicht die ihnen zustehenden Leistungen. Beim LAF sieht man
das natürlich anders: Das ICC sei zum einen ideal wegen seiner
„komfortablen Wartebereiche“, wie Objektmanager Wagner sagt. Zudem würde
man ja die Turmstraße entlasten, indem viele Fälle hier bearbeitet würden.
Und drittens habe auch das Bussing seine Vorteile: Bis man in der
Turmstraße angekommen sei, „haben sie dort die Akte gezogen und einen
Dolmetscher bereitgestellt“.
Doch bei einem entscheidenden Problem kann die Behörde den Menschen in der
Tat kaum helfen: der Unterbringung. Viele Flüchtlinge leben seit Monaten,
manche sogar ein Jahr und länger in Notunterkünften, auf engstem Raum, ohne
Privatsphäre und Kochmöglichkeit. Dabei haben sie laut Gesetz das Recht,
nach sechs Monaten in eine Unterkunft zu wechseln, die all dies bieten
sollte.
Und so hört man nun reihenweise Geschichten wie diese: „Wir müssen
unbedingt umziehen, meine Kinder, Zwillinge von sechs Monaten, sind nur
krank“, sagt ein im ICC wartender Afghane. Er lebe mit seiner Familie seit
elf Monaten in der Mertensstraße – eine besonders umstrittene
Großnotunterkunft in Spandau. „Ich weiß auch von freien Plätzen in einem
anderen Heim“, behauptet er – doch das LAF schicke ihn immer wieder weg.
## Zu wenig „adäquate“ Heimplätze
„Jeder Wunsch nach Verlegung wird sofort geprüft“, erwidert Bea Nass vom
Sozialdienst im ICC. Aber es gebe leider zu wenige „adäquate“
Unterbringungsmöglichkeiten, sodass freie Plätze derzeit nur an „besondere
Härtefälle“ gegeben werden könnten.
Wie verzweifelt die Lage für manche Betroffenen ist, mag folgende
Begebenheit illustrieren. Just in dem Moment, als ICC-Objektleiter Wagner
und LAF-Sprecher Sascha Langenbach der Journalistin die Vorzüge des neuen
Wartemanagements erklären, schlägt zehn Meter weiter an einem Schalter ein
Mann seinen Kopf auf den marmornen Tresen. Sicherheitsleute und Sanitäter
eilen herbei, es wird nach einem Notarzt gerufen, um den Verletzten werden
Stellwände postiert. „Ausgerechnet jetzt, wo Sie da sind“, seufzt Wagner.
Derlei sei seit der Eröffnung des ICC im Mai noch nie vorgekommen.
Langenbach, der kurz mit Mitarbeitern gesprochen hat, kommt mit der
Information zurück, der Mann sei Iraner und in Bayern gemeldet, habe aber
einen Bruder in Berlin. Auf dem Weg hierher sei er beim Schwarzfahren
erwischt worden und habe nun vom Amt das Geld haben wollen. Die
Selbstverletzung kommentiert der LAF-Sprecher lapidar: „Dem hat wohl die
Antwort nicht gepasst.“
Zwei Afghanen, die hinter dem Mann in der Schlange standen, erzählen die
Geschichte später so: Der Mann aus Iran habe um Verlegung aus seiner
Notunterkunft gebeten, weil er einen verletzten, schmerzenden Arm habe.
Doch die Mitarbeiterin habe erklärt, dass sie ihm nicht helfen könne.
13 Oct 2016
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Lageso
Flüchtlinge
ICC
Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
Lageso
Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
Notunterkunft Tempelhof
Flüchtlinge
Flüchtlingspolitik
Flüchtlinge
Lageso
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vom Lageso zum LAF: Die neue Willkommenskultur
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, einst Lageso, ist umgezogen.
Nun soll alles besser werden. Ein Ortsbesuch.
Flucht und Asyl: Bereit für ein neues Leben
Nouralla Sharro aus Syrien wartet seit über einem Jahr auf die
Entscheidung, ob er Asyl bekommt. Die Angst und das erzwungene Nichtstun
machen ihn mürbe.
Flüchtlinge in Berliner Notunterkunft: Stillgelegt auf dem Flughafen
Seit einem Jahr leben Flüchtlinge in den Hangars des ehemaligen Flughafen
Tempelhof. Für viele ist die Notunterkunft zur Dauerwohnstätte geworden.
Container-Unterkunft für Flüchtlinge: Küche, aber kein Platz zum Kochen
Die ersten so genannten Tempohomes werden derzeit in
Berlin-Marzahn-Hellersdorf bezogen. Ein Besuch in der Container-Siedlung.
Umgang mit Flüchtlingen in Berlin: Die im Dunkeln sieht man nicht
Die Situation am neuen Landesamt für Flüchtlinge sei katastrophal,
kritisieren die Betreiber von Heimen. Schlimm sei auch die Lage in
Notunterkünften.
Flüchtlinge in Berlin: „Eine neue Form von Apartheid“
Noch immer leben zehntausende Flüchtlinge in Massenunterkünften. Diana
Henniges von „Moabit hilft“ fordert viel mehr neue Sozialwohnungen.
Ein Jahr Lageso-Krise in Berlin: Flüchtige Hilfe
Ein Jahr nach Beginn der Lageso-Krise läuft die Registrierung der
Geflüchteten besser. Dafür kämpfen sie mit vielen anderen Problemen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.