# taz.de -- NSU-Prozess am OLG München: Zschäpe schweigt und schweigt | |
> Die Angeklagte Beate Zschäpe lässt im NSU-Prozess ihren Verteidiger | |
> sprechen. Fragen der Opfer-Familien will sie gar nicht beantworten. | |
Bild: Wie eine Wand. Beate Zschäpe nutzt ausgiebig das Recht zu schweigen | |
MÜNCHEN taz | Die Familien der NSU-Opfer hatten noch einmal gehofft. Viele | |
ihrer Fragen sind, trotz dreieinhalb Jahren Prozess in München, bis heute | |
offen. Die drängendste: Warum ermordeten die Rechtsterroristen gerade | |
meinen Mann, meinen Vater, meine Tochter? Nun wollte sich Beate Zschäpe am | |
Mittwoch doch noch zu den Fragen der Angehörigen positionieren. | |
Im Juli hatten die Opfer-Anwälte rund 300 Fragen an Zschäpe gestellt, über | |
Stunden dauerte die Verlesung. Wer waren Helfer an den Tatorten? Gibt es | |
weitere Taten? Existieren noch versteckte Gelddepots? | |
Am Mittag nun greift Zschäpes Anwalt Mathias Grasel zum Mikro. Kurz | |
beantwortet er noch offene Detailfragen des Mitangeklagten Carsten S., dann | |
verliest er fast nebenbei im Namen Zschäpes: „Die Fragen der Nebenklage | |
beantworte ich nicht.“ | |
Es ist Zschäpes Recht zu schweigen – aber viele der Familien werden diesen | |
Satz als Affront aufnehmen. Im Dezember, als sich Zschäpe nach jahrelangem | |
Schweigen das erste Mal im Prozess einließ, hatte sie noch erklärt, sie | |
entschuldige sich „aufrichtig bei allen Opfern und Angehörigen der Opfer | |
der von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangenen Straftaten“. Schon damals | |
aber kündigte sie an: Die Fragen der Angehörigen werde sie nicht | |
beantworten, nur die des Gerichts. Und: Die zehn Morde und zwei Anschläge | |
des NSU gingen alle auf das Konto von Mundlos und Böhnhardt. Sie habe immer | |
erst im Nachhinein davon erfahren und diese verurteilt. | |
Am Nachmittag ist es Mehmet Daimagüler, Anwalt der Nürnberger Opferfamilien | |
von Abdurrahim Özüdoğru und Ismail Yaşar, der nachhakt. Seine Mandantin | |
überlege, persönlich anzureisen und Zschäpe ihre Fragen zu stellen. „Würd… | |
Sie diese dann auch nicht beantworten?“ Zschäpes Anwalt Grasel zögert nicht | |
lange. „Das gilt auch für die Nebenkläger persönlich.“ Eine kühle, form… | |
Abfuhr. Zschäpe verzieht dabei keine Miene. | |
## Entschuldigung ohne Erklärung ist keine | |
„Was ist unter diesen Umständen eine Entschuldigung wert?“, fragt | |
Daimagüler später. „Frau Zschäpe hat das Recht zu schweigen. Meine | |
Mandanten haben das Recht, ihre Entschuldigung nicht anzunehmen.“ | |
Auch Sebastian Scharmer, Anwalt der Tochter des in Dortmund erschossenen | |
Mehmet Kubasik, sagt: „Wir haben alles versucht.“ Zschäpe habe die Chance | |
gehabt, ihre „nicht ansatzweise glaubhafte“ Aussage zu korrigieren und doch | |
noch für Aufklärung zu sorgen. Dies zu verweigern, so Scharmer, „auch das | |
ist ein Statement“. | |
Den NSU-Prozess indes könnte die Haltung Zschäpes nun beschleunigen. In den | |
vergangenen Monaten hatte sich ein zähes Ping-Pong-Spiel mit den Richtern | |
entwickelt. Nach Zschäpes erster Aussage beantwortete sie Nachfragen erst | |
nach wochenlanger Beratung mit ihren Anwälten – und immer nur schriftlich. | |
Ergaben sich daraus neue Fragen, dauerte es wieder Wochen. Der Prozess | |
verzögerte sich weiter und weiter. | |
## Letzte Chance auf Fragen | |
Inzwischen hat der Senat die Prozesstermine vorsorglich bis September 2017 | |
verlängert. Und ganz ist das Frage-Antwort-Prozedere nicht vorbei. Denn | |
Zschäpes Anwalt Grasel sagte am Mittwoch auch: Sollten die Richter Fragen | |
der Opferanwälte übernehme, werde Zschäpe diese doch beantworten. Ob der | |
Senat dies tut, ließ er vorerst offen. | |
Einige der Nebenkläger haben längst resigniert. Thomas Bliwier, Vertreter | |
der Familie des in Kassel ermordeten Halit Yozgat, stellte schon im Juli | |
keine Frage an Zschäpe mehr. „Sie ist offenkundig in keiner Weise bereit, | |
den Sachverhalt aufzuklären“, so Bliwier. „Die Konsequenzen wird sie tragen | |
müssen.“ | |
Der Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann unternimmt am Nachmittag dagegen | |
noch einen Versuch. Er beantragt, einen Brief Zschäpes im Prozess verlesen | |
zu lassen, den diese 2013 aus der U-Haft an Robin S. schrieb, einen | |
befreundeten und damals ebenfalls inhaftierten Neonazi aus Dortmund. In dem | |
Schreiben gibt sich Zschäpe selbstbewusst. An einer Stelle beklagt sie, | |
dass ihr im Gefängnis wiederholt Antidepressiva angeboten wurden. Dabei | |
gehe es ihr gut. Und „ums Verrecken willen“ würde sie niemanden dort in ihr | |
Innenleben blicken lassen. | |
Diese Äußerungen zeigen für Hoffmann, wie willensstark Zschäpe tatsächlich | |
sei und dass sie sich keinesfalls so leicht unterordne – wie sie es laut | |
eigener Aussage angeblich bei Mundlos und Böhnhardt tat. Darauf entbrennt | |
im Gerichtssaal ein Streit. Zschäpes Alt-Anwalt Wolfgang Stahl unterbricht | |
die Antragsverlesung: Der Brief betreffe „Höchstprivates“ der Angeklagten | |
und habe im Verfahren nichts zu suchen. Auch der Verteidiger des | |
Mitangeklagten Ralf Wohlleben springt Zschäpe bei. | |
Am Ende schließt das Gericht für die Diskussion die Öffentlichkeit aus und | |
lässt die Besucherempore räumen – erst zum zweiten Mal in der | |
dreieinhalbjährigen Verhandlung. Der Streit geht danach indes weiter. Die | |
Verteidigung versuche das Gericht „aufs Glatteis zu führen“, moniert ein | |
Nebenkläger. Von dort wird zurückgekoffert: Solche Unterstellungen seien | |
eine „Frechheit“. Am Ende vertagt Richter Manfred Götzl die Entscheidung | |
über den Briefantrag. Eine aber hat die Diskussion plötzlich wieder | |
aufgeweckt verfolgt: Beate Zschäpe. | |
14 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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