# taz.de -- Ausstellung zu Ernst Ludwig Kirchner: Der Künstler als Marke | |
> In Berlin ist der Ernst-Ludwig-Kirchner-Bestand der Neuen Nationalgalerie | |
> zu sehen. Die Ausstellung lenkt den Blick auf seine „Hieroglyphen“. | |
Bild: Ernst Ludwig Kirchners „Badende am Strand“ (Ausschnitt) | |
Unter die Expressionisten eingeordnet zu werden, gefiel ihm nicht. Ernst | |
Ludwig Kirchner, den die Kunstgeschichte heute als Star unter den deutschen | |
Expressionisten führt, ärgerte sich 1924 über den Kunsthistoriker Georg | |
Schmidt, obwohl dieser seine Malerei verteidigt hatte, allerdings mit | |
diesem Begriff. | |
Kirchner schrieb ihm: „Wenn ein Fabrikant einer Ware einen Titel oder eine | |
Marke gegeben hat und dieselbe gut eingeführt ist, wird er sich gegen Jeden | |
wehren, der ihr plötzlich einen anderen und noch dazu einen gemeinen | |
herabsetzenden geben will, nicht wahr. Nun, die Fabrikmarke meiner Kunst | |
ist E. L. Kirchner und nichts weiter.“ | |
Das erzählt Fritz Krämer im Katalog der Ausstellung „Ernst Ludwig Kirchner. | |
Hieroglyphen“, die im Hamburger Bahnhof in Berlin der Marke Kirchner einen | |
ungewohnten Soloauftritt beschert. In ihrem Zentrum stehen 17 Gemälde von | |
Kirchner, die im Besitz der Neuen Nationalgalerie sind, ergänzt um | |
Zeichnungen und Fotografien. Das Haus der Neuen Nationalgalerie wird zur | |
Zeit saniert; im Hamburger Bahnhof hat sie währenddessen Gelegenheit, ein | |
Fenster in ihre Sammlung offen zu halten, in das sie mit Kirchner nun einen | |
ihrer Schätze legt. | |
Kirchners Bild „Potsdamer Platz“ ist so oft reproduziert als Chiffre für | |
Urbanität, frühe Moderne, Erotik, Expressionismus, dass unbefangenes Sehen | |
kaum noch möglich ist. Davon ausgehend wollte Joachim Jäger, Kurator der | |
Ausstellung, einen Versuch starten, den Blick auf Kirchners Leistungen der | |
Transformation, der Umformungen, der Erarbeitung von zeichenhaften | |
Verkürzungen zu lenken, die dieser selbst mit dem Begriff der „Hieroglyphe“ | |
beschrieb. | |
## Sängerin am Piano | |
In den späten Bildern, die im allgemeinen Bildgedächtnis weniger präsent | |
sind, sind die Reduktionen auf farbige Flächen, der Verzicht auf Raum, am | |
einfachsten erkennbar. Ganz flach gemalt sind die Figuren der „Sängerin am | |
Piano“ (1930), die Gesichter sparsam akzentuiert. Aber das Muster dicker, | |
paralleler Striche, das die Tasten des Klaviers und die Finger der | |
Pianistin waagerecht bilden, wiederholt sich in der Senkrechten, als wolle | |
es die aufsteigenden Töne markieren. | |
In eine Fläche ohne Perspektive gekippt sind auch Wand und Boden im Bild | |
„Max Liebermann in seinem Atelier“, das in viele parallel laufende Bänder | |
gegliedert ist. Vom sogenannten Teppichstil schreibt hier die | |
Kunstgeschichte, auch weil man um Kirchners reges Interesse für Ornamente | |
auf Teppichen weiß. | |
In Davos, wohin er sich nach einem Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg | |
zurückgezogen hatte, arbeitete er auch mit einer Weberin zusammen, Lise | |
Gujer. Ihre gemeinsame Chaiselonguedecke „Alpaufzug“ (1926), die Tiere und | |
Menschen symmetrisch geordnet aufsteigen lässt, ist ausgestellt. | |
Blickt man von den älteren Arbeiten zurück auf die aus Kirchners Zeit in | |
Berlin, fallen auch hier die Vereinfachungen mehr auf, von menschlichen | |
Figuren und Tieren, von Bäumen oder selbst vom Meer. Allein diese Stilkunde | |
wäre nicht besonders aufregend, wäre sie nicht von vielen Fotografien aus | |
Kirchners Ateliers begleitet, die klein und oft nicht sorgsam entwickelt, | |
doch eine große Ahnung von der Selbstinszenierung des Künstlers geben. | |
Da sieht man in volle und überdekorierte Räume, mit Wandbehängen, Batiken | |
und selbst geschnitzten Hockern, die afrikanische Kunst zitieren, mit | |
orientalischen Teppichen, japanischen Wandschirmen und schließlich auch mit | |
Stücken aus Schweizer Bauernstuben. Dies ist nicht nur eine gegen das Außen | |
abgedichtete Welt, die intime Höhlen und Altäre schafft, sondern auch Ort | |
einer engen Verflechtung von gefundenen und selbst geschaffenen Zeichen. | |
## Nicht an Ruhm interessiert | |
Das Interesse, ja die Begeisterung Kirchners für fremde Kulturen, die er in | |
den Völkerkunde-Museen in Berlin und Dresden gesehen hatte und in | |
Publikationen, konzentrierte sich auf deren Ästhetik und abstrahierte vom | |
weiteren Kontext. Der Blick schien allein auf die Kunst gerichtet. So sah | |
sich Kirchner auch gerne selbst, als allein für die Kunst rastlos | |
Schaffender, nicht an Ruhm und Geld interessiert. | |
Der französische Autor Louis de Marsalle, von dem ein Aufsatz voll des | |
schwärmerischen Lobes für diesen außerordentlichen Kirchner in einer | |
Vitrine liegt, trug zu diesem Bild bei. Dass der Autor eine Erfindung von | |
Kirchner war, wurde erst Jahre nach dessen Tod entdeckt. | |
Heute erscheint Kirchners Arbeit am eigenen Mythos fast wie ein Vorgriff | |
auf Strategien, die erst ein halbes Jahrhundert später, mit der Reflexion | |
von Markt und Betrieb, vermehrt auftauchten. Diese Karte spielt die | |
Ausstellung allerdings nicht. Aber integriert in die Ausstellung ist die | |
Arbeit von Rudolf Stingel, einem in New York lebenden Maler, der nach | |
Kirchners Fotografien große, dunkle Gemälde geschaffen hat. | |
Sie transportieren das weit in die Zeit Zurückfallende der alten, | |
lichtschwachen Glasnegative, betonen mit halb verdeckenden Eingriffen in | |
die Selbstporträts das Fragende, Ungewisse, Rätselhafte, das trotz aller | |
zur Schau gestellten Exzentrik bleibt. | |
3 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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