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# taz.de -- Franz-Marc-Ausstellung in Berlin: Wer fängt die blauen Pferde?
> Das Bild „Der Turm der blauen Pferde“ ist seit 80 Jahren verschollen. Nun
> fragen 20 Künstler nach seinem Verbleib – und wer's findet, darf's
> behalten!
Bild: Eine der Arbeiten für die Ausstellung „Vermisst. Der Turm der blauen P…
Irgendwann sagt Katja Blomberg vom Haus am Waldsee den wohl
sensationellsten Satz des Tages: „Es würde dem gehören, der es hat“, sagt
sie auf die Frage, was passieren würde, wenn das Bild „Der Turm der blauen
Pferde“ wider Erwarten doch noch auftauchen würde. Der Finder des
Ölgemäldes mit den blau durchleuchteten und dramatisch gestaffelten
Pferdeleibern vom Münchener Kultmaler Franz Marc – der im Ersten Weltkrieg
starb – könnte sich freuen. Das Bild, eines der Hauptwerke der
Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, wäre sicher eines der wertvollsten
der Welt.
Im Augenblick jedoch ist der „Turm“ nur eines der sagenumwobensten: 1913
gemalt, kaufte es 1919 die Berliner Nationalgalerie. 1937 wurde es
beschlagnahmt, kam nach wenigen Tagen in der Münchener Ausstellung
„Entartete Kunst“ in ein Depot nach Berlin zurück – und wurde dort wohl …
NS-Politiker Hermann Göring vereinnahmt. Danach verschwand es.
Was, wenn das berühmte Gemälde verschleppt wurde, in einem Schweizer
Banksafe liegt, wie es um die Jahrtausendwende herum einmal durch die
Medien ging? Was, wenn es tatsächlich noch einmal 1948/49 vom Berliner
Journalisten Joachim Nawrocki gesichtet worden ist? Im Haus der Jugend
direkt neben dem Haus am Wannsee, wie er behauptet hat, wo damals junge
Pfadfinder ein- und ausgingen? Was, wenn es von diesen im Garten hinterm
Haus verbrannt wurde?
Mit all diesen Annahmen und Legenden um das Gemälde, die 80 Jahre nach
seinem Verschwinden noch immer gären, setzen sich nun 20 zeitgenössische
Künstler im Haus am Waldsee auseinander: In der Ausstellung „Vermisst. Der
Turm der blauen Pferde von Franz Marc“, die dort bis zum Juni zu sehen ist.
Das Haus am Waldsee ist prädestiniert für diese Schau, denn hier, in der
ehemaligen Reichsfilmkammer, will Reichskunstwart Edwin Redslob den „Turm“
1945 noch einmal gesehen haben.
Eine der Kernfragen, die die Künstler mit den Mitteln der Fotografie,
Malerei, Zeichnung, Bildhauerei, Installation und Literatur stellen, ist
die: Was macht es mit einem Bild, wenn es nur noch als Verlust, nur noch
virtuell vorhanden ist? Via Lewandowsky etwa hat ein ausgestopftes Pferd in
den großen Hauptausstellungsraum gestellt, durchbohrt von vier Pfeilen. Es
ist nur noch ein totes Objekt, aber trotzdem wirkt es sehr präsent. So, als
wollte es fragen: Wie würden wir den „Turm der blauen Pferde“ heute sehen?
Wäre das Bild so präsent wie in unserer Vorstellung?
## Gleichgültiges Nachkriegsdeutschland
Eine andere, fast noch interessantere Frage ist die: Warum reagierte die
deutsche Nachkriegsgesellschaft derart gleichgültig auf Gerüchte wie die
erwähnten? Warum soll beispielsweise der damalige Direktor der
Nationalgalerie nur einen Mitarbeiter ins Haus der Jugend zu den
Pfadfindern geschickt haben – und wie kann es sein, dass dieser nach einer
halben Stunde wieder abzog?
So versucht die Künstlerin Johanna Diehl, dem Verdrängten der deutschen
Nachkriegsgeschichte auf den Grund zu gehen. Ledereinbände hat sie gerahmt
und in vier Reihen nebeneinander gehängt – von Tagebüchern, die in ihrer
Familie 70 Jahre lang geführt worden sind. Die etwa 50 Bilder wirken
ziemlich leer.
Oder Künstler Martin Assig: Eines seiner ornamentalen Gemälde zeigt kleine
Pferdekörper mit Sprechblasen, darin Wörter wie „hauchen“, „murmeln“ …
„nuscheln“. Es geht um gestörte Kommunikation.
## Vielleicht in Zehlendorf
Katja Blomberg, die diese Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Staatlichen
Graphischen Sammlung München kuratiert hat – wo es eine Parallelausstellung
zum „Turm“ geben wird –, sagt am Ende übrigens noch etwas Erstaunliches:
„Vielleicht“, mutmaßt sie, „hängt das Bild ja noch in irgendeiner
Zehlendorfer Villa.“
Und dann, mit kokettem Lächeln: „Außerdem wird hier nächstes Jahr saniert.
Mehr muss ich wohl nicht sagen …“
Auf diese Art werden die Fantasien, die dieses Bild bis heute produziert,
nicht so schnell versiegen.
3 Mar 2017
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Beutekunst
Expressionismus
Schwerpunkt Nationalsozialismus
zeitgenössische Kunst
Ausstellung
Expressionismus
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