# taz.de -- Flüchtlingslager auf Chios: Zum Warten verdammt | |
> Die Lager auf der griechischen Insel Chios sind völlig überfüllt. Nichts | |
> als Mangel und Langeweile. Die Menschen sitzen fest. | |
Bild: Zelt an Zelt bei quälender Hitze: das Lager Souda auf der Insel Chios | |
Chios taz | Langsam steigt die knallrote Sonne am Horizont auf. Ein | |
weiterer Tag beginnt auf der griechischen Insel Chios. Mohammad sitzt am | |
Wasser, das leise gegen die Steine am Ufer schwappt. Vor zehn Tagen kam der | |
24-Jährige mit fünf Freunden in einem Schlauchboot auf Chios an und lebt | |
seitdem im Camp Souda, das von der Gemeinde Chios betrieben wird. „Ja, wir | |
wussten von dem EU-Türkei-Abkommen und dass Menschen zurückgeschickt | |
werden“, sagt er leise. Aber was blieb einem übrig. | |
Knapp 500 Menschen sind bisher aus Griechenland in die Türkei | |
zurückgebracht worden. Die letzte „Rückführung“ war am Mittwoch. Mohammad | |
seufzt. Der Krieg hat auch ihn, der in Hama ein Zahnmedizinstudium | |
absolvierte, nach Europa vertrieben. Nun sitzt er hier auf der Insel und | |
wartet. Mohammad lässt seinen Blick in die Ferne schweifen. In leichtem | |
Grau zeichnet sich das türkische Festland ab. Etwa 15 Kilometer ist der | |
Landkreis Izmir, der am nächsten gelegene Zipfel der Türkei, von der | |
griechischen Insel Chios entfernt. Hunderttausende Menschen riskierten im | |
letzten Jahr auf dieser und anderen Strecken von der Türkei nach Europa ihr | |
Leben. | |
Im März sollte die illegale Einreise dann durch den EU-Türkei-Deal | |
eingedämmt werden: Alle, die nach dem 20. März illegal nach Griechenland | |
gekommen sind, werden in die Türkei zurückgebracht, sollte ihr Asylantrag | |
abgelehnt werden. Zwar kommen, seitdem der Deal in Kraft ist, viel weniger | |
Menschen auf den Inseln an. Doch diejenigen, die bereits da sind, werden | |
nicht mehr nach Athen weitergelassen, sondern müssen – wegen einer | |
potenziellen Abschiebung – bis zum Urteil über ihren Asylantrag ausharren. | |
Mohammad hat in Vial, dem ehemaligen Hotspot, der nach dem EU-Türkei-Deal | |
zum Internierungslager mutierte, Asyl beantragt. | |
Das Camp wird vom griechischen Militär und der Polizei betrieben. | |
Eigentlich ist vorgesehen, dass Neuankömmlinge bis zu 25 Tage in dem Camp | |
bleiben sollen. In dieser Zeit werden Herkunft und potenzieller Status der | |
Flüchtlinge von den Behörden geprüft. Doch die Camps sind längst überfüll… | |
Etwa 3.500 Flüchtlinge und Migranten leben momentan auf Chios – die | |
Kapazitäten sind für etwa 1.100 Menschen vorgesehen. Längst wird nicht mehr | |
kontrolliert, wer von den Flüchtlingen das Camp Vial vorzeitig verlässt. | |
## Kaum Obst und Gemüse | |
Vial ist von hohen Zäunen mit Stacheldraht umringt. „Man hält uns am Leben | |
– mehr nicht“, sagt ein Mann Mitte 40, der an den Zaun gelehnt steht. Er | |
kommt aus Syrien. Seinen Namen möchte er nicht nennen. Seit fast fünf | |
Monaten lebt er hier. Ja, die Container seien gut ausgestattet, sogar mit | |
Klimaanlage. Doch es gibt keine Informationen, wie lange man noch warten | |
müsse. „Das macht einen fertig“, so der Mann. Die Ärzte der Welt | |
bestätigen, dass das Krankheitsbild Depression in den letzten Monaten stark | |
angestiegen ist. Es habe schon mehrere Selbstmordversuche gegeben. Man | |
arbeite eng mit dem lokalen Krankenhaus zusammen, um den Menschen eine | |
Behandlung zu ermöglichen. | |
Es gebe kaum Obst und Gemüse, berichtet der Mann weiter. Er mache sich | |
Sorgen um seine Kinder. Manche der Flüchtlinge holten sich aus Verzweiflung | |
Obst und Gemüse von den umliegenden Feldern, teilweise sogar aus fremden | |
Kühlschränken. Im Camp kommt es öfters zu Auseinandersetzungen zwischen den | |
Flüchtlingen. Die Anspannung und Erschöpfung ist groß. „Die | |
unkontrollierbare Stimmung bringt die Bevölkerung immer stärker gegen die | |
Flüchtlinge auf“, sagt Vassilis Pachoundakis. | |
Er arbeitet im inoffiziellen Camp Di.Pe.The als Freiwilliger der | |
amerikanischen Hilfsorganisation Samaritans Purse. Die ehemaligen | |
Theaterräume im Zentrum von Chios-Stadt wurden den Menschen hier vorerst | |
überlassen, denn die anderen Camps haben kaum mehr Platz. „Ich mache mir | |
große Sorgen, dass die Faschisten hier weiter Aufschwung bekommen“, so der | |
43-Jährige. Im April wurde er selbst von ihnen angegriffen und | |
zusammengeschlagen, weil er den Flüchtlingen hilft. | |
Bis vor kurzem hat Pachoundakis, der sich als Anarchist bezeichnet, als | |
freier Helfer gearbeitet. Doch nur noch offiziell registrierte HelferInnen | |
bekommen Informationen und Zutritt in die Camps. Profit wolle er nicht aus | |
seiner Tätigkeit für die NGO ziehen. Von seinen 1.000 Euro Monatsgehalt | |
gibt er rund die Hälfte an die Flüchtlinge im Lager ab. | |
8 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Theodora Mavropoulos | |
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