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# taz.de -- Gewalt gegen Kurden in der Türkei: Blutiger Anschlag auf Hochzeits…
> Die Bombe explodierte mitten in der Festgesellschaft: Während einer
> Hochzeitsfeier in Gaziantep wurden mehr als 50 Menschen getötet.
Bild: Nach der Explosion: abgesperrte Straße in Gaziantep
ISTANBUL taz | Es sollte der Tag ihres Lebens werden. Eine große kurdische
Hochzeit mitten im kurdischen Viertel von Gaziantep. Hunderte Besucher
waren da. Der Höhepunkt der Hochzeit, der traditionelle Umzug der Braut von
der Wohnung ihrer Eltern zur Wohnung des Bräutigams, war gerade im Gange.
Nicht nur Braut und Bräutigam, alle Besucher der Hochzeit befanden sich auf
der Straße, als gegen 23 Uhr die Detonation einer Bombe das Fest in blanken
Horror verwandelte.
Mitten in der Menge ging die Bombe hoch, vermutlich ein Selbstmordattentat,
es gibt aber auch Zeugen, die zwei Männer gesehen haben wollen, die einen
Kinderwagen abstellten und sich dann schnell entfernten. Am Sonntagmittag
gab der Gouverneur von Gaziantep bekannt, es seien die Überreste einer
Selbstmordweste gefunden worden.
In den engen Gassen des Viertels entwickelte die Explosion eine besondere
Wucht. Reporter der großen türkischen Medien zeigten am Sonntagmorgen die
Schrapnell-Einschläge der Bombe, die Löcher in Hauswänden und selbst in
eisernen Haustüren hinterlassen hat.
Zeugen berichteten von blutigen Leichenteilen auf den Straßen, dazwischen
mindestens einhundert zum Teil schwer verletzte Menschen. Bis Sonntagmittag
zählten die Sicherheitskräfte 51 Tote. Nach einem Bericht der Tageszeitung
Hürriyet wurde auch das Brautpaar verletzt, überlebte aber den Anschlag.
## Ein gezieltes Attentat auf HDP-Anhänger?
Beide Familien stammen ursprünglich aus der Kleinstadt Siirt, deren
Bevölkerung gemischt kurdisch und arabisch ist. Deshalb gab es zunächst
Spekulationen über den ethnischen Hintergrund des Brautpaares und der
Hochzeitsgäste.
Die kurdisch-linke HDP teilte dann aber noch in der Nacht mit, dass die
Familie des Bräutigams aktiv in der Partei mitgearbeitet und es sich um
eine kurdische Hochzeit gehandelt habe. Das legt den Schluss nahe, dass mit
dem Attentat gezielt HDP-Anhänger getroffen werden sollten.
Das Attentat reiht sich damit ein in die Serie von Anschlägen im letzten
Jahr, als erst in Diyarbakır im Mai, dann in Suruç im Juli und zuletzt im
Oktober während einer großen Friedensdemo der HDP in Ankara jeweils
HDP-Anhänger zum Ziel von Selbstmordanschlägen wurden. Für alle diese
Anschläge machten die Sicherheitskräfte türkische Anhänger des IS
verantwortlich.
Auch jetzt sagte Präsident Recep Tayyip Erdoğan, wahrscheinlich sei der IS
auch in Gaziantep für den Anschlag verantwortlich. Wie schon bei anderen
Gelegenheiten nannte Erdoğan den IS, die PKK, und die Gülen-Anhänger
allesamt als eine Front, die die Türkei zerstören und entlang ethnischer
oder religiöser Linien spalten wolle.
Der Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, brachte noch eine weitere
Vermutung in Umlauf. Man sollte prüfen, sagte Demirtaş im Sender IMC, ob
dieser Anschlag nicht eine Verlängerung des Putsches vom 15. Juli sei, also
ob die Drahtzieher des Anschlags auch Anhänger der Gülen-Bewegung sind.
Ausführende des Attentats könnten demnach schon türkische IS-Anhänger sein,
aber für die Sicherheitslücken beim Geheimdienst und der Polizei, durch die
die Anschläge auf HDP-Anhänger möglich wurden, könnten Gülen-Anhänger in
den Institutionen verantwortlich gewesen sein. „Sie wollen uns in einen
Bürgerkrieg treiben“, vermutete Demirtaş, „alle Parteien sollten sich
zusammensetzen und beraten, wie das verhindert werden kann“.
## Der Krieg hat in Gaziantep die Grenze längst überschritten
Es gibt aber auch genügend Anhaltspunkte dafür, dass der IS ganz ohne
Beeinflussung durch die Gülen-Bewegung als Urheber des Anschlags auf die
Hochzeitsgesellschaft verantwortlich ist. Aus Sicht des IS kämpfen die
Kurden in Syrien und in der Türkei zusammen. Erst vor wenigen Tagen hat der
IS gegen Kämpfer der syrischen Kurden in Manbidsch, einer Stadt in Syrien
auf halber Strecke zwischen der IS-Hochburg Rakka und der türkischen
Grenze, eine schwere Niederlage erlitten. Es liegt nahe, das Attentat als
Rache für Manbidsch zu sehen.
Auch der Ort Gaziantep legt den Verdacht auf eine IS-Täterschaft nahe. Wohl
nirgendwo sonst in der Türkei gibt es so viele Kämpfer aus dem syrischen
Bürgerkrieg wie in Gaziantep. Die Millionenstadt an der Grenze zu Syrien
ist einer der Hauptrückzugsorte für Kämpfer aller Coleur, die in Syrien
gegen das Assad-Regime aktiv sind.
Dazu gehören nicht nur Angehörige der „Freien Syrischen Armee“, sondern
auch Islamisten aller Gruppierungen. Es ist kein Geheimnis, dass auch der
IS in Gaziantep aktiv ist. Geflüchtete IS-kritische syrische Journalisten
sind in Gaziantep im letzten Jahr vom IS ermordet worden, der Krieg hat in
dieser Region die Grenze längst überschritten.
Dieser Artikel wurde aktualisiert um 16.20 Uhr.
21 Aug 2016
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
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Suruç
„Islamischer Staat“ (IS)
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