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# taz.de -- Bloggende Aktivisten Lejeune und Phillips: Aber sie nennen sich Jou…
> Sie wähnen sich im Kampf für die Wahrheit, dabei betreiben sie
> Propaganda. Zwei „Lügenpresse“-Rufer – die selbst welche produzieren.
Bild: Unterstützen Terrorgruppen und Autokraten: Martin Lejeune und Graham Phi…
Als Graham Phillips und sein Kollege Billy Six Anfang August in das Büro
des Recherchekollektivs Correctiv eindringen, planen sie nichts Geringeres,
als die „Goebbels-artige Propaganda-Agentur“ der „notorischen Lüge“ zu
überführen. Phillips filmt seinen Besuch und stellt das Video später auf
Youtube. Er will den Reporter Marcus Bensmann sprechen, der allerdings
nicht im Büro ist. Bensmann hat im vergangenen Jahr zusammen mit einem
Kollegen zum Absturz des Malaysia-Airlines-Flug MH17 recherchiert und kam
zu dem Schluss, dass das Flugzeug von russischen Offizieren abgeschossen
worden sei. Für ihre Arbeit waren sie für den renommierten Nannen-Preis
nominiert, doch Phillips ist sich sicher: Correctiv lügt.
Phillips beschreibt sich als „völlig unabhängigen und objektiven
Journalisten“. Der Brite, der bis 2014 für den russischen Kanal Russia
Today arbeitete, ist Autor von über 4.000 Videos, bloggt auf seiner
Internetseite „The Truth Speaker“ und berichtet auf seinem Youtube-Kanal
für fast 75.000 Abonnenten.
Wer sich eine Weile mit Phillips beschäftigt, merkt schnell: Unabhängig und
objektiv ist er bei Weitem nicht. Er hofiert Putin und hat eigene
Briefmarken mit den „Helden der Volksrepubliken Donezk und Lugansk“
herausgegeben. Phillips ist kein Journalist, er ist Aktivist. Nur: Der
Begriff „Journalist“ ist nicht geschützt. Jeder, der schreibt, sendet,
bloggt, twittert, kann sich Journalist nennen.
Das führt dazu, dass sich Leute als Journalisten verkaufen, die von
Sorgfaltspflicht und journalistischem Handwerk, vom Zwei-Quellen-Prinzip
und ausgewogener Berichterstattung nicht viel halten. Gerade in Kriegs- und
Krisengebieten, wo Schwarz und Weiß oft nur schwer auseinanderzuhalten
sind, werden sie zu Einzelkämpfern. Sie haben keine große Zeitung oder
einen Sender hinter sich, der ihren Fans, die das Vertrauen in etablierte
Medien verloren haben, dubios erscheinen könnte. Ihr Erfolgsrezept heißt
Personalisierung. Auffällig ist: Sie alle beanspruchen für sich „die
Wahrheit“.
## Lob für Hamas und Erdoğan
Einer von ihnen ist auch Martin Lejeune. Am Anfang sah er aus wie ein Held:
Als Israel im Sommer 2014 Gaza bombardiert, berichtet der damals 34-jährige
Berliner als einer von wenigen Journalisten direkt aus Gaza. Mehrere
Zeitungen druckten seine Texte, darunter auch die taz. Nach einer Weile
stellte sich heraus: Lejeune ist Pro-Hamas-Aktivist.
In einem Blogpost verteidigt er die Hinrichtungen im Gazastreifen, nennt
sie „sozial verträglich“. Der Post löste eine Debatte aus, er wird
gelöscht. Redaktionen, für die er arbeitet, beenden die Zusammenarbeit mit
Lejeune, heute schreibt er nach eigenen Aussagen für türkische und
arabische Medien. „Ich stehe nach wie vor hinter diesem Post“, sagt
Lejeune, der sich auch immer wieder antisemitisch geäußert hat. Die Hamas,
die die EU und die USA als Terrororganisation listen, sei für ihn eine
„Volkswiderstandbewegung“, „eine ganz normale politische Partei im
palästinensischen Parlament“.
In diesem Sommer kämpft der mittlerweile zum Islam konvertierte Lejeune
seinen Kampf um die Wahrheit in der Türkei. „Ich zolle R.T.E. [Recep Tayyip
Erdoğan, Anm. d. Red.] meinen tiefsten Respekt. Er ist der weltweite
Beschützer der Muslime. Die Türkei ist die letzte Bastion der muslimischen
Welt“, twittert er am 6. August, gut zwei Wochen nach dem Putschversuch in
der Türkei.
Die „Säuberungen“ des türkischen Präsidenten sind da in vollem Gange: Die
angeblichen Putschisten wurden gefoltert, Lehrer und Richter entlassen,
Dutzende Journalisten festgenommen. Darüber verliert Lejeune kaum ein Wort
in seinen Tweets und Facebook-Einträgen. „Ich habe ein Grundvertrauen in
die türkische Justiz und in den türkischen Rechtsstaat“, sagt er dazu. Wenn
die entschieden, dass Journalisten festgenommen werden müssten, dann liegen
gegen die Festgenommenen wohl zu verfolgende Straftaten vor, so Lejeune.
## Selfie-Journalismus
Auch Lejeune beschreibt sich als „objektiven Journalisten“. Die deutschen
Medien betrieben eine „ekelhafte Desinformations-Kampagne“ (Facebook-Post).
„Sie sind darum bemüht, Diskurse gegen die Türkei zu entwickeln und zu
provozieren“, sagt er dem türkischen Fernsehsender TRT Deutsch.
Das Misstrauen gegen die etablierten Medien beschert Leuten wie Phillips
und Lejeune eine große Fan-Gemeinde. Über die sozialen Netzwerke erreichen
sie Tausende. Ihre Beiträge werden Hunderte Male gelikt und geteilt.
Phillips und Lejeune senden über Youtube und Facebook, filmen und
fotografieren sich mitten im Kampf, neben den Mächtigen.
Im April veröffentlichte Lejeune ein Foto von sich neben dem sudanesischen
Diktator Umar al-Baschir, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
Völkermord gesucht wird. Ein Mann, wie Lejeune sagt, „der große Visionen
für sein Land hat“. Das Interview, das Lejeune mit Baschir geführt hat, ist
bislang nirgends erschienen. Er findet keine Abnehmer, sagt er. Das
Facebook-Foto ist eines von vielen: Lejeune neben Politikern der türkischen
Regierungspartei AKP, neben türkischen „Kriegshelden“ oder vor dem
türkischen Präsidentenpalast. Sein Journalismus ist eine Art
„Selfie-Journalismus“. Die Botschaft: „Seht her, ich bin ganz nah dran an
den Mächtigen!“
Solche Bilder schaffen Glaubwürdigkeit. Deswegen drucken auch der Spiegel
und die Zeit Fotos von ihren Reportern neben den Interviewten.
## Das Motto heißt „Ich gegen die“
Lejeune sagt, er schreibe für türkische und arabische Medien. Fragen
danach, wie er seine Arbeit finanziert, weicht er aus. Auf Facebook gibt er
an, er arbeite bei „Flying Stone“, seinem Blog, das er weniger pflegt als
seine Facebook- und Twitterprofile, auf dem er aber um Spenden bittet. Dass
er sie bekommt, darauf deutet ein Tweet vom August hin: „Vielen Dank an die
Unterstützer aus der Community, ohne deren großartige Hilfe meine Arbeit
nicht möglich wäre“, schreibt er zu einem Bild, das ihn in einer offenbar
türkischen Teerunde zeigt.
Auch Phillips war im Kampf. Nach dem Sieg der Maidan-Bewegung im April 2014
machte er sich auf den Weg in die Ostukraine, um über die dort
ausgebrochenen Kämpfe zu berichten. Den ukrainischen Behörden war der für
das russische Fernsehen arbeitende Brite, der sich in seiner
Berichterstattung deutlich für die Aufständischen positionierte, bald ein
Dorn im Auge. Mehrfach war er vorübergehend festgenommen worden.
Im Juli 2014 folgte die Ausweisung, verbunden mit einer dreijährigen
Einreisesperre. Sein früherer Auftraggeber, Russia Today, hat sich 2014 von
Graham getrennt. Seitdem berichtet er in den sozialen Netzwerken. Nach wie
vor hält auch er mit seiner Verehrung für einen Autokraten nicht hinterm
Berg. Auf seiner Internetseite stehen zahlreiche wenig kritische
Putin-Porträts, daneben die passende Zitate des von ihm so verehrten
russischen Präsidenten: „Wir sind stärker als alle anderen, weil wir recht
haben. Wenn ein Russe spürt, was richtig ist, ist er unbesiegbar.“
Es ist genau diese Einstellung, die Phillips und Lejeune in einigen Kreisen
Glaubwürdigkeit schenkt: ich gegen die.
In einer Zeit, in der politische und gesellschaftliche Debatten so
aufgeheizt sind, kommen Menschen, die scheinbar einfache Wahrheiten
verkaufen, gut an. So gut, dass sie für ihre Anhänger zu Quasiheiligen
werden: „Martin Luther King“, kommentiert ein Lejeune-Fan auf dessen
Facebook-Seite.
27 Aug 2016
## AUTOREN
Bernhard Clasen
Anne Fromm
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Martin Lejeune
Correctiv
Schwerpunkt Russia Today
Billy Six
Junge Freiheit
Presserecht
Correctiv
Schwerpunkt Pegida
Flug MH17
Correctiv
Martin Lejeune
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