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# taz.de -- Sportmediziner über Doping bei Olympia: „Erwischt werden die arm…
> Dass Russland das schlimmste Doping betreibe, sei sehr unwahrscheinlich,
> sagt Perikles Simon. Im Westen stünden Athleten genauso unter Druck.
Bild: Das Ben-Johnson-Prinzip: Einer muss herhalten, alle anderen werden schon …
taz: Herr Simon, schauen Sie sich eigentlich die Olympischen Spiele im
Fernsehen an?
Perikles Simon: Ein bisschen werde ich schon aus beruflichen Gründen
schauen. Beim 100-Meter-Finale etwa interessieren mich die Zeiten und wie
sie zustande kommen. Meistens sind sie ja viel schneller als sonst unter
dem Jahr. Und mich interessiert der technische Bereich.
Was meinen Sie damit genau?
Bei den 100-Meter-Finals der letzten 20 Jahre sind die Athleten immer
schlanker geworden. Sie sind vielleicht nicht mehr mit anabolen Steroiden
gedopt. Es stellt sich dann aber die Frage: Wie schaffen sie es, trotzdem
schneller zu laufen als der Kanadier Ben Johnson in Seoul 1988. Es ist
auch interessant, in welchen Phasen so ein Rennen besonders schnell ist
oder wie erschöpft die Läufer durchs Ziel kommen.
Kann man Sie sich wie einen Trainer vorstellen, der sich so einen Lauf
mehrmals am Fernseher vor- und zurückspult?
Ja, genau. Interessant sind auch die technischen Umstellungen beim
Schwimmsport, wo sich der Armzug in den letzten 15 Jahren verändert hat.
Man fragt sich: Warum sind die nicht schon in den achtziger Jahren auf die
Idee gekommen, viel glatter durchzuziehen und nicht den lächerlichen Umweg,
diesen S-Zug im Wasser, zu machen. Aber ein Schultergelenk muss erst einmal
in der Lage sein, eine solche Belastung zu verkraften. Warum ist das jetzt
möglich und früher nicht?
Doping würde man jetzt doch wohl vermuten.
Das muss man nicht immer so assoziieren. Aber ich hoffe in Rio auf eine
gute Berichterstattung, die solche technischen Aspekte mit im Blick hat und
diskutiert. Ich hoffe, dass Leistung nicht nur hochgejubelt, sondern
analysiert wird, wie sie zustande kommt.
Das wäre neu.
In der Vergangenheit wurde immer versucht, Emotionen zu transportieren und
rein auf der emotionalen Ebene diese Events zu begleiten. Das kann man bei
Rock- und Popkonzerten gern machen, aber in der gegenwärtigen Lage des
Leistungssports nicht.
Bei den Spielen in London haben Sie bereits von voraussichtlich 60 Prozent
gedopten Athleten gesprochen, jüngst nun von den gedoptesten Spielen aller
Zeiten, die uns in Rio erwarten.
Mit meiner Aussage beziehe ich mich nicht auf den Prozentsatz der Doper.
Der hat sich vielleicht in den letzten 20 Jahren nicht groß verändert. Es
geht um das System. Wenn Leichtathletik-Top-Funktionäre russische
Dopingproben unter den Tisch kehren und sich dafür auch noch bezahlen
lassen, ist ein neues Level erreicht.
Der Antidopingkampf scheint nach dem aufgedeckten systemischen Doping in
Russland vor einer neuen Herausforderung zu stehen?
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Russland das schlimmste Doping betreibt.
Das beweisen auch Untersuchungen, die uns der Leichtathletikweltverband als
Auftraggeber verbietet zu veröffentlichen. Bei der WM in Daegu 2011 haben
30 Prozent der Athleten bekannt, schon manipuliert zu haben.
Warum steht Russland aber nun allein im Fokus?
Das war über investigativen Journalismus möglich. In unserem System, ob das
Deutschland oder England ist, können Sie Doping in so einer einfachen Form
des Journalismus über einzelne Whistleblower nicht offenlegen. Da müssen
Sie mit staatlichen Maßnahmen ran.
Ist systemisches Doping nicht schlimmer als individuell organisiertes?
Der Athlet in der westlichen Sphäre steht genauso unter Druck. Es wäre
lächerlich zu sagen, er hätte eine freie Entscheidung.
Wie unterscheiden sich die beiden Formen des Betrugs?
Es wird in der westlichen Hemisphäre sicherlich deutlich vorsichtiger und
mit Hightechdoping agiert. Den Russen ist auch zum Verhängnis geworden,
dass sie geglaubt haben, sie könnten noch alte Ladenhüter wie Anabolika
einsetzen. Aber warum diskutiert man nicht, weshalb Deutsche und Engländer
es eigentlich schaffen konnten, diese Athleten aus dem Dopingsystem
Russlands immer wieder zu schlagen.
Das wird auch in Rio so sein.
Ich befürchte, wenn es in Rio russische Athleten aufs Treppchen schaffen,
dass sie dann auch ausgebuht werden. Die Zeit ist noch nicht reif für die
Erkenntnis, dass wir ein flächendeckendes Problem haben.
Der IOC hat diese Woche angekündigt, das Antidopingsystem auf völlig neue
Füße zu stellen. Glauben Sie an fundamentale Veränderungen?
Allein die Art und Weise, wie mit dem Staatsdoping in Russland bislang
umgegangen wird, zeigt, dass es keine Erneuerung geben wird. Die
Schuldfrage wird immer noch individualisiert. Ich sehe nicht, dass Russland
international zu Veränderungen genötigt wird.
Waren Sie für einen Kollektivausschluss Russlands?
Ich hätte andere Sanktionsmodelle bevorzugt. Man könnte ja in den nächsten
Jahren Großsportevents in Russland nicht mehr ausrichten. Es ist ein
System, das hinter dem Doping steht, aber das System wird nicht bestraft.
Wie ist das zu erklären?
Ich nenne es das Ben-Johnson-Prinzip. Es muss einer herhalten in der
Hoffnung, alle anderen werden jetzt vernünftig. Aber die registrieren, dass
man die Enttarnungsmöglichkeiten ohnehin nur in homöopathischer Dosis
einsetzt, bei der Tour de France zwei Epo-Proben nimmt, wo man 150 Fahrer
auf einen Schlag hätte überführen können. Der Nichtdoper denkt sich, was
gibt es für einen Grund, nicht zu dopen. Nur die armen Trottel werden
erwischt. Das ist unser Antidopingsystem. Antidoping fördert massiv Doping.
5 Aug 2016
## AUTOREN
Johannes Kopp
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