# taz.de -- Wana Limar über Leben in Deutschland: „Ein gutes Mädchen sein“ | |
> MTV-Moderatorin Wana Limar flüchtete als Kind von Kabul nach Hamburg. Sie | |
> ist jedes Mal verblüfft, wenn ihr jemand Komplimente für ihr Deutsch | |
> macht. | |
Bild: Wana Limar: „Wenn Leute sehen, dass man sowohl zu Schminke als auch zu … | |
taz: Frau Limar, was denken Sie, wenn Sie jemand „Vorzeigemigrantin“ nennt? | |
Wana Limar: Dieses Konzept halte ich für absolut diskriminierend und | |
rückständig, weil der Begriff im Grunde nichts anderes ist als eine | |
Beleidigung in Form von positivem Rassismus – wenn auch ungewollt. | |
„Vorzeigemigrant_in“ impliziert ja, dass es Migrant_innen in der Regel zu | |
nichts bringen. Andersrum wird der Erfolg einer nicht „urdeutschen“ Person | |
oft auf den Migrationshintergrund reduziert. Wie kann es sein, dass 2016 in | |
einer aufgeklärten Gesellschaft mit jahrzehntelanger Migrationsgeschichte | |
immer noch zwischen „Deutschen“ und „Migrant_innen“ unterschieden wird … | |
nicht einfach die Rede von „Mensch“ ist? | |
Erleben Sie oft positiven Rassismus? | |
Ja, immer wieder, wenn ich auf Leute oder Kreise treffe, die nicht | |
sonderlich viel mit Migrationshintergründlern zu tun haben. Ich habe | |
neulich erst ein Gespräch mit einem Freund aus Frankreich geführt, in dem | |
er mir erzählte, dass er mich in seinem französischen Freundeskreis in | |
Diskussionen bezüglich des Flüchtlingsstroms und der damit | |
„zusammenhängenden Terrorgefahr“ oft als positives Beispiel von Migration | |
aufführt. Ich musste lachen und gleichzeitig den Kopf schütteln – dann | |
erklärte ich ihm, wie rassistisch das Ganze ist. Ich höre auch immer wieder | |
Sätze wie „Du sprichst aber gut Deutsch“. Der ist unter Ausländern so ein | |
Running Gag. Im Jahre 2016 erwartet man so eine Haltung nicht mehr. Ich bin | |
jedes Mal verblüfft, wenn mir jemand Komplimente für mein Deutsch | |
ausspricht. Ich weiß dann immer nicht, ob das ernst gemeint ist. | |
Gab es ein diskriminierendes Ereignis, das Ihnen besonders im Gedächtnis | |
blieb? | |
Kein spezielles oder gewalttätiges, Gott sei Dank, aber definitiv bin ich | |
mein Leben lang jeglicher Form von Alltagsrassismus ausgesetzt. Von | |
Beleidigungen in der Schule oder auf der Straße als „Kanake“, „Paki“, … | |
„Scheiß Moslem“ bis hin zu älteren Herrschaften, die an der Schlange ihre | |
Tasche festhalten. Aber auch auf Wohnungssuche, wo man das Gefühl hat, sich | |
als „guter Ausländer“ beweisen zu müssen. | |
Sie sind MTV-Moderatorin und engagieren sich gleichzeitig für | |
Bildungsprojekte in Afghanistan sowie gegen Diskriminierung von Roma. | |
Lifestyle und Politik – wie passt das zusammen? | |
Indem ich Lifestyle-Themen behandle, spreche ich automatisch über Dinge, | |
die mein Leben unweigerlich betreffen. Eine politische Haltung zu beziehen | |
sowie sich sozial zu engagieren, gehört zu einem guten Stil für mich – | |
ebenso wie Mode. Mit der Zeit habe ich auch gemerkt, dass sich | |
dementsprechend beides gut vereinbaren lässt. Die Bestätigung von außen | |
habe ich dann auch bekommen. In der Regel setzen sich nicht viele | |
Blogger_innen oder Instagramer für etwas ein oder bekennen Haltung. Aber | |
wenn Leute sehen, dass man sowohl zu Schminke als auch zu Rassismus was zu | |
sagen hat, motiviert das. Am Ende des Tages bin ich dabei auch einfach nur | |
ich selbst. Ich würde mich verstellen, wenn ich eine der beiden Seiten | |
nicht ausleben würde. | |
Werden Sie manchmal unterschätzt? | |
Ja, doch es ist nicht so, dass mir das ständig gesagt wird. Es gab aber | |
immer wieder Situationen, die darauf schließen ließen. Ich glaube, dass | |
Leute, wenn sie zurechtgemachte Frauen sehen, schnell Schubladen aufmachen, | |
siehe vorherige Frage. (lacht) Das erlebt man überraschenderweise vor allem | |
in der Modeszene. Wenn man da nicht einen gewissen Stil an den Tag legt, | |
denken viele schnell, du hast nichts drauf. Vor allem in Berlin habe ich | |
die Erfahrung gemacht, dass anfangs die wenigsten Interesse hatten, mich | |
kennenzulernen oder mich spannend fanden, weil ich wahrscheinlich zu | |
„normal“ und nicht cool genug gekleidet war und zu viel Lipgloss getragen | |
habe. | |
Woran liegt das? | |
In Deutschland werden Menschen, die so aussehen, als hätten sie sich viel | |
mit ihrem Aussehen beschäftigt, als Tussis abgestempelt, die nichts drauf | |
haben. Erst als meine Videos dann gezeigt haben, dass ich offensichtlich | |
nicht ganz so doof bin und Humor habe, veränderten sich die Leute. Man geht | |
hier auch sehr sparsam mit Komplimenten um, vor allem Frauen untereinander. | |
Das kenne ich aus der afghanischen beziehungsweise orientalischen Kultur | |
nicht, ja sogar in den Staaten ist das nicht so, da machen sich Frauen | |
unfassbar viele Komplimente. Da spricht man eine wildfremde Frau auf der | |
Straße an und sagt ihr, wie toll sie aussieht. Und das ist normal. Diese | |
Offenheit fehlt mir hier manchmal. | |
Wie vielfältig ist Ihr Umfeld? | |
In Deutschland gibt es ein Repräsentanzproblem, wenn es um die Vielfalt von | |
Frauen geht. In der Mode, in den Medien und grundsätzlich in der | |
Öffentlichkeit sieht man zu wenig People of Color. Auch in meinem Bereich | |
gibt es wenige Moderatorinnen, die einen Migrationshintergrund haben. Da | |
fallen mir auf die Schnelle nur Palina Rojinski und Hadnet Tesfai ein, | |
dafür aber zig „Urdeutsche“. Ich würde mir viel mehr Vielfalt wünschen. | |
Eine Freundin von mir ist dunkelhäutig und arbeitet als Model. Die kann | |
ihre Karriere in Deutschland vergessen. Allgemein eifert man in der | |
westlichen Welt, trotz jahrzehntelanger Migration und durchmischtem | |
Stadtbild, noch immer einem sehr weißen Schönheitsideal nach. Aber ich | |
denke, Deutschland hinkt da im Vergleich schon auch hinterher. Fernsehen, | |
Film und Presse hier sind definitiv noch sehr weiß. | |
Wo läuft es besser? | |
Ohne mich mit diesem Thema intensiv auseinandergesetzt zu haben, ist es ja | |
offensichtlich, dass man in Amerika oder Großbritannien zum Beispiel auch | |
schwarze Nachrichtensprecher sieht. Es gibt zwar in beiden Ländern immer | |
noch massive Rassismusprobleme und enorme Diskriminierung, das sieht man | |
vor allem an der politischen Lage, dennoch herrscht im Bezug auf die Medien | |
und Entertainmentbranche vergleichsweise viel mehr Diversität. | |
Mir haben während des Aufwachsens als Migrantin in Deutschland immer Idole | |
in der Öffentlichkeit gefehlt; Frauen mit einem ähnlichen Hintergrund, an | |
denen ich mich zum Beispiel beruflich hätte orientieren können. Wie war das | |
bei Ihnen? | |
Ich hatte keine konkreten Idole, aber ganz unweigerlich hatten meine Eltern | |
natürlich eine Vorbildfunktion für mich, und in meiner Situation war es so, | |
dass sie mir durch ihre aufopferungsvolle Fürsorge und Liebe vorgelebt | |
haben, meine Mitmenschen gut zu behandeln. Von meinem Vater und meinem | |
Bruder habe ich auch mein politisches und soziales Interesse. Ich hab früh | |
gelernt, was es bedeutet, „anständig“ und „kultiviert“ zu handeln, und… | |
das ist wohl sehr afghanisch – ein „good girl“ zu sein. | |
Was macht so ein „good girl“ genau aus? | |
Auf Dari ist oft die Rede von „Dokhtare khub“ oder „Bache khub“, also | |
„gutes Mädchen“, „guter Junge“. Das bedeutet erst mal ganz allgemein, | |
respektvoll mit seinen Eltern umzugehen, eine gute Beziehung zu seiner | |
Familie zu pflegen, im Haushalt anzupacken und fleißig in der Schule zu | |
sein. Neben guten Noten bedeutet dies vor allem, respektvoll und höflich | |
seinen Lehrern gegenüber aufzutreten – überhaupt ist es in der afghanischen | |
Kultur sehr wichtig, sich besonders gegenüber Autoritätspersonen sowie | |
Älteren kultiviert auszudrücken und zu verhalten. Das äußert sich zum | |
Beispiel auch darin, dass man seine Eltern und andere Ältere nicht duzt, | |
sondern siezt. Familienzusammenhalt wird sehr groß geschrieben, jemand, der | |
sich sehr um seine Familie sorgt, wird sehr geschätzt und als „dokhtare“ | |
oder „bache khub“ bezeichnet. | |
Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Arbeit etwas verändern können? | |
Viele Nachrichten, die ich von jungen Mädels erhalte, zeigen mir, dass ich | |
unweigerlich für viele ein Vorbild darstelle, da sie sich durch mich | |
repräsentiert sehen und ermutigt werden, einen ähnlichen Weg einzuschlagen. | |
Der Weg in die Öffentlichkeit hat sich für mich ergeben, ohne dass ich das | |
konkret beabsichtigt hatte. Ich weiß aber um die Möglichkeit und die | |
Verantwortung, die sich durch meine Position ergeben. Deshalb versuche ich | |
auch immer wieder, meinen afghanischen Background bis zu einem gewissen | |
Grad in meine Arbeit mit einfließen zu lassen. Ich möchte die kulturelle | |
Vielfalt, die hierzulande herrscht, nicht nur für all jene thematisieren, | |
die sich sonst nicht repräsentiert fühlen, sondern insbesondere für all | |
diejenigen, die sonst mit anderen Kulturen nicht großartig in Berührung | |
kommen, einen Zugang und einen Einblick darin gewähren. | |
Wie lassen Sie Ihren Background einfließen? | |
Naja, zum Beispiel so: indem ich durch dieses Interview oder auch andere | |
ein Stück afghanische Kultur preisgebe. In meinen MTV-Style-Videos habe ich | |
– zum Beispiel in meinem Video „Wie sich Deutsche schminken vs. wie sich | |
Afghanen schminken“ – mit Klischees gespielt und kulturelle Unterschiede | |
persifliert. Ich lasse aber auch immer wieder Teile afghanischer Kultur in | |
die Interviews einfließen, in dem ich beispielsweise das afghanische | |
Erfrischungsgetränk „dogh“ mit meinem Interviewgast zubereitet habe. | |
18 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Osia Katsidou | |
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