# taz.de -- Biografie einer Entwicklungshelferin: Das Tagebuch der Dschungel-Ba… | |
> Malaria, Rebellen, Riesenspinnen: Mit ihren Klischees von Afrika ist eine | |
> Schottin aufgeflogen. Sambier fordern jetzt ein Verbot ihres Buches. | |
Bild: Immer wenn ihr Smartphone-Akku leer ist, denkt Louise Linton an das Coca-… | |
Schüsse hallen durch den Busch von Sambia. Gelten sie etwa Louise Linton? | |
Eigentlich hatte die blonde Schottin den weißen Wohlstand hinter sich | |
gelassen, um den „Ärmsten der Welt zu helfen“. Doch rebellische Milizen, | |
„Malariaseuchen“, „Löwen, Elefanten und Krokodile“ haben ihren wohlfei… | |
Vorsatz in einen „Albtraum“ verwandelt, schreibt Linton heute über ihr | |
Austauschjahr in Sambia Ende der 90er. | |
Ihre Erlebnisse als 18-jährige Entwicklungshelferin hat die Autorin jetzt | |
in ihren Memoiren „Im Schatten Kongos. Die gefährliche Reise eines Mädchens | |
in das Herz Afrikas“ veröffentlicht. Darin zeichnet sie das Bild eines | |
düsteren und bedrohlichen Sambia, voll von „metergroßen Riesenspinnen“, | |
besetzt von blutrünstigen Paramilitärs, die Linton das Fürchten lehrten: | |
„Was würden sie tun mit dem dünnen weißen Muzungu Mädchen mit langem | |
Engelshaar?“. | |
Was Linton aber in ihrem schriftstellerischen Eifer vergaß: Der Auszug | |
ihres Werkes, der vor kurzem [1][im Telegraph erschien], wurde auch in | |
Sambia gelesen. Denn auch im Schatten Kongos gibt es Internet, Twitter, | |
Facebook und, nun ja, eben keinen Dschungel, sondern hauptsächlich | |
Savannen. Genauso erstaunt sind Metereologen von einer angeblichen | |
„Monsun-Zeit im Busch“. Und auch der Einmarsch kongolesischer Rebellen, von | |
dem sie schreibt, ist historisch so korrekt wie das Dschungelbuch. | |
Die Reaktionen in den sozialen Medien kamen abrupt: Menschen aus dem ganzen | |
Kontinent kritisierten Linton als „White Savior Girl“, die ein verzerrtes | |
und herabsetzendes Bild von Afrika zeichnet. „Gebt Euer Geld lieber für | |
Disney-Filme aus. Die gehen wenigstens aufrichtig mit Fiktion um“, schreibt | |
ein Rezensent auf Amazon, wo das Buch inzwischen mit einem von fünf Sternen | |
bewertet wird. Unter dem Hashtag [2][#Lintonlies] tauchten auf Twitter | |
binnen weniger Stunden über 14.000 Einträge auf, darunter etwa von dem | |
Nutzer [3][Mr. Aye Dee,] der Linton mit Rudyard Kiplings Gedicht „The White | |
Man’s Burden“ verglich, dem zentralen Zeugnis des weißen Imperialismus aus | |
dem Jahr 1899. | |
## „Ihr Buch sollte verboten werden“ | |
Am häufigsten auf Facebook geteilt wurde aber der Kommentar von [4][Gerard | |
Zytkow,] der eine Fischerei in der Nähe des damaligen Arbeitsplatzes von | |
Linton betreibt. Er räumt zwar ein, dass einige Banyamulenge 2002 aus dem | |
Kongo nach Sambia geflohen seien. Doch handelte es sich nicht um Rebellen, | |
wie Linton schrieb, sondern um Mitglieder einer von der DRC verfolgten | |
ethnischen Minderheit, die in der Stadt Ndole Schutz suchten. Vom | |
Schauplatz ihrer Prosa war die Schottin weit entfernt: Sie hielt sich in | |
Kasaba auf, schreibt Zytkwo, rund 400 Kilometer weit entfernt. | |
Seit 1984 würde Zytkow in diesem „von gefährlichen Spinnen und Krokodilen | |
befallenen Dschungel“ arbeiten, zitiert der Fischer Linton zynisch, für ihn | |
sei das kein Albtraum, eher „ein Stück Paradies“. „Sie sollte sich für | |
diese irreführende und sinnwidrige Fiktion schämen“, fordert er. „Ihr Buch | |
sollte verboten werden.“ | |
In ihrem Memoiren beschreibt Louisa Linton jenen „furchterregenden Nächte“ | |
im sambischen Busch als „Coming-of-Age“-Moment, Afrika habe ihr die | |
„Zerbrechlichkeit des Lebens“ gezeigt, was jetzt auch ihr Leben als | |
Schauspielerin und Filmproduzentin in Kalifornien bestimme. Zu ihrem | |
Repertoire zählen Nebenrollen in CSI New York und William and Kate, ein | |
Lifetime-Film über das britische Prinzenpaar. „Immer wenn ich mich hier | |
fremd fühle, dann versuche ich mich an das Lächeln eines HIV-infizierten | |
Kinds mit Zahnlücke zu erinnern, dessen größte Freude es war, auf meinem | |
Schoß zu sitzen und von meiner Flasche Coca-Cola zu trinken“, schreibt | |
Linton. | |
## Eine virtuose Afrika-Barbie | |
Man könnte es fast schon wieder als virtuos bezeichnen, wie die blonde | |
Schottin, die sich auf ihrer Webseite auf [5][zahllosen Hochglanzfotos] von | |
Fashion-Magazinen räkelt, die Klischee-Kiste der Afrika-Barbie entmottet. | |
Mit blanker Ironie reagierten deshalb einige Sambier, die auf Twitter den | |
[6][Parodie-Account „Zimba“] eingerichtet haben. Das Profilfoto zeigt einen | |
afrikanischen Jungen mit einer Coca-Cola-Flasche, der auf das Mitleid von | |
Frauen wie Linton verzichten kann: „Ich hatte keine Cola mit dieser Frau.“ | |
Sogar T-Shirts mit dem Aufdruck „I'd like to give Zimba a Coke“ können User | |
dort bestellen, um Solidarität mit dem HIV-infizierten Märchenjungen zu | |
zeigen. Die UK-Ausgabe des [7][Online-Magazins Buzzfeed] persiflierte | |
Lintons Text mit den angeblichen Memoiren einer 18-Jährigen Sambierin, die | |
für ein Jahr ins englische Cornwall ging, um dort den „bleichsten“ und | |
„wohl unglücklichsten“ Menschen der Welt zu helfen. | |
Was die sambischen Leser am meisten an Lintons verklärender Perspektive | |
stört: Das Land gilt als eines der stabilsten Länder des Kontinents. | |
Verglichen zu den Nachbarländern wird die Menschenrechtssituation dort eher | |
positiv bewertet. Tatsächlich setzt sich die Forschung intensiv damit | |
auseinander, wie der Frieden im Land fortbestehen konnte, obwohl in der | |
Zeit zwischen 1990 und 2000 rund 20 andere Konflikte auf dem Kontinent | |
wüteten. Dennoch leidet das Land an Armut: 60 Prozent der Bevölkerung lebt | |
unter der Armutsgrenze, 42 Prozent werden als extrem arm eingestuft. | |
Auf die Empörungswelle gegen ihre Memoiren hat Louise Linton letztlich auch | |
auf Twitter reagiert. Sie schrieb, die User hätten Fischer Ztykow | |
missverstanden. Über die Reaktionen auf ihr Werk sei sie „zutiefst | |
bestürzt“, mit ihrer Erzählung habe sie eigentlich das Gegenteil erreichen | |
wollen. | |
Inzwischen ist Lintons Account jedoch gelöscht und gar nicht mehr zu | |
erreichen. Übrig bleibt der Hashtag #Lintonlies und eine aufklärerische | |
Hoffnung. Anders als zu Zeiten imperalistischer Weltdeutungen des „White | |
Man’s Burden“ durchlaufen Tagebücher von Afrika-Barbies nun einem rigideren | |
Dschungelbuchcheck. Schließlich hat sich das Internet längst auch einen Weg | |
durch den „Schatten des Kongos“ gebahnt. | |
11 Jul 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.telegraph.co.uk/women/life/how-my-dream-gap-year-in-africa-turne… | |
[2] https://twitter.com/search?q=%23LintonLies%20&src=typd | |
[3] https://twitter.com/MrAyeDee | |
[4] https://www.facebook.com/gerard.zytkow?ref=ts&fref=ts | |
[5] http://louiselinton.com/galleries/gallery/ | |
[6] https://twitter.com/littlezimba | |
[7] https://www.buzzfeed.com/genamourbarrett/how-my-dream-gap-year-in-europe-tu… | |
## AUTOREN | |
Michael Gruber | |
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