# taz.de -- Umstrittene Selbsthilfe: Eine Stadt sieht blau | |
> Um eine Kreuzung „sicherer“ zu machen, haben Anwohner sie einfach | |
> angemalt. Das Amt findet das „gefährlich“ und lässt teuer sanieren. | |
Bild: Überraschender Eingriff: das blaue Rechteck auf der Lahnstraße. | |
BREMEN taz | Die blaue Farbe muss wieder weg. Sofort. Sagt die Behörde. Da | |
könnte ja jeder kommen! Das blaue Rechteck auf der Lahnstraße – so ein | |
warmes, sehr griechisches Blau – ist „illegal“, erklärt Jens Tittmann, d… | |
Sprecher des grünen Bausenators, unvereinbar mit der | |
Straßenverkehrsordnung. Mehr noch: „Das ist ein gefährlicher Eingriff in | |
den Straßenverkehr!“ Dafür kann man immerhin bis zu zehn Jahre in den Knast | |
kommen. Und überhaupt, sagt Jens Tittmann: Blaue Farbe auf eine Straße | |
malen – „sowas darf nur das Amt für Straßen und Verkehr. Sonst niemand.“ | |
„Die blaue Farbe macht die Straße sicherer“, sagt Wolfgang Köhler-Neumann, | |
einer der Anwohner im Neustädter Flüssviertel, Sprecher einer | |
Anwohnerinitiative. Sie hat eine Firma beauftragt, die die Einmündung an | |
der Biebricher Straße jüngst professionell blau markiert hat, gut 70 | |
Quadratmeter, für 2.500 Euro, mit einem schmalen roten Streifen dort, wo | |
die Autos anhalten sollen, ehe sie in die Lahnstraße einbiegen. | |
Die Autos führen oft zu schnell die lange, schmale, aber schnurgerade | |
Lahnstraße runter, sagt Köhler-Neumann, die Rechts-vor-links-Regel werde | |
„nicht gewahrt, zudem sei die Straße oft zugeparkt, die Radwegeführung | |
„ganz unklar“ – „es ist der Horror“. Schon 2014 legte die Bürgerinit… | |
Pläne vor, die Lahnstraße fahrradfreundlicher zu machen. Von einer | |
Hochpflasterung an der viel befahrenen Friedrich-Ebert-Straße war da die | |
Rede, von einer Auflösung des separaten Radweges, von farblichen | |
Markierungen der Kreuzung und so weiter. | |
„Wir waren mitten im Diskussionsprozess“, sagt das Ortsamt. Der Beirat und | |
das Amt für Straßen und Verkehr haben das „auf die lange Bank geschoben“, | |
entgegnet die Bürgerinitiative. Also hat sie selbst „eine Musterkreuzung“ | |
geschaffen. Wolfgang Köhler-Neumann nennt sie „etwas unkonventionell“, und, | |
ja, durchaus auch „provokativ“. | |
Montag kommt die Farbe wieder weg und alles wird wieder, wie es immer war. | |
Das Amt für Straßen und Verkehr scheut dafür keinen Aufwand. Das Dixie-Klo | |
für die Bauarbeiter steht schon, die Straßenabsperrung auch, immerhin fünf | |
Tage wird die Aktion dauern. Die Farbe wird vollständig abgefräst, die | |
Kreuzung danach neu asphaltiert. Fast 10.000 Euro wird das Ganze kosten, | |
sagt Tittmann, und bezahlen soll es die Bürgerinitiative. Nein, man wolle | |
nicht den ganz großen Hammer rausholen, sagt der Behördensprecher, nur eben | |
dafür sorgen, dass die Behörde nicht auf den Kosten sitzen bleibt. Von | |
einer Strafanzeige werde man aber absehen, so Tittmann. | |
Wolfgang Köhler-Neumann findet den Rückbau „völlig überzogen“ und | |
„unverhältnismäßig“. Die Farbe auf der Straße, sagt die Bürgerinitiati… | |
„tut keinem weh.“ Sie hat deshalb beantragt, die irritierend blau markierte | |
Kreuzung als Modellversuch vorerst zu akzeptieren. Selbst Ortsamtsleiterin | |
Annemarie Czichon, die das eigenmächtige Handeln der Anwohnerschaft | |
„keinesfalls unterstützen“ will, plädiert dafür, erst mal abzuwarten –… | |
die Sache erst noch mal im Beirat zu diskutieren, der Mitte August wieder | |
tagt. Selbst in den Reihen der Grünen gibt es Politiker, die sagen: Diese | |
Selbsthilfe, das könnten sie, nein, nicht akzeptieren, aber schon | |
verstehen. Und mit diesem Streit könne man auch entspannter umgehen, als es | |
das Amt für Straßen und Verkehr tue. | |
Für die Behörde kommt das aber keinesfalls infrage. Man müsse da | |
„vorbeugen“, sagt Tittmann, und keinesfalls einen Präzedenzfall schaffen, | |
der Vorbild sein könnte für andere Bürgerinitiativen in der Stadt. Und | |
außerdem sei die blaue Farbe auf der Straße „gefährlich“ und „verwirre… | |
Mehrere AnwohnerInnen hätten der Behörde zudem „unmissverständlich klar | |
gemacht“, dass das geändert werden müsse, sagt Tittmann. Die AnwohnerInnen | |
haben „überwiegend positiv reagiert“, sagt Köhler-Neumann. | |
Die Behörde sieht eh „kein Problem“ in der Lahnstraße. „Uns ist nicht | |
bekannt, dass es da permanent zu Unfällen kommt“, sagt auch das Ortsamt. | |
„Muss man so lange warten?“, fragt Köhler-Neumann, dem es ohnehin mehr um | |
die grundsätzlichen Fragen geht: „Wie wollen wir zusammenleben?“ | |
Jedenfalls soweit das den „ruhenden Verkehr“ in der Neustadt angeht, wird | |
das Stadtteilparlament darüber weiter diskutieren, so Czichon – auf einer | |
Planungskonferenz im Herbst. | |
15 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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